Es ist beinahe wie früher. Am Samstag kurz nach 13 Uhr zieht Guido Westerwelle mit großem Tamtam in den Bezirksparteitag der Kölner FDP im oberbergischen Wiehl ein. Wie ein Matador schreitet er in die Arena, schüttelt Hände hier, herzt Wangen dort. In gebührendem Abstand folgt Christian Lindner. Zurückhaltend, beinahe schüchtern. So als wäre er immer noch der Generalsekretär, der seinem Vorsitzenden nicht die Schau stehlen will. Dabei ist Lindner jetzt der Star der FDP. Oder vielmehr: Er ist der Strohhalm, an den die zersauste Partei sich klammert.
Wann hat es in der Politik schon einmal ein solches Comeback gegeben? Nur drei Monate nach seinem überraschenden Rücktritt als FDP-Generalsekretär ist Lindner wieder da. Am 1. April soll der Bundestagsabgeordnete in Nordrhein-Westfalen zum neuen Landesvorsitzenden und Spitzenkandidaten für die Landtagswahl gekürt werden. Seine Parteifreunde erhoffen sich von dem 33-Jährigen das Unmögliche: Er soll die Freidemokraten in NRW irgendwie vor dem außerparlamentarischen Nirwana retten – und damit auch die bundesweite Sklerose der siechen Partei stoppen. Die ersten Tage nach Ankündigung seiner Kamikaze-Kandidatur nähren intern bereits Hoffnung. Die Umfragewerte steigen – von zwei auf zuletzt ganze vier Prozent.
Schon als Jugendlicher hatte Lindner große Erwartungen beflügelt. Mit 16 Jahren trat der gebürtige Wuppertaler 1995 in die FDP ein, ein Jahr später war er bereits Landeschef der Liberalen Schüler und Vorstandsmitglied der Jungen Liberalen in Nordrhein-Westfalen. 1998 rückte der sportliche Blondschopf in den von Jürgen W. Möllemann geführten Landesvorstand der NRW-FDP auf. Mit 21 Jahren zog er als jüngster Abgeordneter der Landesgeschichte in das Düsseldorfer Parlament ein. Möllemann, der ihm auch den Spitznamen „Bambi“ verpasste, machte den ehrgeizigen Jungpolitologen 2004 zum Landesgeneralsekretär. 2009 wurde er in den Bundestag gewählt und kurz danach zum Generalsekretär der FDP ernannt. „Der bessere Guido“, titelte damals bereits der Spiegel.
Doch als Westerwelle im Mai 2011 das Feld räumte, zuckte Lindner. Statt seiner wurde Philipp Rösler Parteichef. Gemeinsam inszenierten sie den Neuanfang. Aber während der Generalsekretär wohl tatsächlich Abstand gewinnen wollte von Westerwelles einseitiger Steuersenkungsrhetorik, fiel Rösler schnell in dessen Muster zurück. Diese inhaltliche Kluft stand auch hinter Lindners plötzlichem Rückzug kurz vor Weihnachten. Er will seine Partei strategisch neu aufstellen und beschwört dafür gerne die Säulenheiligen sowohl der marktradikalen Richtung als auch des linksliberalen Flügels: von Friedrich August von Hayek über Ralf Dahrendorf bis zu Karl-Hermann Flach. Was inhaltlich nicht zusammenpasst, macht Lindner rhetorisch passend. Es geht um Imageverbesserung, weg von der kaltherzigen Partei hin zu einem „mitfühlenden Liberalismus“ – auch wenn dies nur eine Marketingstrategie ist.
Die Neuwahl in Nordrhein-Westfalen ist jetzt für Lindner ein Glückfall. Ursprünglich hatte sich das eloquente Polittalent auf dem samstäglichen Parteitag in Wiehl erst mal zum neuen Vorsitzenden des FDP-Bezirksverbandes Köln wählen lassen wollen. Mitte Februar kündigte Lindner schriftlich seine Kandidatur an. Da dachte weder er noch sonst jemand daran, dass nur einen Monat später die FDP-Fraktion planlos in die Auflösung des Landtags stolpern und damit ihre parlamentarische Existenz aufs Spiel setzen würde. Als ihn der Noch-Landesvorsitzende Daniel Bahr und der bisherige Landtagsfraktionschef Gerhard Papke einen Tag nach dem Desaster beknieten, die Spitzenkandidatur anzunehmen, griff Lindner beherzt zu – unter der Bedingung, auch den Vorsitz des mitgliederstärksten FDP-Landesverbandes zu bekommen.
Wie auch immer der Urnengang am 13. Mai ausgehen wird: Lindner wird nicht der Verlierer sein. Für einen Achtungserfolg würde es genügen, mehr als jene zwei Prozent einzufahren, die die Demoskopen seiner Partei noch am Tag seiner Nominierung durch den FDP-Landesvorstand prognostizierten. Schafft er gar die Sensation, also den Wiedereinzug in den Landtag, werden ihn die Freidemokraten als ihren neuen Messias auf Händen tragen.
Im beginnenden Wahlkampf bastelt Lindner dafür bereits an einem Repertoire von Textbausteinen. „Unverzichtbar“ sei die FDP im Parlament, sonst blieben „die Staatsgläubigen, Umverteiler und Besserwisser unter sich“, ruft er den knapp hundert Parteifreunden in Wiehl zu. Zu schwarz-grünen Gedankenspielen sagt er spöttisch: „Da schauen sich Vater Staat und Mutter Erde tief in die Augen.“ Gegen die SPD testet er den Spruch: „Der Staat kann gar nicht so viel Geld haben, dass Sozis damit auskommen können.“ Die Verschuldungspolitik der von ihm als „Rabenmutter“ titulierten sozialdemokratischen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft will Lindner zu seinem Wahlkampfschlager machen. Die „ganzen Wünsche des Wohlfahrtsstaats“ seien nicht mehr „zeitgemäß“, predigt er. Deswegen müssten die von Rot-Grün abgeschafften Studiengebühren wieder eingeführt werden. Die bekannte Leier. Nur gegen den vielleicht gefährlichsten Gegner in diesem Wahlkampf fehlt ihm bislang das Rezept: Die Piraten, die bisweilen mit dem Image als „Update der FDP“ kokettieren, beschimpft er in Wiehl als Verfechter einer „Gratismentalität“, die zu einer „kulturellen Verarmung der Gesellschaft“ führen würde. Beim Landeskongress der Jungen Liberalen am Samstagabend in Düsseldorf verkneift er sich diesen Satz. Bei einem jüngeren Publikum käme er wohl nicht so gut an.
Pascal Beucker ist Korrespondent in NRW
Kommentare 8
Die gesamte Deutsche Presse jubelt auf einmal Lindner hoch. Unison.
Einem solch ploetzlichen, positiver Medienblitz kann man nur mit Misstrauen gegenueberstehen: Da hat irgendwer bei der Internationalen Hochfinanz beschlossen der Mann koennte ihnen nuetzlich sein im Deutschen Politik Theaterspiel.
Die durch Medienkontrolle amputierte Demokratie moderner Zinssklaven am Werk...
Der Liberalismus der FDP ist zur Kenntlichkeit verkommen.
Der verlässt eine "politische Blendgranate", wie Christian Lindner die Brücke eines vom Sinken bedrohtes Schiff namens FDP , haut schlicht in den Sack, ohne ausreichende, einleuchtende Begründung und droht nur mit "Auf Wiedersehen".
Nun erscheint er wieder auf der Bühne und wird uns, dem Wähler, dem Bürger, schmackhaft gemacht, als ein Hoffnungsträger, ein standhafter, für Krisen wie geschaffener Politiker, Retter einer "Nochpartei".
Vergleicht man dies mit Oskar Lafontaine, dann reibt man sich die Augen. Gab es damals noch inhaltliche Differenzen, die ihn verlassten, die Bühne durch den Hinterausgang zu verlassen und seit dem als "Persona non grata" be-/gehandelt zu werden, zählen solch Maßstäbe bei Lindner nicht mehr.
Warum fragt sich der Interessierte? Nun, die antwort dürft recht einfach sein. Ein Christian Lindner und die Partei "FDP", die er zu vertreten vorgibt, dient dem System mehr, als jemand, der dem System zumindest Grenzen setzen will.
Offensichtlich befürchten dies auch die Leute, die hinter den Leitmedien stehen, die Fäden in den Händen halten.
Lindner verhält sich wie damals Westerwelle recht größenwahnsinnig. Wenn ich Lindner gehört habe, wurde einem Angst und Bange, was für ein Gesülze er von sich gab.
Man kann die ganze Riege, Rösler, Döring und wie die anderen Schreihälse alle heißen, nur in die Tonne schieben. Diese FDP wird es in zwei Jahren hoffentlich nur unter dem Zusatz "andere" noch geben. Nichts hat dieser Haufen geliefert, aber auch gar nichts.
ich kann nicht erkennen, dass ch. lindner hier hoch gejubelt wird. es ist einfach obektiv vieles in obigen artikel richtig.
"Dabei ist Lindner jetzt der Star der FDP. Oder vielmehr: Er ist der Strohhalm, an den die zersauste Partei sich klammert."
und das gilt dann natürlich auch für die medien, die solche leute brauchen, um damit seiten und sendungen zu füllen. umgekehrt braucht die fdp und insbesondere ch. lindner jetzt alle texter, mikrophone und kameras. nur zur einnerung - in nrw wird gewählt und das von ziemlich jetzt auf gleich. zudem ist völlig richtig:
"Verlieren kann der FDP-Spitzenkandidat eigentlich nicht".
wobei man das "eigentlich" irgendwie streichen kann. schaft er das wunder am rhein und zieht wieder in den landtag ein, so stürmt er gleichsam in berlin die parteizentrale in berlin; bleibt er draussen, hat er es immerhin versucht aber gegen den trend, der auch aus berlin kommt ist siegen schwierig. eine bequeme position auf der eine seite und für die medien eine spannende geschichte mit spannenden fortsetzungsoptionen. kein wunder, dass ch. lindner in allen spalten und auf allen kanälen präsent ist.
nur - wirklich wichtig ist etwas anderes. wird die bundes-koalition die wahl überleben? kein wunder, dass die medien ihre ohren auf die grassnabe legen, um aus einem räuspern der letzten jungen fdp granden die zukunft merkels zu deuten. .)
Die NachDenkSeiten schreiben in den heutigen "Hinweisen des Tages" zu einem Beitrag über Lindner in der Financial Times Deutschland:
www.nachdenkseiten.de/?p=12743#h15
"Dieser Beitrag ist nur deshalb eines Hinweises wert, weil er belegt, dass Lindner ein Liebling der Journalisten ist. Selbst in die Tagesschau schaffte es der Bericht über den Parteitag einer Splitterpartei. Prüfen Sie einmal selbst: 395 Artikel über den Parteitag der FDP verzeichnet Google heute früh und nahezu alle feierten Lindner. Über den Landesparteitag der SPD gab es nur 280 Nachrichtenartikel und über den zeitgleich stattfindenden Parteitag der NRW-Linken bot die gleiche Suchmaschine zur gleichen Zeit gerade einmal 26 Artikel an. Deutlicher kann man die Meinungsmache der Medien nicht belegen."
Christian Lindner das „Bambi“, der Gescheiterte Unternehmer und kfW-Gelder in den Sand Setzer, der Jung-Politologe, der Hoffnungsträger, der Inszenierer eines Neuanfangs, der Besser-Guido, der ohne Erklärung Zurücktreter, der plötzliche politische Wiederaufersteher (kein Osterhase- oder Angsthase), der Blonde Retter, der Kamikaze-Kandidat, der Strohhalm der zersausten 1%-Partei, der mitfühlende Liberale der kaltherzigen Leistung-muß-sich-lohnen-Partei, der Unverzichtbare weil einzig noch funktionierende Blendgranate der Partei, der Standhafte, für Krisen wie geschaffene Politiker, der vermeintliche Retter einer Noch-Partei, das letzte Aufgebot der schreihälsigen Baby-Face-Neo-Liberalen, der Liebling der Leitmedien und Meinungsmacher des Status Quo,
Mitglied der (nur) FürDiePresse-, Frühjahrs-DePressions-, einFallFürdiePraxis-sind doch alle mit Sondertarifen privatversichert FürDiePKV-Partei und zukünftigen FreieDenkParty-, FreivonpolitischererverantwortungDurchPiraten(wähler)-, FreizeitDemutPostenverlust- und FreiDahintreibeSplitter-Partei...
Nach der NRW-Wahl werden wir ihn vermissen (oder auch nicht).
na ja
ist doch klar, dass eine partei am abgrund mehr medienpräsenz hat, da muss man nicht google bemühen.
wer will schon einen neustart verpassen ;-)
lindner könnte dafür stehen, da er rhetorisch stark genug ist. sollten auch inhalte folgen, es wäre zu schön um wahr zu sein.
möglichkeiten gibt es genug, gerade das thema freiheit läßt sich locker konkret besetzen, die piraten zeigen, wie einfach.