Die Quadratur des Kreises

Kommentar Große Koalition oder Neuwahlen?

Edmund Stoibers Satz, mit dem er sich verbat, dass frustrierte Wähler über die Zusammensetzung des nächsten Bundestags und Bundeskabinetts entscheiden, erwies sich angesichts des CSU-Ergebnisses in Bayern als selbst erfüllende Prophezeiung. Immerhin reichte die Zahl der Enttäuschten aus, den beiden Großparteien ungefähr acht Prozent der Stimmen zu entreißen. Die brauchen nun, um eine überzeugende Parlamentsmehrheit zustande zu bringen, nicht wie früher einen, sondern gleich zwei Partner - oder aber eine Große Koalition. Beide Varianten sind bestenfalls Notlösungen und bergen kaum vorhersehbare Schwierigkeiten in sich.

Das Hauptproblem von Konstellationen à la Ampel, Schwampel oder Jamaica, das diese in reine Worthülsen zu verwandeln droht, liegt in der Tatsache, dass derartige Koalitionen quer durch die identitätsstiftenden Prinzipien und Programme der potentiellen Beteiligten laufen. Hier kann man keine sinnvollen Geschäfte eingehen, etwa: Billigung der homosexuellen Ehe im Austausch für eine gestärkte Rolle der Familie. Mehr Staat zugunsten von weniger Staat. Oder: Unterstützung der türkischen EU-Mitgliedschaft im Tausch gegen eine Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken. Nein, danke.

Dies trifft erst recht auf die Große Koalition zu. Nehmen wir an, der Vorstand der SPD hätte den - übrigens unbegründeten - Anspruch Gerhard Schröders aufgegeben, seine Kanzlerschaft zu verlängern. Dann bliebe nur noch die Aufgabe, die seinerzeit Kurt Tucholsky besungen hat: "Schließen wir ´nen kleinen Kompromiss! / Davon hat man keine Kümmernis./ Einerseits, andrerseits/ - dieses Ding hat manchen Reiz." So wäre gewiss unschwer eine Regierung zu bilden - aber ließen sich so die Probleme lösen? Die sind ökonomischer und sozialer Natur und allein durch Regieren kaum aus der Welt zu schaffen. Die Bürger, die wahrscheinlich nicht zufällig ihre Präferenz für eine der beiden Parteien den Wahlurnen anvertraut haben, wären damit um ihre Vorliebe betrogen. Ohnehin ähnelt diese Prozedur der freien Ärztewahl: Man darf zwar entscheiden, welchem Doktor man die Medikamente abnimmt, aber den Preis (und die Praxisgebühr) zahlt in jedem Fall der Patient.

Der andere Nachteil eines gemeinsamen Kabinetts aus CDU/CSU und SPD - sagen wir am Montag, Mittwoch und Freitag mit Herrn Schröder, am Dienstag, Donnerstag und Samstag mit Frau Merkel an der Spitze (am Sonntag ist Ruhetag) - wäre die damit suggerierte Vorstellung eines letzten Aufgebots im Krisenmanagement. Der Misserfolg eines solchen Unternehmens könnte verheerende psychologische Folgen nach sich ziehen. Die Beteiligten würden noch mehr an politischem Kredit verlieren, ohne dass die Glaubwürdigkeit der anderen, draußen gebliebenen Parteien für eine stabilisierende Wirkung sorgen könnte.

Am wenigsten überzeugend fand ich bisher die von allen anderen Parteien betriebene grundsätzliche Ausgrenzung der Linkspartei. Eine Politik der Quarantäne ist zumeist kontraproduktiv - das zeigte nicht zuletzt der Umgang mit den Grünen während der achtziger Jahre. Die um Oskar Lafontaine "bereicherte" PDS vertritt, samt ihren Wurzeln in der DDR, zwar nach wie vor maßgebende Wählerinteressen im Osten, aber sie hat durchaus die Möglichkeit, im Verlaufe eines Generationswechsels ihr eigenes Profil als gesamtdeutsche Partei aufzubauen, auch wenn die Parteienlandschaft in den neuen Ländern noch lange für Überraschungen gut bleibt wie die polnische oder tschechische - der Weg zur freien Willensbildung dauert lange. Man darf die Linkspartei nicht aussperren, sondern muss sie beim Wort nehmen. Aufgrund ihrer populistischen Slogans glaube ich übrigens nicht, dass sie - um nur ein Beispiel zu nennen - nach dem Posten des Bundesfinanzministers trachtet.

Es gibt theoretisch eine Möglichkeit, die mir demokratisch und plausibel erscheint: Neuwahlen. Egal, welche der großen Parteien daraus als Siegerin hervorgeht, die Wähler hätten zumindest das Gefühl, die Geschehnisse der anstehenden Legislaturperiode stärker mitgestalten zu können.

György Dalos, Schriftsteller


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