Die Rückkehr des Unterhaltungsorchesters

Lauschangriff Big Bands haben wieder Konjunktur. Was hat das zu bedeuten?

Gute Big Bands hat es im Jazz immer gegeben. Doch in den letzten Jahrzehnten traten die orchestralen Ensembles in den Hintergrund, interessant und prickelnd nur noch für Traditionalisten diverser stilistischer Prägungen.

Das ist heute wieder anders, Big Bands haben Konjunktur. Lange nicht mehr sind so viele neue Veröffentlichungen von Big Bands erschienen wie in den letzten Monaten. Und kaum jemals deckten sie eine breitere Spanne von Stilen und individuellen Ausdrucksweisen ab. Von den klassischen Zutaten des Clayton-Hamilton Jazz Orchestra mit seinen trennscharf gesetzten Bläsergruppen und seinem gefälligen Swing über die strotzende Professionalität der Roy Hargrove Bigband und den durchscheinenden Klang von Helge Sundes Ensemble Denada bis zu den Klangerforschungen von Lauer Large, einer Band um den Berliner Posaunisten Johannes Lauer, die im Geist der Drip Paintings eines Jackson Pollock zerklüftete Sound-Landschaften entwirft. Die Big Band ist ein Feld unbegrenzter Möglichkeiten.

Platzhirsche

In der Konjunktur der Big Bands spiegelt sich der Wandel im sozialen Umfeld des Jazz. Im Klub, seiner traditionellen Heimstatt, fehlt es an Platz und Aufmerksamkeit; die großen Tanzhallen sind mit der Tanzleidenschaft der Swing-Ära ausgestorben. Stattdessen zielen Big Bands auf den Konzertsaal mit Plüschsesseln und der Aura des Schönen, Guten, Wahren. Mit ihrem Übergewicht von Komposition und Struktur über die expressiven Komponenten der Improvisation nähern sie sich den Rezeptions-Anforderungen, die auch symphonische Orchester stellen.

Gleichzeitig ist das Revival der Big Band nicht zu trennen vom Aufschwung der Jazz-Pädagogik. Kein Jazz-Studiengang ohne Big-Band-Workshops, wo die jungen Talente in der Disziplin der großen Bands ihren Schliff verbessern. Dementsprechend gab es noch nie so viele hand­werklich erstklassig ausgebildete Jazzmusiker, die das saubere Blattspiel beherrschen und von klassischen Jazz-Sounds bis zur jüngsten Straßenmode jede Stilistik aus dem Ärmel schütteln. Und im Einzugsbereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems hat die Big-Band-Musik einen besonderen Stellenwert: Als die Schallplatte ihnen den Rang als Programmlieferanten abgelaufen hatte, verwandelten sich die besten der Unterhaltungsorchester der Rundfunkanstalten zu Jazz-Big-Bands, die ihre Daseinsberechtigung nun durch internationales Renommee nachweisen.

Platzhirsche sind die WDR-Bigband aus Köln mit ihrem reinen, ausbalancierten Orchesterklang, dem sie mit durchreisenden Weltstars als Solisten Glamour verleiht. Und die Hamburger NDR-Bigband, die sich als Solisten-Band versteht. Coburger, deren jüngste Veröffentlichung, übersetzt Kompositionen des Saxofonisten Gabriel Coburger ins Breitwandformat, entfesselt die Bewegungsenergie der Musik Coburgers zu außergewöhnlich rauen Klangbildern, die ihre Prägung durch den Jazz der späten sechziger Jahre nicht leugnen. Anschluss an die beiden Vorzeigeorchester hält die neu aufgebaute Bigband des HR mit viva o som! – The Music of Hermeto Pascoal, einem Programm des Saxofonisten, Multi-Instrumentalisten und Arrangeurs Steffen Schorn.

C. Aznavour & The Clayton-Hamilton Jazz Orchestra (EMI); Helge Sunde Ensemble Denada Finding Nymo (ACT); Lauer Large Konstanz Suite (Jazzwerkstatt); G. Coburger & NDR Bigband Coburger (NRW Vertrieb); B. Evans & WDR Bigband Vans Joint (BHM/Zyx); S. Schorn HR-Bigband: Viva o som! The Music of Hermeto Pascoal (hr-music); Roy Hargrove Bigband Emergence (Emarcy/Universal).

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