Die lieben Korrektoren

Medienkritik Wenn bei Bild oder beim Spiegel der Fehlerteufel zuschlägt, nehmen sich Blogger des Falls an. Bisher traut sich keine Zeitung, selbst einen Korrekturblog aufzumachen

Wahrscheinlich hätte es so weit nicht kommen müssen. "Wissen Spiegel-Leser wirklich mehr?", steht im Kopf des noch jungen Spiegel-Blogs, der Deutschlands größtes Nachrichtenmagazin neuerdings auf Fehler, Stilblüten und Enten durchforstet. Die Korrekturseite folgt dem gleichen Prinzip wie Bild-Blog, der seit Juni 2004 mit beachtlichem Erfolg und der Hilfe einer Schar ehrenamtlicher Helfer die großen Unwuchten und kleinen Ungereimtheiten der Bild-Zeitung richtig stellt.

Eingerichtet hat den Spiegel-Blog der freie Journalist Torsten Engelbrecht, der hauptberuflich für taz, Financial Times Deutschland und Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung arbeitet. "Mit seinen Analysen möchte SPIEGELblog dazu beitragen, die Öffentlichkeit dafür zu sensibilisieren, selbst Leitmedien wie dem SPIEGEL nicht blindlings Glauben zu schenken", schreibt Engelbrecht auf der Webseite.

Nun ist die Spiegel-Dokumentationsabteilung, die jeden Artikel vor Veröffentlichung auf Korrektheit prüft, eher eine erfreuliche Ausnahme in der deutschen Presselandschaft. Umso härter dürfte es das Ansehen des Magazins treffen, sollte sich der Blog schnell füllen. Wie groß zumindest das Potenzial dafür ist, beweist seit zwei Jahren spiegelkritik.de. Die Plattform will kein Korrekturblog sein, füllt mit Zitaten unzulänglicher Berichterstattung aber trotzdem hunderte Bildschirmseiten.

Es scheint, als würden Korrekturblogs Lesern vor allem ermöglichen, ihre Schadenfreude am Versagen der vermeintlich allmächtigen "Meinungsmacher" zu zelebrieren. Und wahrscheinlich beruht ihr Erfolg wirklich darauf, dass sie auf eine Kränkung reagieren. Es ist die jedem Leser bekannte Erfahrung, dass er bei der Konstruktion öffentlicher Meinung kaum Widerspruch einlegen kann - was insbesondere dann bewusst wird, wenn die veröffentlichte Weltsicht der eigenen zuwiderläuft.

In einer solchen Situation erweist sich selbst ein sprachlicher Lapsus im Text als erlösendes Moment. Weil er eindeutig, oder doch zumindest offensichtlich ist, versichert der Fehler dem Entdecker seine Kompetenz und entlastet den Leser bei einer Konfrontation mit dem Autor von der Gefahr des Widerspruchs.

Möglich, dass aus diesem Grund bisher kein Verlag den Mut gefunden hat, auf der eigenen Homepage einen Korrekturblog für die Hauszeitung einzurichten. Allerdings zeigt der Erfolg der netzbasierten Korrekturspalten auch, dass sich ihre Funktion nicht in einer sozial akzeptierten Form der Besserwisserei erschöpft. Fiel es den Machern des Bild-Blogs beim Start leicht, ihre Seite zu füllen, sollen sie in letzter Zeit Probleme haben, genügend berichtenswerte Fehler zu finden. Inzwischen sind sie jedenfalls dazu übergegangen, den Fehler-Scan auch auf andere Zeitungen auszuweiten und den Slogan auszurufen: "Bild-Blog für alle!"

Den Verlagen sollte diese Entwicklung zu denken geben. Denn in ihr liegt auch eine Chance. Fehler sind im redaktionellen Alltag nie komplett zu vermeiden. Und so erscheint es bloß als Frage der Zeit, bis sich die eigene Zeitung an einem fremden Online-Pranger wiederfindet.

Würde eine Zeitung dagegen selbst eine interaktive Korrekturspalte im Internet einrichten, wäre das mehr als ein Versuch, Kritik am eigenen Produkt zu domestizieren. Es wäre ein Zeichen von Souveränität. Und wohl auch ein Signal, dass man den Lesern so gegenübertritt wie andere es nur behaupten: auf Augenhöhe.

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