Die Unsicherheit bleibt

5G Ist die neue Technologie gesundheitsschädlich – oder jeder Zweifel nur russische Propaganda?
Ausgabe 30/2019

Schon im Mai dieses Jahres schlagzeilte die New York Times: „Dein 5G-Handy wird dir nicht schaden. Aber Russland will, dass du das denkst“. Wenige Wochen später schrieb der dänische Rundfunk DR: „5G-Gegner verbreiteten russische Desinformation in Dänemark“.

Die Artikel bezogen sich auf den russische Staatssender RT, ehemals Russia Today, dessen US-Nachrichtenredaktion eine Reihe von Artikeln über angebliche Gesundheitsrisiken von 5G-Technologie veröffentlicht hatte. Die New York Times schrieb dazu, RT setze 5G in Zusammenhang mit „Hirntumoren, Unfruchtbarkeit, Autismus, Herztumoren und Alzheimer – allesamt Behauptungen ohne wissenschaftlichen Beleg“. Schließlich kamen noch anonyme Quellen aus US-Geheimdiensten zu Wort: Die 5G-Geschichten seien Teil eines „Wirtschafts- und Informationskrieges“, sagte eine davon.

Auch der dänische Sender DR zitiert einen Experten für russische Desinformation: „RT fragt sich stets, welche Themen bereits viele Menschen beschäftigen, und versucht dann, diese für seine Zwecke nutzen.“ Das mag stimmen. Doch kann es kein Grund für Journalisten sein, bestimmten Fragen nicht länger nachzugehen.

Höheres Krebsrisiko bei Ratten

5G – die fünfte Generation eines Standards der Mobilfunktechnologie – ist „revolutionär“, in den Worten der EU-Kommission: Es geht um den Übergang zu einer Gesellschaft, in der wir und alle unsere Geräte rund um die Uhr online sind. 5G ist die Voraussetzung für Smart Homes, Lieferungen per Drohne, medizinische Fernoperationen und fahrerlose Autos. Europa müsse 5G einführen, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können, so die EU-Kommission. Der Wettlauf zwischen den Telekom-Giganten – und den Staaten, aus denen sie stammen – ist gnadenlos, man denke an Trumps Feldzug gegen Huawei. Die Markteinführung von 5G erfolgt mit einer Geschwindigkeit und mit potenziellen Auswirkungen auf die Umwelt, die Fragen aufwerfen, nicht unterdrücken sollten.

Ausgangspunkt der Recherchen von „Investigate Europe“ zu 5G waren Anfragen von Aktivisten, wir sollten uns mit den Gesundheitsrisiken von Strahlung durch Mobilfunktechnologie befassen. Der Vorschlag war umstritten, auch unter uns Journalisten: Das ist doch eine Verschwörungstheorie! Ist die Sicht der Wissenschaft dazu nicht eindeutig? Außerdem: Wir lieben unsere Handys!

Dennoch haben wir beschlossen, genauer hinzugucken. Dafür haben wir den Stand der Forschung recherchiert. Die Sachlage, die sich zeigte, war viel komplexer, als es die nationalen Strahlenschutzbehörden in Europa glauben machen wollen. Schon seit 2012 arbeitet eine Expertengruppe innerhalb des sogenannten „Electromagnetic Fields (EMF)“-Projekts der WHO an der Überprüfung und Bewertung der verfügbaren Studien zum Thema. Die Arbeiten hätten schon vor Jahren abgeschlossen werden müssen, aber Unstimmigkeiten in Bezug auf die Repräsentativität der Experten in der „Kerngruppe“ haben zu langen Verzögerungen geführt. Eine zweite Expertengruppe wird den Entwurf der ursprünglichen Gruppe überprüfen. Die WHO sagte Investigate Europe auf Anfrage, dass diese Task Group „ein breites Spektrum an Meinungen und Fachwissen umfassen wird“. Aber Jahre später sind die Mitglieder dieser Task Group noch immer nicht benannt.

Tatsächlich wurden die Gesundheitsrisiken der 5G-Technologie bisher kaum untersucht. Umso mehr Studien gibt es über die vorangegangenen 2G- und 3G-Mobilfunkstandards. Für deren Bewertung stützen sich die allermeisten Strahlenschutzbehörden in Europa auf den Rat von zwei internationalen Gremien: WHO und ICNIRP, die Internationale Kommission für den Schutz vor nicht ionisierender Strahlung. Letztere empfiehlt Grenzwerte für Strahlenbelastung. Diese sind so gewählt, dass sie Körpergewebe vor akuter Erhitzung schützen sollen. Sie zu überschreiten ist nur möglich, wenn man sich direkt vor einem Handymast befindet.

Die Strahlungsforschung war lange Zeit eine Domäne des Militärs und von Elektroingenieuren und Physikern, bis sich auch Biologen, Epidemiologen und andere dazugesellt haben. Alle sind sich darin einig, dass akute Gewebeüberhitzung gefährlich ist. Nur ein Teil der Wissenschaftler glaubt, dass auch längerfristige Strahlung unterhalb der Grenzwerte sich negativ auf Körperzellen auswirken kann, zum Beispiel krebserregend ist oder Spermien schädigt. Die Strahlenschutzbehörden hören auf das andere Lager.

Eine Auswertung von 2.266 Studien in der mutmaßlich größten Datenbank für Peer-Review-Forschung zeigt jedoch, dass 68 Prozent davon „signifikante biologische oder gesundheitliche Auswirkungen im Zusammenhang mit Strahlenbelastung“ durch künstliche elektromagnetische Felder fanden. Mehrere Studien zeigen, dass Industrie-finanzierte Forschung seltener dazu neigt, Gesundheitsrisiken zu finden, als Forschung mit anderen Finanzierungsquellen. Die führenden Forschungsgruppen hatten in der Vergangenheit stets enge Verbindungen zur Telekomindustrie. In diesen Gruppen finden sich immer wieder dieselben Forscher. Wissenschaftler, die auf dem Standpunkt stehen, dass es gesundheitliche Risiken auch unterhalb der Strahlungsgrenzwerte gibt, sind allerdings nicht vertreten.

Im vergangenen Jahr haben zwei Studien an Ratten in den USA und Italien ein erhöhtes Krebsrisiko durch Mobilfunkstrahlung belegt. Die amerikanische Studie ist die bisher umfassendste überhaupt und wurde vom National Toxicology Program durchgeführt. Die Krebsagentur der WHO hat die Strahlung elektromagnetischer Felder schon im Jahr 2011 als „möglicherweise krebserregend“ eingestuft.

Das 5G-Netz baut auf die Möglichkeit, zusätzlich zu den bereits verwendeten auch neue Funkfrequenzen zu nutzen, etwa noch verfügbare höhere Frequenzen zwischen 10 und 300 GHz. Nun bieten Funksignale mit derart hohen Frequenzen zwar die Möglichkeit sehr hoher Übertragungsgeschwindigkeit, sie werden aber von allen festen Körpern wie Bäumen oder Gebäuden gestoppt. Um stabile Netzwerkverbindungen für alles, was davon abhängt, zu gewährleisten, müssten Antennen sehr nahe aneinander platziert werden, etwa alle 100 Meter.

Wissenschaftler der IT’IS Foundation, eines von der Telekomindustrie unterstützten Schweizer Non-Profit-Instituts, berichteten im Dezember 2018, dass 5G-Signale über 10 GHz durch akute Erwärmung Gewebeschäden verursachen können – die einzige Gesundheitsgefährdung, über die sich alle einig sind –, weil sie Daten mit solcher Geschwindigkeit übertragen, dass es an Körpern, auf deren Oberfläche die Signale in Wärme umgewandelt werden, zu kurzzeitigen Temperaturspitzen kommen kann.

Langzeitfolgen?

Der Vorsitzende der ICNIRP räumt ein, dass mehr Forschung nötig sei. „Es gibt immer noch eine Menge Unsicherheit. Zum Beispiel wissen wir nicht genug über die langfristigen Auswirkungen von Handynutzung auf die Entwicklung von Hirntumoren, um daraus belastbare Schlüsse zu ziehen“, sagte Eric van Rongen zu Investigate Europe.

Ist 5G gefährlich? Die WHO sagte, es sei „schwierig, kurzfristig alle chronischen gesundheitlichen Auswirkungen neuer Technologien zu bewerten, insbesondere in Bezug auf 5G, welches noch nicht produktreif ist“. Jetzt, einige Monate später, sind die ersten 5G-Handys auf den Markt gekommen. Bei der Markteinführung von 5G sind enorme wirtschaftliche Interessen im Spiel, die keine Zeit zu verlieren haben. Weshalb der EU-5G-Aktionsplan die nationalen Regierungen auch dazu auffordert, Beschränkungen des Ausbaus der notwendigen kleinen Funkzellen, einschließlich lokaler Raumordnungsverfahren, zu beseitigen.

Kein Journalist will sich Verschwörungstheoretiker nennen lassen oder Wasserträger ausländischer staatlicher Propaganda. Aber gerade in einem Klima, in dem wir Reporter als solche abgestempelt werden, dürfen wir nicht vergessen, dass unsere Aufgabe das bleibt, was sie immer war: Fragen zu Themen von öffentlichem Interesse zu stellen, insbesondere dann, wenn sie nicht willkommen sind.

Ingeborg Eliassen ist eine norwegische Journalistin und Buchautorin. Sie ist Teil von Investigate Europe, einem pan-europäischen Team von neun Journalisten aus acht Ländern, das europaweit Themen recherchiert, gemeinsam Thesen erarbeitet und alle Ergebnisse teilt

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