Von den Räumen im siebten Stock eines in die Jahre gekommenen Bürohauses am Kölner Hansaring schauen Alexander Beneke und Carsten Baiersdörfer auf das gegenüber gelegene Stammhaus von Europas größter Medienmarktkette. Wollen sie den wichtigsten Kunden ihres Heimvideo-Labels Bildstörung direkt im Blick haben? Beneke lacht und verneint. Das Hauptgeschäft laufe längst über das Internet.
Das verwundert nicht. In Elektronikmärkten werden DVDs und Blu-rays in erster Linie als Ramschware gehandelt: Egal ob Keinohrhasen oder Der dritte Mann, die DVD darf nicht mehr als fünf Euro kosten, die Blu-ray deutlich weniger als zehn. Darauf wollte sich Bildstörung nie einlassen, auch wenn der DVD-Markt bereits vor knapp zehn Jahren nicht
vor knapp zehn Jahren nicht mehr boomte, als die beiden damals Anfang 30-Jährigen ihre Firma gründeten.„Damals gingen eine Reihe von Firmen pleite“, erinnert sich Beneke. „Für uns war das von Vorteil: Wir hatten nicht erst hochtrabende Träume, was Umsätze anbelangt. Man wusste, es geht wenig.“ Die beiden setzten von Anfang an auf eine Nische, die in Deutschland nicht wirklich besetzt war: DVDs, später auch Blu-rays, die von der Bildqualität, dem Bonusmaterial und der Verpackung her herausstechen, die zeigen, dass hier mit Liebe und Sorgfalt ein Film für die bestmögliche Präsentation in den eigenen vier Wänden aufgearbeitet wurde. Vorbild waren Firmen wie Criterion (USA)oder Eureka (Großbritannien) – auch wenn die wesentlich größer sind als Bildstörung. Das führt dazu, dass Beneke und Baiersdörfer vieles selber machen, bis hin zu den umfangreichen Extras, die jede Veröffentlichung begleiten. Bei dieser Do-it-yourself-Arbeitsweise schaffen sie nicht mehr als drei bis vier Filme im Jahr. Es hilft, dass Beneke von der technischen Seite kommt: Er hat Medieninformatik studiert und neben Bildstörung noch eine Firma für DVD-Mastering, zu deren Kunden etwa der Kölner Verleih Rapid Eye Movies zählt. Darüber lernte er Baiersdörfer kennen, der nach seinem Filmwissenschaftsstudium in Bochum dort als Produktmanager arbeitete.Bildstörung hat seine treue Fangemeinde natürlich nicht nur über Bildqualität, Extras und Covergestaltung ihrer Produkte gewonnen, sondern über die Filmauswahl. Was einen Bildstörung-Film ausmacht, mag Baiersdörfer aber nicht definieren: „Wir gucken da nach gar nichts, weder nach Land noch nach Genre noch nach Entstehungszeit. Privat sehen wir alles. Es gibt keinen Plan: Der Film und die Arbeit daran müssen Spaß machen.“ Beneke: „So etwas wie eine Handschrift sieht man eher von außen.“ Worauf die beiden sich einigen können, ist, dass sie Filme mögen, die sich Genregrenzen widersetzen.Ungarische NordseeUnter anderem haben sie in den letzten zehn Jahren Werke herausgebracht von Alejandro Jodorowsky, Walerian Borowczyk und Elio Petri. Ein gutes Beispiel für einen Bildstörung-Film ist Andrzej Żuławskis Possession (1981). Isabelle Adjani spielt darin eine junge Ehefrau und Mutter, die sexuell abhängig ist von einem seltsamen Tintenfischwesen, das in einer verfallenen Kreuzberger Wohnung haust. Weit eher als ein Monsterfilm ist Possession ein explosives Beziehungsdrama und ein Berlin-Film, in dem die Mauer fast die Hauptrolle spielt. Im Vergleich eher bezaubernd wirkt Valerie (1970) von Jaromil Jireš, einer der letzten Filme der tschechischen „Neuen Welle“, der Ängste und Sehnsüchte eines Mädchens an der Schwelle zum Erwachsensein in eine surrealistische Mischung aus Märchen- und Horrorfilm packt. Beim Blick von außen auf den Bildstörung-Katalog fällt ein Hang zur schwarzen Romantik auf. Sosehr sich Beneke und Baiersdörfer fernhalten von wohlanständigem Arthouse-Kino, so wenig findet man bei ihnen geradlinige Horror- oder Exploitationware.Filmische Schauerromantik bietet auch ihre aktuelle Veröffentlichung: Robert Sigls Laurin aus dem Jahr 1989. Im umfangreichen Booklet erinnert sich der Regisseur, wie er am Anfang des Projekts nur ein Bild vor seinem inneren Auge hatte, „eine junge Frau in einem weiten, schwarzen Kapuzenmantel, die durch eine stürmische Gewitternacht über einen Friedhof eilt“. Diese Szene gibt es im Film, der sich als unklassifizierbarer entpuppt, als dieses Gruftiklischee-Bild vermuten lassen würde.Die junge Frau im Kapuzenmantel stirbt bald. Sie wird Zeugin des Mordes an einem kleinen Jungen und verunglückt auf der Flucht vor dem Mörder. Hauptfigur ist fortan ihre neunjährige Tochter Laurin. Da der Vater zur See fährt, wird das Mädchen von der Großmutter aufgezogen. Eines Tages kommt der Sohn des tyrannischen Dorfpfarrers vom Militärdienst zurück und wird Lehrer an Laurins Dorfschule. Er verhält sich merkwürdig, besonders gegenüber ihrem besten Freund, dem kränklichen Jungen Stefan. Die Auflösung des Mordfalls offenbart psychische Abgründe von einer Tragik, wie sie im deutschen Kino seit der Weimarer Zeit selten ist.Dass Laurin von Beginn an in einer seltsamen Parallelwelt zu spielen scheint, die weniger mit der Realität des 19. Jahrhunderts zu tun hat als mit der eines Märchens, lag auch am Budget: Um Kosten zu sparen und die Auswertungsmöglichkeiten zu erweitern, wurde in Ungarn auf Englisch gedreht, obwohl Namen und Handlung eher einen Ort irgendwo an der Nordsee vermuten lassen.Als der Film 1989 herauskam, waren die Reaktionen gemischt. Sigl schreibt im Booklet, ein Mitarbeiter im Bundesinnenministerium habe ihm gesagt, ein Deutscher Filmpreis käme nicht in Frage „wegen zu vieler byzantinischer Gesichter“. Aus den Kinos verschwand Laurin rasch. Sigl ging in seinen Job als Nachtwächter in einem Parkhaus zurück, erst sechs Jahre später konnte er wieder als Regisseur arbeiten.Wie Laurin zu Bildstörung kam, das war eher ungewöhnlich, weil keine Recherche nötig war. Beneke: „Wir hatten über einen Redakteur Kontakt zu Robert. Für uns war es auch einfach, weil die Rechte bei ihm selber lagen.“ Veröffentlichungen scheitern nämlich nicht nur daran, dass Rechteinhaber zu viel Geld verlangen, sondern auch daran, dass sie gar nicht erst ausfindig gemacht werden können. „Es kann auch sein, dass die Rechteinhaber gar nicht wissen, dass sie sie besitzen“, erklärt Baiersdörfer.Genauso wichtig wie die Rechtefrage ist, ob noch eine halbwegs gut erhaltene Kopie des Films aufzufinden ist. Bei Laurin war das Negativ von Robert Sigl selbst bei Arri in München eingelagert worden. Bildstörung hat es erst waschen, dann scannen lassen, um die Rohdaten digital bearbeiten zu können. Unter der Aufsicht von Sigl wurde eine neue Farbbestimmung gemacht. Für Baiersdörfer ein Idealfall. Ziel sollte es sein, so Beneke, dass der Film am Ende aussieht „wie eine frisch gezogene Kopie zum Kinostart“.Doch was ist, wenn der Regisseur selbst im Nachhinein seinen Film „verbessern“ will? Beneke erzählt, dass der belgische Regisseur Harry Kümel einige Day-for-Night-Aufnahmen, also Tageslicht-Aufnahmen, die durch Tricks wie Nachtaufnahmen wirken sollen, von Blau zu Schwarz korrigiert hat für die Bildstörung-DVD seines Vampirfilms Blut an den Lippen (1971). Für Beneke ist das ein Grenzfall. „Das war damals, als der Film gedreht wurde, technisch nicht möglich. Ich finde schon, dass man das machen kann. Anders ist es, wenn teilweise bei Hollywoodfilmen komplett andere Farbstimmungen hergestellt werden.“ „Vielleicht gibt es kein finales Filmwerk, wie man sich das immer so wünscht“, ergänzt Baiersdörfer, es gebe immer nur unterschiedliche Interpretationen.Eigentlich müssten solche Diskussionen in Stiftungen und Archiven geführt werden, sind die beiden sich einig. Wissenschaftlich strenge Maßstäbe könnten privatwirtschaftliche Firmen nicht anlegen, dafür fehlten bei allem Enthusiasmus Zeit, Geld und Know-how. Auf die Frage, ob sie überhaupt von ihrem Herzensprojekt leben können, antwortet Baiersdörfer lachend mit zwei Worten: „Hauptaufgabe, Nebenverdienst.“Placeholder infobox-1
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