Als vor über 30 Jahren Videotext in der Bundesrepublik gestartet wurde, erfreute sich die technologische Neuerung eines beträchtlichen Medienechos. Heute beachtet die Konkurrenz den dahinvegetierenden Videotext kaum mehr, weder positiv noch kritisch. Daran ändern auch Umstrukturierungen wie die vor ein paar Tagen wenig – Berichte über den Relaunch sucht man vergebens. Warum auch? Videotext ist immer noch ein Riesenkäse, der vor allem aus Löchern besteht.
Wir haben von den rund 20 Rubriken, in denen – neben Nachrichten, Wirtschaft, Sport – Information abgepackt wird, einige „bildungsverdächtige“ Sparten über eine gewisse Zeit verfolgt. Immerhin soll Videotext laut ARD- Mitteilung täglich von 15 Millionen Lesern genutzt werden.
Die Überprüfung der Ressorts „Wissen und Umwelt“, „Multimedia“, „Gesundheit“ und „Verbraucher“ führte leider zu massiver Enttäuschung. Wie immer man den öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag definieren will – hier kommt er mit Gewissheit nicht zum Ausdruck.
Die Familie der Zwergdeckelschnecken
Dabei fehlte es an Raum eigentlich nicht. Jede Sparte könnte jeden Tag problemlos neun Meldungen präsentieren. Unsere Statistik über mehrere Monate zeigt aber, dass durchschnittlich 76 Prozent der täglichen Nachrichten in diesen vier Sparten nichts als die „News“ vom Vortag sind. Von Samstag bis Montag gibt es in der Regel überhaupt nichts Aktuelles.
Diese behäbige Informationsantiquitätenbörse verliert ihren Reiz noch durch die Auswahl der Meldungen. Wie wichtig ist es etwa, darüber informiert zu werden, dass Kanarienvögel im Allgemeinen nicht schwerhörig zur Welt kommen? Oder dass man in einem sulawesischen See neue Exemplare aus der Familie der „Zwergdeckelschnecken“ gefunden hat? Eine Liste riskanter Medikamente, die in den Printmedien ohne Verzögerung veröffentlicht wurde, brauchte dagegen eine volle Woche, bis sie auch im ARD-Videotext eintraf. Eine Meldung des British Medical Journal über Gefahren der Calcium-Einnahme landete erst nach zwei Monaten im Videotext. Unterdessen wurde öfter verkündet, „Schokogenuss“ diene der Herzgesundheit.
Am trefflichsten kommt die dada- istisch anmutende Informationspolitik des öffentlich-rechtlichen Videotexts aber zum Ausdruck, wenn mitunter eine Meldung am selben Tag in derselben Rubrik zwei Mal auftaucht: „Japanisches Dorf startet Delfinjagd“ und, nur zwei Schlagzeilen entfernt, „Delfinjagd in Japan hat begonnen“.
Eine Phimose ist eine Phimose ist eine Phimose
Noch nicht einmal über die Sprache, in der diese Meldungen abgefasst sind, bleibt allerdings etwas Positives zu sagen. So warnte Videotext Internetnutzer, man gelange da zu einer Adresse, „unter der eine täuschend echt nachgemachte Seite … aufgesetzt hatte“. Eine bestimmte Kost, heißt es an anderer Stelle, sei „ungesünder“. US-Forschern sei es gelungen, „die Fähigkeit eines Pilzes mit denen von Hefe zu kombinieren“. Die programmatische Redundanz des Angebots schlägt an anderer Stelle bis auf die Sprache durch: „Die betreffenden Hirnleistungen sind für komplexe Denkleistungen zuständig.“
Gelegentlich allerdings gelingen der improvisatorischen Videotext-Kunst Formulierungen von monumentaler Erhabenheit. Als eine solche darf die Definition gelten, die von der ARD zum Begriff „Phimose“ für die allgemeine Bildung zur Verfügung gestellt wurde. Wir zitieren wortgetreu: „Eine Phimose oder Vorhautverengung ist eine Verengung der Vorhaut des Penis“. Genauer kann man das nicht sagen.
Heinz Knapp ist Soziologe und hat den ARD-Videotext über mehrere Monate sehr intensiv verfolgt
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