It may sound a little strange / But it is not strange at all: / Every city is a house burning down“, singt Andreas Spechtl auf BHX Dub, dem vierten Stück seines neuen Soloprojekts Sleep. Verrätselt sind diese drei Verse, die schon den ganzen Text des Zweieinhalb-Minuten-Songs ausmachen. Warum jede Stadt ein brennendes Haus sei, dazu geben die wenigen Worte keine Auskunft. Einzige Fährte vielleicht ist der Titel, hinter dem sich der Code des Birminghamer Flughafens versteckt. Dort hat Spechtl im April 2015 eine Reihe von field recordings aufgenommen, die er zu einer atmosphärischen Dub-Collage zusammengemixt hat.
Nach Birmingham kam der Sänger der österreichisch-berlinerischen Band Ja, Panik als Gast der dortigen Aston University. Man hatte ihn als ersten
y. Man hatte ihn als ersten „Songwriter in Residence“ eingeladen. Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) und das Londoner Goethe-Institut förderten damit erstmals keinen Schriftsteller, sondern einen Songschreiber. Immerhin zeigt ein lyrischer, bildkräftiger Text wie von BHX Dub, dass ein Popsong durchaus so viel Poesie enthalten kann wie reguläre Gedichte.Überhaupt herrschen derzeit merkwürdige Zeiten für die deutsche Lyrik. Der Leipziger Buchpreis für Jan Wagners Regentonnenvariationen mag im Frühjahr einen kleinen Lyrik-Hype nach sich gezogen haben, doch zugleich wird im Nachwort des Jahrbuch Lyrik 2015 beklagt, dass die lyrische Ernte zur Zeit eher mager ausfalle. Insofern liegt es durchaus nahe, sich auch in der Gegenwartsmusik umzusehen, wenn man nach relevanter Poesie sucht.Für die Mehrzahl der Pophörer – wie auch für viele Musiker – dürften Songtexte freilich kaum mehr als das Beiwerk zum Sound sein. Das ist bedauerlich, denn nicht nur in der Bibel war am Anfang das Wort. Wie das englische Wort lyrics (für: Liedtext) verrät, basierten die antiken Vorläufer der Popmusik auf Texten, die zu den Klängen der Lyra vorgetragen wurden. Was die Gegenwart angeht, beklagt so mancher kritische Kulturjournalist die Belanglosigkeit der Popmusik. Es mangele an musikalischer Innovation, schrieb etwa der Brite Simon Reynolds in Retromania. Warum Pop nicht von seiner Vergangenheit lassen kann (2012). Andere meinen, dass die Belanglosigkeit vor allem aus der untergeordneten Rolle der Texte resultiert, am fehlenden politischen Anspruch.Kritische Theorie mit GitarreIn der Tat wäre es erfreulich, wenn mehr Bands an ihren Texten ebenso intensiv feilen würden wie an ihrer Musik. So ähnlich wie zu Zeiten von Bertolt Brecht, als Popularität und Politik sich nicht gegenseitig ausschlossen. Die Kritische Theorie in Gitarrenmusik zu übersetzen, das war – grob gesagt – einmal das Projekt der Hamburger Schule, es gelang mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg.Tocotronic, die unermüdlichen Fahnenträger des Diskursrocks, haben unlängst ihr 20. Bandjubiläum gefeiert und sind mit einer im Blumenbar-Verlag erschienenen Werkschau geehrt worden, dem monumentalen Band Die Tocotronic-Chroniken. Den Worten von Textdichter Dirk von Lowtzow wird darin leider nur wenig Platz eingeräumt. Schade, denn Songtexte wie Tag der Toten gibt es so oft nicht: Da trifft Heiner Müllers Idee vom Theater als Dialog mit den Toten, da trifft der Zombie als popkulturelle Ikone mit dem mexikanischen Brauch des Día de los Muertos zusammen.Das Tocotronic-Stück Abschaffen greift das Versprechen der Oktoberrevolution, im Kommunismus selbst den Tod überwinden zu können, als irreale Hoffnung und Forderung wieder auf. Tocotronic sind immer dann ganz groß, wenn ihre Musik, wie in Wir sind viele, zum Vehikel eines kollektiven Sprechens wird, ohne dass sich die Band dabei zum Sprachrohr einer bestimmten Bewegung macht. Sie legt – gemäß dem Titel(song) ihres Albums von 2013 – allenfalls dar, Wie wir leben wollen.Darüber, wie wir hingegen leben müssen, unter den Bedingungen des heutigen Kapitalismus, hat Andreas Spechtl schon vor seinem Soloprojekt Sleep eine Reihe bemerkenswerter Songs geschrieben. Besondere Aufmerksamkeit verdient der Titelsong des 2011 erschienenen Ja, Panik-Albums DMD KIU LIDT, das der Band auch weit über die Musikpresse hinaus viel Aufmerksamkeit und Lob eingebracht hat. Die Akronymkette steht für die Feststellung „Die Manifestation des Kapitalismus in unserem Leben ist die Traurigkeit“.Schutzlose OffenheitWas das heißt – für ihn, für uns – hat Spechtl in tastenden, mäandernden Bewegungen und beständigen Umkreisungen festzuhalten versucht, fast 200 Zeilen und ganze 14 Minuten lang. Erzählt wird von einem, der auszieht in die weite Welt, um gescheitert heimzukehren. DMD KIU LIDT ist auch eine Selbstentblößung dessen, der da spricht. Und genau das stellt zur Diskussion, ob die mit schutzloser Offenheit eingestandene Schwäche eines Einzelnen nicht gerade das Paradigma liefert für einen Zwang, der alle betrifft: „Denn nicht du bist in der Krise, sondern die Form, die man dir aufzwingt.“ Manche seiner Worte schleudert Spechtl mit solcher Dringlichkeit heraus, dass es ihm vor Wut fast die Sprache zu verschlagen scheint.Zwischen existenziell klingendem Aufschrei und resignativ wirkendem Sichfügen schält sich bei DMD KIU LIDT die Erkenntnis heraus, dass die enttäuschte Hoffnung auf ein besseres Leben zwar in Depression mündet (für die das System schon passende Pharmazeutika bereithält), dass sich die eigene Traurigkeit aber auch zu einer Waffe, zur Basis einer neuen Verbundenheit und Solidarität machen lässt: „Die kommende Gemeinschaft liegt hinter unseren Depressionen / Denn was und wie man uns kaputt macht, ist auch etwas, das uns eint / Es sind die Ränder einer Zone, die wir im Stillen alle bewohnen. (…) Unser Schmerz, der darf nicht abfallen.“Am Ende des Stücks kündigt der Sänger an, dass seine wichtigsten Zeilen noch folgen werden. Zu hören sind dann sechs Minuten Stille. Ein Schweigen, das vielleicht zu verstehen ist als ultimativer Protest in einem Moment, in dem es nichts mehr zu sagen gibt. Ein Stück wie DMD KIU LIDT lässt sich insofern hören als Vorschein eines neuen Lieds, das noch gefunden werden muss, von Songschreibern wie Andreas Spechtl und anderen.Placeholder infobox-1
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