Er spricht unverkennbar Bayerisch, in das er kleine Berlinische Elemente mischt, vor allem das Ick. In der Vorstellung vieler Liebhaber seiner Cartoons verkörpert Gerhard Seyfried Kreuzberg. Aber er ist nicht auf den Kiez eingeschworen, lebte zeitweilig in den USA, auch mal in anderen Berliner Stadtteilen. Er ist der erste und bekannteste Zeichner der alternativen Bewegung und wohnt halt in Kreuzberg. So sieht er es selbst. Es hätte auch die Hafenstraße in Hamburg sein können, in fast jeder größeren Stadt gibt es ja das Viertel oder die Straßengruppe, von anderen verlassen, wo zeitweilig eine Szene mit widerständiger Kultur gedeiht. Kreuzberg, die Westberliner Halbinsel, war vom Senat aufgegeben. Abreißen, eine Autobahn bauen, war lange die droh
Der letzte Auftrag
Leichte Anarchie Gerhard Seyfried hat ein Wahlplakat entworfen, das an die alte Kreuzberger Alternativszene erinnert. Doch Sentimentalität war nicht beabsichtigt. Der Kult-Cartoonist ist längst auf dem Weg woanders hin
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e die drohende Perspektive. In den billigen heruntergekommenen Wohnungen mieteten sich Studenten, Aussteiger, Künstler ein und Türken, "die damals auch noch Außenseiter waren". Hier fand Seyfried seine Themen, auch ein Publikum, das sich in seinen "Wimmelbildern" erkannte. Die einschlägige Kreuzberger Comic-Buchhandlung mit Riesenauswahl präsentiert alle seine Bücher gut erreichbar vorn. In diesen Tagen tauchte Seyfrieds Plakat für Christian Ströbele überall in den Straßen auf, es fällt absolut aus dem Rahmen der Wahlplakate und ist somit unübersehbar. Das wichtigste Ziel ist erreicht. Ob die Ästhetik, die viele mit den siebziger Jahren assoziieren, als Geck oder als Botschaft wahrgenommen wird, kann jeder für sich entscheiden. Die Diskussionen darüber sind angelaufen, an der Ströbele-Werbung scheiden sich die Geister. Das Plakat lässt ein Milieu aufscheinen, das es nicht mehr gibt. Aber die Erinnerung daran ist da, vielleicht eine Art Sehnsucht. Ströbele selbst verkörpert etwas vom alternativen Kreuzberg, das sich einst selbst organisierte und dabei gegen staatliche Regeln verstieß. Er ist dem nicht entrückt, ungeachtet der Politikbühnen, auf denen er seit Jahren agiert. Nun kämpft der Grüne um das Direktmandat, das ihm - müsste er sich nur in Kreuzberg stellen - sicher wäre. Einen Spitzenplatz auf ihren Listen hat ihm seine Partei nicht eingeräumt. Kreuzberg ist mit Friedrichshain fusioniert: die beiden ärmsten Stadtteile Berlins, Ost und West, mit je einer eigenen Szene. In Friedrichshain kann die Bürgermeisterin Bärbel Grygier (PDS) mit einer Mehrheit rechnen. Werden Ströbeles blaue Augen, mit denen er aus dem Plakat blickt, die Figürchen mit provokanten Sprüchen rund um seinen Kopf, die schöne Oberbaumbrücke, die beide Stadtteile verbindet, die revolutionäre Sonne, die aus der Spree aufgeht, die Naivität und die positive Ausstrahlung des Plakats die Entscheidung zu seinen Gunsten beeinflussen? Gerhard Seyfried, geboren 1948 in München, hat mit einer Lehre als Industriekaufmann begonnen, bis ihn die Werbeabteilung der Firma als Zeichner entdeckte und er Werbegrafiker lernte. Anschließend nahm ihn die Münchner Akademie für das grafische Gewerbe "wegen besonderen Talents" auf, ohne das erforderliche Abitur. Nach zwei Jahren wurde er "wegen mangelnden Talents" wieder rausgeworfen, "weil ick den Streik gegen die Notstandsgesetze organisiert habe". Die zwei Begründungen gefallen ihm natürlich: "Es ist eine wichtige Voraussetzung für Künstler, von der Akademie zu fliegen oder gar nicht erst aufgenommen zu werden." Für seine Pointen ändert er nicht die Stimmlage, aber lacht kurz mit, wenn er ein Lachen ausgelöst hat. Das ist im melancholischen Erzählton eine Aufhellung, eine Überraschung. So bewegt man sich mit ihm durch die Politik, durch Städte, Zeiten, Kontinente, - ein Mensch mit vielen Detailkenntnissen und gutem Gedächtnis, mit Wut über "die Blödheit", auch mit Resignation. Allerdings ohne Neigung, sich aufzugeben, anzupassen, kleine Brötchen zu backen. Von der Werbung hat er sich damals wieder abgewandt und ist an die erste Stadtzeitung in Deutschland geraten, an Das Blatt in München. Das beschreibt er so: "Anarchistisch, von Anfang an gab es ´ne Menge Ärger mit der Polizei. Es ist ständig beschlagnahmt worden, zensiert, verboten, wir sind eingesperrt worden, praktisch monatlich einmal", sagt er und lacht wieder auf. "Ich hatte auch entsprechende Verfahren wegen Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole. Fand auch einen Richter, der mir nicht erklären konnte, was Verglimpfung ist. All diese Spielereien im Fritz-Teufel-Stil, wie das so ablief in den siebziger Jahren." Durch die Schikanen und Zensur fand er im Blatt sein Thema und erwarb den Ruf als Polizeizeichner. "Aber, da gibt´s ein Aber: inzwischen bin ich bei der Polizei beliebt! Die machen jetzt einen Teil meiner Kundschaft aus. Ja, die mögen das. Ick war nie sehr verletzend, habe sie nie als Schweine bezeichnet, habe sie einfach lächerlich gemacht, davon ausgehend: es tut gut, wenn man den Deutschen ein wenig an der Ehrfurcht kratzt, die sie vor Autoritäten und Uniformen haben." Berlin bewohnt er seit 1976. Der Rotbuchverlag hatte ihn aufgefordert, seine Karikaturen zu sammeln und herauszugeben. Von dem Vorschuss für das Buch fuhr Seyfried nach San Francisco, um die amerikanischen Kollegen kennen zu lernen. "Da bin ich ans Comic geraten, was für einen Karikaturisten etwa so ein Sprung ist, wie wenn man von der Fotografie zum Film geht. Eine Geschichte zu erzählen, die "Kameraeinstellungen" zu bestimmen, die Spannung aufrecht zu erhalten, die Farben zu komponieren - das ist sehr viel Arbeit. Die kommerziellen Comics werden oft in Teams gemacht, aber die Tradition in Amerika und meine eigene verlangten, es allein zu machen." Oder höchstens mit einer Partnerin, mit Ziska, die auch eigene Cartoons herausbrachte und jetzt Filmdrehbücher schreibt. Am letzten Buch über die neue weltweite Naziszene, Starship Eden, arbeiteten sie beide ein ganzes Jahr lang. In San Francisco war Seyfried bei der Rip-off-Press, einem der bekanntesten Undergroundverlage in den Staaten. Da hat er gelernt, durch Zusammenarbeit und Abgucken. Die Undergroundcomics sind gegen die krasse Zensur in den USA entstanden, erklärt er, als Selbsthilfe der Zeichner, die dann berühmt wurden und die Professionellen an Verbreitung fast überholten. Irgendwann ist er wieder nach Deutschland zurückgekehrt. Aber hier konnte Seyfried die Cartoons nicht richtig etablieren. Als er damit anfing, gab es den Begriff Comiczeichner noch gar nicht. Auch heute gibt es ihn nicht als Beruf, nicht als Ausbildung. Nur eine einzige Auszeichnung ist den Comics gewidmet, der Max-und-Moritz-Preis des Internationalen Comic-Salons Erlangen, und den hat er. Nicht, dass seine Bücher kein Erfolg wären, es wurden viele verkauft, "aber leben kann ich davon nicht. Was n´ Jammer ist." Das kommt traurig. Er hat dicke Bücher aus dem Englischen (dem Amerikanischen) übersetzt, für Zeitungen geschrieben, als Fotograf gearbeitet, musste "leider immer wieder blöde Jobs machen". Aber gereist ist er doch viel, und immer wieder hat es ihn in die USA gezogen: "Bin heimwehkrank geworden, denn es ist schon schön da. Jetzt nicht mehr. Jetzt ist es offen faschistisch, das möchte ich nicht. Die meisten meiner Freunde sind inzwischen weggegangen, seit Bush. Sie sind alle in Frankreich." Es scheint ein Eldorado für die Cartoonisten zu sein, Comics in den unterschiedlichsten Stilen finden da ihre Verlage. Dahin würde er auch gehen, wenn er Französisch könnte. Die Zeit der Comics und Cartoons ist nun für ihn vorbei. Die größte Resonanz hat er heute im Internet. Ein raffiniertes vielteiliges "Verschwörungsschema", das er nach dem Anschlag auf die Twin-Towers erstellt hat und das man lange studieren muss, um es zu erschließen, wurde bisher 20.000 Mal aufgerufen, am häufigsten in den USA. Die Arbeit am Comic bringt fünf Mark Stundenlohn. Er hat es ausgerechnet, wie er alles genau macht. Er baut auch Modellhäuser, malt Ölbilder, übt akribische Arbeiten aus, meditative Tätigkeiten, um die Hände fein zu beschäftigen und zugleich dem Hirn Freiraum zum Denken zu lassen. In den vergangenen drei Jahren aber hat er einen Roman geschrieben, der im Frühjahr bei Eichborn erscheinen wird.Herero ist der Titel. Es geht um ein knappes Jahr in Südwest-Afrika während des Hereroaufstands 1904. Was mit einem Menschen geschieht, der unvorbereitet in eine so extreme Lage gerät, hat Seyfried interessiert. Er geht sehr präzise nach dem geschichtlichen Ablauf vor, hat Hunderte historische und geografische Bücher dafür gelesen und sogar Kartografie studiert, weil seine Hauptfigur ein Kartograf ist. Auch General von Trotta kommt vor, ein Schlächter, der immerhin aufgrund der Empörung in Deutschland abgerufen wurde. Später gab es so eine kritische Öffentlichkeit lange nicht mehr, aber es hat sie einmal gegeben. In Kreuzberg wohnt Seyfried erst seit sechs Jahren wieder. "Ich erkenne es nicht mehr. Ich finde nichts, das mich daran erinnert. Früher gab es ´ne Menge Hippies, Freaks, eine alternative Szene, Kultur. Hier konnte man auf der Straße frühstücken, jetzt kommt man nicht mehr lebend über die Skalitzer Straße. Kreuzberg wird von Autos tot gefahren, der Verkehr hat sich seit dem Mauerfall vertausendfacht. Und keine einzige neue Ampel. Das Viertel ist verdreckt. Die Steuergelder werden nicht für die Leute ausgegeben. Hier in dieser Ecke leben zu 80 Prozent Türken, und sie sind jetzt bald die ordentlicheren Deutschen, wie ich an einer Umfrage gesehen habe. Wenn Busladungen von Leuten hergefahren werden, um das Kreuzberg von 1970 zu betrachten, dann ist das Quatsch und Käse. Nur noch ein bisschen Äußerlichkeit am Heinrich-Platz ist übrig, aber hohl. Eine Alternativkultur ist es zumindest nicht. Es ist Kleinkapitalismus. Ich hänge der Vergangenheit nicht nach. Aber ich sehe eben von den angenehmen Seiten von damals nichts mehr." Seyfried will weg. Er plant seinen Umzug ins Ausland. Auf dem Ströbele-Plakat ist nicht unbedingt das Kreuzberg der siebziger Jahre zu sehen. Der Tagesspiegel hat bemerkt, dass die Gebäude vom Potsdamer Platz falsch herum stehen, aber ist nicht auf die Idee gekommen, dass sie dort falsch stehen könnten und nicht bei ihm, sagt Seyfried, der sich über den hämischen Ton der Zeitung geärgert hat. "Den finde ich blöd." Das Plakat ist nicht eine Rückkehr in die Vergangenheit, für ihn biografisch schon ganz und gar nicht. "Das ist einfach ein Auftrag, den ich ausgeführt habe für einen der wenigen Politiker, von denen ich einen Auftrag annehmen würde".
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