Roman Mit „Träumer des Absoluten“ kehrt Michael Wildenhain ins politische Milieu zurück. Es ist der Roman von einem Trio infernal und einer Menage à trois zugleich
Nicht selten schreiben Autoren, auch wenn sie auf ein umfangreiches Werk zurückblicken können, im Grunde an einem einzigen Buch. Man mag mit Thomas Mann vom Lebensbuch sprechen, von einer literarischen Obsession oder zumindest einem eminenten Interesse, sich einem bestimmten Thema immer wieder, wenn auch auf unterschiedliche Weise, zu nähern. Dieses Phänomen zieht sich durch die Literaturgeschichte und lässt sich auch bei unseren zeitgenössischen Schriftstellern beobachten: zum Beispiel bei Herta Müller und ihrer subtilen Auseinandersetzung mit den Traumata von Menschen, die im rumänischen Staat unter der Verfolgung durch den Geheimdienst Securitaté zu leiden hatten.
So scheint es auch beim Berliner Schriftsteller Michael Wildenhain, als kreisten
s kreisten seine Romane und Erzählungen im Kern um die Berliner Hausbesetzer- und Autonomenszene der frühen achtziger Jahre, in der er sich selbst einige Zeit bewegt hat. Nach dem Abitur absolvierte Wildenhain zudem ein Maschinenbaupraktikum, studierte dann verschiedene Fächer (Mathematik, Wirtschaftswissenschaften, Philosophie, Informatik), schlug sich nebenher mit Gelegenheitsjobs durch und ähnelt mit dieser Biografie sehr dem Erzähler seines jüngsten Romans Träumer des Absoluten.Schon in Michael Wildenhains Debüterzählung zum beispiel k. (1983) versteht sich der West-Berliner Student und Hausbesetzer K. als „outlaw“, als „Insulaner“ inmitten trostloser Häuserschluchten und toter Gesichter; ein rastloser Romantiker, für den das Leben „süß und bitter“ zugleich ist, ein Tagträumer und Steinewerfer, Beckett-Leser und passionierter Kinogänger, der inmitten von Demonstrationen, Räumungen, Vollversammlungen und Verfolgungsjagden „verwirrt“ am eigenen Mythos bastelt, ohne seinen Lebenshunger restlos stillen zu können.Allmählich erkennt er die Ziellosigkeit seiner Existenz. Die haltlose Verstrickung in Liebesbeziehungen, die zermürbende, allgegenwärtige Gewalt der Polizeiorgane und die desillusionierende, weil häufig parasitäre Haltung der Mitstreiter im Häuserkampf veranlassen ihn dazu – genauso wie den ihm wesensverwandten Ich-Erzähler des Romans Prinzenbad (1987) ‑, immer wieder ausbrechen. Aber die Gewissenskonflikte, die aus einer scheinbaren Unvereinbarkeit von politischem Bewusstsein und „normalem“ Leben entstehen, holen beide immer wieder ein, lassen sie zurückkehren in das vom Erzähler in assoziativer Reihung und Brechung erfasste Magnetfeld ihrer unerfüllten Sehnsüchte, bis sie das nächste Mal fliehen werden: „Die Stadt besteht aus Gesichtern / Die Tage sind Dröhnen und Dreck / Zwischen Kauen und Kichern / Tauche ich weg“ (Das Ticken der Steine, 1989).Kreuzberg der AchtzigerMit grellen Farben und in gehetztem Rhythmus hat Wildenhain die autonome Szene im Kreuzberg der achtziger Jahre porträtiert, notiert, wie der anfänglichen Euphorie des Kampfes erste Ermüdungserscheinungen anzumerken waren und schließlich in seinem 1991 erschienenen, mit Döblins Berlin Alexanderplatz verglichenen Roman Die kalte Haut der Städte den Abgesang auf das Ende einer Illusion angestimmt.Expressiv, aus vielen Blickwinkeln heraus beobachtet, mit harten Blenden und filmischen Schwenks im Montagestil arbeitend, zieht Wildenhains erster Roman Bilanz nach einem Jahrzehnt der Revolte: „Was ist uns geblieben als Kämpfen und Lieben“. Auch im nächsten Roman, Erste Liebe Deutscher Herbst (1997), in dem ein Musterschüler sich zum ersten Mal verliebt, in linke Kreise gerät und erleben muss, wie Freunde verwahrlosen, zu Tode kommen, bleibt er, leicht erweitert, beim Thema.Im aufgeheizten Klima von 1977 mit den Anschlägen der RAF, Berufsverboten, Anti-AKW-Demos, Rasterfahndung und allgemeiner Hysterie erzählt Wildenhain im Stil einer Rollenprosa von den Verwirrungen der Gefühle und der Geschichte; sein Ich-Erzähler schliddert fast unbedarft durchs um ihn herum aufgewühlte Leben, während sich andere radikalisieren, ihre kaputten Elternhäuser verlassen und doch nur orientierungslos und traumatisiert herumirren. Mit Russisch Brot (2005) wendet sich Wildenhain zwar dem Berlin der Nachkriegszeit zu, doch immerhin bleiben Berlin und die Schilderung einer Jugend weitere Konstanten seines Erzählens.Mit dem aktuellen Roman knüpft Wildenhain wieder direkt an „sein“ Thema an. Er erzählt die Geschichte von Tariq, Judith und Joachim (dem Erzähler) vom Frühsommer 1970 bis in die Mitte der achtziger Jahre. Ein Trio infernal und eine Menage à trois zugleich – zwischen Turnsport, politischem Kampf und Liebesmüh entwickeln sich drei Lebensläufe, eng verzahnt und doch grundverschieden.Während Tariq, ein hochbegabter Mathematiker und Rhetoriker, permanent die Provokation und die politische, auch gewaltsame Auseinandersetzung sucht und sich dabei immer mehr verliert, grenzt sich Joachim immer wieder schweren Herzens von seinem Einfluss ab und geht seinen eigenen Weg, der ihn letztlich in eine bürgerliche Existenz führt.Judith ist das Objekt ihrer beider Begierde, vielleicht die schwächste Figur in diesem Roman, eher eine Projektionsfläche der beiden männlichen Protagonisten als eine eigenständige und aktive Heldin.Akt der SelbstauflösungTariq, der Volkstribun und Einzelkämpfer zugleich ist, ist die faszinierendste Figur in diesem Strom der Irrungen und Wirrungen; für ihn scheint alles möglich, die Grenzen der Legalität beliebig erweiterbar, ein Hasardeur und Charismatiker, der sich militant gibt und am Ende doch seine Ideen – im Rahmen einer Kronzeugenregelung vor Gericht – verrät.Daran ändert auch der etwas esoterische Schluss des Romans nichts, als sich Tariq in einem finalen Akt gleichsam der Selbstauflösung übergibt. Bei Joachim, seinem Freund und Gegenspieler, überwiegen Scham und moralische Skepsis, auch wenn er immer wieder der Attraktivität Tariqs (durchaus mit homoerotischer Konnotation) und seiner Ideen erliegt.Wildenhain beschreibt sehr einfühlsam und kenntnisreich die Versuchungen, denen junge Menschen mit politischem Bewusstsein und Idealismus ausgesetzt sind. Von der Kampagne und Demonstration bis zur Gewalttat und dem Schritt in die Illegalität („Revolution, mindestens“) – auch jenseits konkreter Zeitgeschichte wird hier erkennbar, wo die Risse verlaufen und die Wege auseinander gehen können. Das macht diesen Roman nicht nur zu einem Dokument der historischen Ereignisse, sondern beschreibt darüber hinaus, was mit Menschen passieren kann, die aus sozialen Kontexten herausfallen, die keine Regeln mehr erkennen können und deren Sensibilität in den gesellschaftlichen Echoräumen keinen Widerhall findet.
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