Ethisch korrekt zu handeln, das kann heute so einfach sein: Für den bewussten Konsumenten gibt es im Tiefkühlregal sogar zertifizierte Bio-Garnelen. Wer in den Flieger steigt, kann seine Emissionen einfach in einem Aufforstungsprogramm am anderen Ende der Welt absetzen lassen. Und dank der Solaranlage auf dem Dach können Fernseher und Computer den ganzen Tag über laufen. Technische Lösungen optimieren den Verbrauch, der grüne Kapitalismus macht eine bessere Welt ohne Verzicht möglich.
Nicht nur, wer wirklich noch an dieses Versprechen glaubt, sollte Kathrin Hartmanns neues Buch Aus kontrolliertem Raubbau. Wie Politik und Wirtschaft das Klima anheizen, Natur vernichten und Armut produzieren lesen. Die Journalistin, vielgelobt für ihre bisherigen Werke Ende der Märchenstunde und Wir müssen leider draußen bleiben, zeigt darin mit Nachdruck: Alle Versuche, den westlichen Lebensstil mit grünen Alternativen aufrechterhalten zu wollen, scheitern krachend. Hartmann ist zu angeblich nachhaltigen Palmölplantagen in Indonesien gereist, hat sich die Herstellung von Bio-Garnelen in Bangladesch angesehen und die Philanthropie der Bill- und Melinda-Gates-Stiftung unter die Lupe genommen. Jedes Beispiel ist akribisch recherchiert, jedes entzaubert den Mythos von Wettbewerb und Profitstreben mit grünem Anstrich ein Stück weit mehr.
Beispiel Palmöl: Hartmann sieht sich in Begleitung von Kleinbauern, die gegen ihre Vertreibung aus dem Regenwald kämpfen, mit riesigen abgeholzten Flächen konfrontiert. Die Bäume mussten weichen, damit sich in deutschen Supermarktregalen Fertigprodukte stapeln und an Tankstellen Zapfsäulen mit Biodiesel parat stehen können. Fast alle Fertigprodukte und Biodiesel basieren auf Palmöl – einem Produkt von Vertreibung und Zerstörung, auch aus zertifizierten Plantagen.
Wälder werden auf Torfböden abgeholzt, die eigentlich Kohlenstoff speichern. Durch den Anbau der Palmölpflanze aber entweichen gewaltige Mengen des klimaschädlichen Gases. Erst die Klimaschutzmaßnahmen des Westens machen Indonesien zum drittgrößten Emittenten der Welt.
Wen all das nicht mehr überraschen kann, wird dieses Buch dennoch mit Gewinn lesen. Kleinbauern, Fischer und lokale Nichtregierungsorganisationen kommen ausgiebig zu Wort und damit die Entschlossenheit zum Ausdruck, mit der sie für ihre Rechte kämpfen.
An der globalen Misere haben nicht nur multinationale Konzerne Schuld. Regierungen aus nördlicher wie südlicher Hemisphäre tragen ebenso Verantwortung wie die UN mit ihren „Green-Growth“-Programmen. Diese enden in zerstörten Regenwaldflächen und Bio-Aquakulturen, die für versalzene Matschböden sorgen.
Bio- und Nachhaltigkeitssiegel auf Produkten für die vermeintlich konsumbewusste Mittelschicht der Industrieländer sind kein Ausweg. Diese Ansage macht Hartmann mit ihrem neuen Buch nicht zum ersten Mal, doch sie verleiht ihr ein noch sehr viel tragfähigeres argumentatives Fundament als in Ende der Märchenstunde. Zugleich verdeutlicht die Autorin, dass Resignation eine fatale Alternative ist. Es geht um nichts anderes als: Kampf. Da lässt sie keinen Zweifel. Wir haben dieses System verschuldet, es ist unsere Aufgabe, nun zu handeln.
An Vorbildern mangelt es nicht – es sind all die Menschen, die Hartmann bei ihren Recherchen getroffen hat. Entmutigung und Aufgabe stehen für die nicht zur Debatte.
Info
Aus kontrolliertem Raubbau Kathrin Hartmann Blessing Verlag 2015, 448 Seiten, 18,99 €
Kommentare 8
Alles richtig (fast: wer hat denn je behauptet, Palmölplantagen in Indonesien seien nachhaltig?), aber immer, wenn DER FREITAG das Thema der Biolebensmittel berührt, ist das Ärgerliche, daß er nur die berüchtigten Mittelschichtkonsumenten und -konsumentinnen im Auge hat, denen man die gesunde Nahrung halt um die Ohren hauen muss.
BIOSIEGEL ist kein Witz oder eine Mittelschichtsmarotte, sondern Grundlage dafür, daß Millionen Biobauern und -bäuerinnen in der ersten bis vierten Welt nicht mehr das Grundwasser verschmutzen, das Bodenleben zerstören, zur Klimakatastrophenverminderung beitragen, die Biodiversität erhalten, Gesundheit produzieren (für sich und ihre Familien, statt mit der Giftspritze rumzulaufen), Gesundheit für Konsumenten everywhere (Mittel-, Ober- und Unterschicht) anbieten und vor allem ihren eigenen "Lebensstandard" erhöht haben (wenn auch bei weitem immer noch nicht "genug"), vor allem durch besseren Zugang zu Erziehung und Gesundheit und natürlich schlicht mehr Geld in der Haushaltskasse.
Der Biolandbau "im Süden" (Indien, Tonga, Nicaragua, Kasachstan und 100 Länder mehr) ist ein wichtiger und ständig wachsender Beitrag zur Armutsreduzierung in der Kleinbauernschaft, zur Klimafolgen"abfederung" , zur Ernährungssicherung weltweit, zur Erhaltung der Landwirtschaft an sich (für sagen wir mal die nächsten 500 Jahre), zur erfolgreichen Bekämpfung von Monsanto & Co., zum empowerment der Landfrauen, zum Wachsen des politischen Selbstbewusstseins der campesinos und campesinas weltweit u.v.a.m.
Z.B. machen wir Biolandbau in den feuchten Tropen Nicaraguas, um die Basis für Landbau (die Natur pues) überhaupt zu retten und den Familien eine bessere Entwicklung auf Grund dieser Selbsthilfe zu ermöglichen. Das ist teuer, und arme Kleinbauernfamilien können nicht alle diese planetaren Aufgaben selbst bezahlen. Regierungen kann man in dem Zusammenhang vergessen, und da sie nichts taugen, ist auch das Appelieren an sie meist vertane Zeit. Da kommt uns die deutsche Mittelschicht grade recht, die für besser Lebensmittel besser bezahlt. Ds stärkt unsere Selbsttätigkeitskräfte!
Und dann kommen die "an sich" begrüßenswerten Versuche wie der von Kathrin Hartmann ... aber leider können sie jedesmal nicht der modischen Versuchung widerstehen, der verhassten Mittelschicht (zu der sie vermutlich gehören?) eins überzubraten, auf unsere Kosten! Die FREITAG-Autorin, die das auch nicht lassen kann, ist Frau Zinkant! Bitte mehr Differenzierung, liebe Damen! Jeder Ihrer undurchdachten Angriffe auf "die Biosiegel", die "alle Betrug und grüner Kapitalismus" seien, schadet den zitierten Millionen von Leuten. Besuchen Sie mal www.ifoam.bio oder www.fibl.org und tauchen Sie profunder in die Materie ein, als gute Investigativjournalistinnen.
Gerd Schnepel, Sano y Salvo • Safe and Sound, Primera Asociación Campesina e Indígena de Cultura y Producción Ecológicas en la Biosfera del Sureste de Nicaragua
Nachtrag:
Natürlich bin ich gegen grünen und allen sonstigen Kapitalismus. Die Stärkung der weltweiten biologisch produzierenden Kleinbauernschaft ist ein Schritt zu seiner Beseitigung. Diese selbe "Gruppe" kann aber nicht stellvertrend für Sie, sras. Hartmann und Zinkant und lieber FREITAG, und alle anderen Kapitalistenfeinde auch noch die Durchführung aller weiteren Revolutionen al respecto übernehmen.
Nachtrag II:
Vor allem auch gegen "roten" und schwarzroten Kapitalismus ...
gracias. moral-bashing und kapitalismus-schelte sollten so gezielt sein, daß kollateral-schäden unter den widerständlern vermieden werden.
Hallo Abu Sharif.
Ich schließe mich Ihren Argumenten in voller Zustimmung an.
Zudem sind kleine Schritte besser als keine, schon allein, weil man damit grundlegendere Veränderungen schon mal trainiert oder erprobt.
Die erodierende Mittelschicht (Angry white men) hat nun mal die Mittel, Demeter & Co. zu kaufen. Ganz einfach. Da isst sich`s besser, da schläft man ruhiger und der Leib dankt es einem auch noch, wie nett! Kapitalismus per se führt an die Wand, da beisst keine Maus keinen Faden ab. Der Paradigmenwechsel ist überfällig, doch kaum friedlich zu erwarten. Die Schöpfung zeigt es uns, wie wir gut leben könnten, alle, auf dem Blauen Planeten. Systemisches Denken & Handeln ist angesagt, nicht erst seit dem guten Frédéric Vester.
Es bleibt zu bedenken , dass gerade die, die diesen besagten Kampf gegen die "Märchenstunde" längst aufgenommen haben, sehr gernen als Querfront und Rechtsaussen, als Anarchisten udn Chaoten, als Verschwörungstheoretiker, sogar Antisemiten gebrandmarkt werden .... weil man diesen Kampf eben nicht führen kann, wenn man weder Antikapitalist noch Antiimperialist sein möchte oder ist.
Das aber kann die märchenstundenanimierte bürgerliche Klasse der Linksmitterechtskonseravtiven gar nicht leiden , denn die werden aus Gewohnheit leider nicht schlau, sondern nur rufschädigend. Kritik können sie nicht vertragen , soviel steht fest, und drüber nachdenken , können sie anscheiend auch nicht, sonst würde nicht so ein Schwachsinn wie "grünes Wachstum" dabei herauskommen. Heiliges Oxymeron ... je blöder die Programme , desto begeistereter dei Zustimmung ???
Ok, also gegen Kapialismus jeder Farbe. Hab ich verstanden.
Haben Sie zufällig eine Alternative parat?