Der Zeitungsleser

Kolumne Der Rektor der Justus-von-Liebig-Schule in Bruckmühl ist 61 Jahre alt, heißt Günter Rychlik. Dass in der Zeit vom 13. Juni ein Artikel über ihn und ...

Der Rektor der Justus-von-Liebig-Schule in Bruckmühl ist 61 Jahre alt, heißt Günter Rychlik. Dass in der Zeit vom 13. Juni ein Artikel über ihn und seine Schule erschienen ist, hat triftige Gründe: Zwei seiner Schülerinnen haben Kinder bekommen, die erste im Februar 2000. Was nun tun mit den Babies, wenn die jungen Mütter ihren Schulabschluss machen sollten (und wollten)? Im ersten Fall sagte der Rektor: Bring dein Kind mit, wir schaffen das schon.
Dann meldete sich eine weitere Schülerin in dieser Schule an und bekannte: Ich habe ein fünf Monate altes Baby. Der jungen Mutter wurde ohne weiteres erlaubt, ihr Kind in die Schule mitzubringen.
Jetzt geben diese Schülerinnen ihre Kinder morgens im Schulbüro ab. Für sie wurde eine Tagesmutter engagiert, die um halb neun in der Schule ihren Baby-Dienst antritt und vom Jugendamt finanziert wird. Ein Raum in der Sporthalle ist in ein Kinderzimmer verwandelt worden, mit einem Teppich, einem Wickeltisch und Spielsachen.
Die Zeit fragt den Schulleiter, ob nicht die Gefahr bestünde, dass diese jungen Mütter "mit der Verhütung nachlässig umgingen, wenn sie erleben, dass sie ihr Kind einfach in die Schule mitbringen können? Der Rektor: "Die Schwangerschaftszahlen unterscheiden sich an meiner Schule nicht von bundesweiten Vergleichszahlen."
Ich frage mich, ob die fabelhafte Hilfsbereitschaft dieses Schuldirektors und seines Personals "normal" ist. Schwer vorstellbar! Wickeln und Füttern bleibt Sache der jungen Mütter.

Die nicht zuletzt von Martin Walser losgetretene Diskussion über Antisemitismus hat die Zeit vom 13. Juni veranlasst, das Zitat "Die Juden sind unser Unglück" zum Titel eines Artikels über den Berliner Geschichtsprofessor Heinrich von Treitschke zu machen, von dem das Zitat aus dem Jahr 1879 stammt.
Die politische Reichseinheit war mit dem Krieg von 1870/71 erreicht worden; die kulturelle stand noch aus. Der Historiker Treitschke war zu einem leidenschaftlichen Anhänger von Bismarck und zum "Herold der Reichsgründung" geworden. Er saß für die Nationalliberalen (die in der Weimarer Republik zu Hugenbergs Deutschnationalen geworden sind) im Reichstag und lenkte sie auf den konservativen Kurs Bismarcks hin: Er stieß dabei auf den Widerstand von zwei jüdischen Liberalen - Ludwig Bamberger, (1823 - 1891) und Eduard Lasker (1829 - 1884).
Der Zustrom "Hosen verkaufender Jünglinge" aus dem Osten werde "ein Zeitalter deutsch-jüdischer Mischkultur" heraufführen. Der gewöhnliche deutsche Jude dominiere mit seiner Schar von semitischen Talenten dritten Ranges. Hier folgt das Treitschke-Zitat: "Bis in die Kreise der höchsten Bildung hinauf (...) ertönt es heute wie aus einem Munde: ›Die Juden sind unser Unglück!‹"
Der Streit über die Stellung der Juden in der deutschen Nation reicht weit ins vorvorige Jahrhundert zurück. Umso peinlicher und erschreckender, dass er eine unfassbare Aktualisierung erfahren hat.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden