Die da oben

Im Rausch Vieles spricht dafür, dass einigen Promis die sexuelle Form der Machtausübung ähnlich wichtig ist wie die politische

Politik", so haben wir vergangene Woche aus dem Munde von Herrn Schill, erfahren, "ist ein schmutziges Geschäft". Die Bilder, die seinen Abgang von der Hamburger Senatsbühne illustrieren, suggerieren uns seine Zugehörigkeit zur Kokser- und Prostitutionsszene, die schon bei Friedman und jüngst bei "Kanzlerfreund" Immendorff zutage trat. Politik ist damit in der breiten Öffentlichkeit auf dem gleichen Niveau der Wertschätzung gelandet, auf dem der Sexskandal schon lange verharrt: allgemeines entsetztes Kopfschütteln über "die da oben". Obwohl: Mann wäre doch gerne mal dabei gewesen, nur einmal, zum ausprobieren. Denn Macht ist eine verführerische Droge, und beides, Politik und Sex, käuflicher zumal, haben sehr viel mit Machtausübung über andere Menschen zu tun.

Ereignisse der jüngeren Vergangenheit lassen befürchten, dass beide, Politik und Sex, auch im Alltag beunruhigend mehr miteinander zu tun haben, als Bild und Bunte uns offenbaren. Die widerlichste Affäre dieser Art, der belgische Fall Dutroux, wird vermutlich schon deswegen nicht aufgeklärt, weil Politik und Justiz selbst mit im Geschäft waren. In Frankreich findet gerade ein Gerichtsverfahren statt, das herausfinden soll, ob sich tatsächlich fast die gesamte Elite der Stadt Toulouse an Sado-Maso-Orgien beteiligt hat, bei denen Prostituierte ermordet wurden. Ein 3sat-Film schilderte kürzlich den Frauenhandel von Osteuropa über Montenegro nach Italien, bei dem praktischerweise gleich ein stellvertretender Generalstaatsanwalt die Fäden in der Hand gehalten haben soll. In Städten Südalgeriens tobten, so schilderte es Sabine Kebir, Massenvergewaltigungen, die nach Kräften von Politik und Justiz banalisiert werden. Alles weit weg?

Was den Ghetto-Machos lieb ist, ist unserer Elite nicht fremd. Nehmen wir den französischen Elf-Konzern. Sie wissen schon, die Sache mit den verschwundenen Kanzleramtsakten. Dieser Konzern beschäftigte die "Hure der Republik" (so ihr eigener Buchtitel), um sich den Außenminister gefügig zu machen. Ob er das nur in Frankreich getan hat? Und nur mit dieser einen Frau, die sich mit ihrem Buch dagegen wehrte, zur Alleinschuldigen gemacht zu werden? Wie geht er wohl vor, wenn er sich Ölquellen in Mittelasien oder Afrika sichern will?

Oder die Westdeutsche Landesbank: den verstorbenen NRW-Finanzminister Schleußer, also ihren damaligen Chef-Aufseher, flog sie mit Mätresse zu seinem Segelboot an der Adria. Nur ihn und sie? Nachdem die Bank jüngst ein paar Milliarden in den Sand gesetzt hat, wurden mehrere Vorstandsmitglieder gefeuert, gegen großzügiges Schweigegeld. Die bei der WestLB angestellte Bankerin in London, die den Löwenanteil der Verluste operativ verursacht haben soll, sitzt noch im Amt. Nicht nur die Boulevard-, sondern auch die Wirtschaftspresse schrieb einsilbig, aber genüsslich (nach dem Motto: "wir wissen mehr, als wir schreiben!"), die Dame habe in Bankerkreisen sehr beliebte "Togapartys" in der Toskana gegeben. Könnte also sein, dass das Schweigegeld für sie etwas umfangreicher als für die abgefundenen Vorstandsmitglieder ausfallen muss. Ob Konzernen wie Siemens, Daimler-Chrysler, Thyssen-Krupp, RWE oder EON solche Gefälligkeiten fremd sind?

Viele fragen, warum sich Leute wie Immendorf und Friedman, also Medienprofis, bei solchen Fehlern "haben erwischen lassen". Eine Antwort ist, dass solche Medienprofis in der Regel die Maßstäbe für das gewöhnliche Alltagsleben verloren haben. Eine Ausrede, die sie als Medienprofis gar nicht erst versuchten, aber wahrscheinlich gedacht haben, ist außerdem: "Das machen sie doch alle". In der Friedman-Affäre blieb bisher offen, ob drei Dutzend Bundestagsanschlüsse den gleichen Callgirl-Ring frequentierten. Noch rätselhafter blieb, wie im Zuge der Ermittlungen eine Computerfestplatte aus einem Streifenwagen im Innenhof des Polizeipräsidiums verschwinden konnte.

Die Talkshows diskutieren diese Dinge unter der Fragestellung, "wie privat" das Leben eines Politikers sei. Das ist kaum sachgerecht und verdeckt die Frage, wie käuflich und erpressbar Politik ist. Und es spricht vieles dafür, dass einigen Promis die sexuelle Form der Machtausübung ähnlich wichtig ist wie die politische. Und die dunkle Seite bleibt wie immer verborgen: die der Opfer von Menschenhandel, Zwangsprostitution und Illegalisierung von Einwanderung. Ihre Stimme fehlt im deutschen Medienrauschen.

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