Das dumpfe "Eyh, Schwuchtel" ist fast nur noch in den unteren Ligen anzutreffen...
Foto: Thilo Schmülgen/Imago
Stellen wir uns vor, dass ein Fußballprofi, der schon im Alter von 32 Jahren seine Karriere, die ihn zu europäischen Spitzenclubs und in die Nationalelf führte, beendet hat, einfach noch ein wenig weiterkicken will. Ohne finanzielles Interesse. Aus Spaß an der Freude. Lassen wir ihn in einer Ober-, besser noch in einer Verbands- oder Kreisliga kicken. Vorstand, Trainer und Mannschaftskollegen werden stolz sein, mit so einer Persönlichkeit zusammen-zuarbeiten. Auch die Fans werden stolz sein, sogar wenn dieser Jemand Thomas Hitzlsperger hieße. Das Wörtchen „sogar“ markiert den Unterschied, den es macht einen Unterschied, ob jemand, der mit seiner homosexuellen Orientierung offen umgeht, sportlich nur in einer unteren Liga spielt, oder ob er mit
mit den Weihen von Nationalelfeinsätzen bei Welt- und Europameisterschaften gesegnet ist.FamilienfreundlichHitzlsperger hat für sein Coming-out fast nur Respekt geerntet. Kritisch wurde bestenfalls angemerkt, dass die sich überschlagende Zustimmung auf eine besondere Form von Unsicherheit hinweisen könnte, wie man mit einem wie ihm jetzt wohl umgehen solle. Oder dass er ja sein Coming-out erst nach seinem Karriereende verkündete, mithin ihm Schmähgesänge nichts mehr anhaben könnten.Nun ist weder der Respekt fehl am Platz noch sind die kritischen Hinweise falsch, doch übersehen sie etwas: Fußball ist nicht gleich Fußball. Die Sphäre des Spitzensports, in der sich ein Profi wie Hitzlsperger bewegte, ist in den vergangenen Jahrzehnten derart umgepflügt, man kann auch sagen: durchkapitalisiert worden, dass die Warnung vor den schwulenfeindlichen Fanchorälen wie ein Relikt aus den Achtzigerjahren anmutet, als Spitzenfußball noch in Waschbetonstadien vor Stehplätzen gespielt wurde, auf denen – um in einem Klischee zu sprechen – Männer standen, die hässliche Jeansjacken und einen Vokuhila trugen und Uwe hießen.Modern hingegen sind familienfreundliche Arenen, sogenannte All-Seater, die breite Gastronomie offerieren und deren Ticketpreise sich im oberen Theater- oder Philharmoniebereich bewegen. Profifußball live zu schauen ist ein Mittel- oder Oberschichtvergnügen geworden, es wird immer weniger Teil der proletarischer Freizeitgestaltung; namentlich die englische Premier League zeigt den Wandel krass.Die Homophobie auf den Rängen, die ähnlich wie der Hass auf Juden oder auf Schwarze immer schon ein Problem des Fußballs war, hat sich mit Verdrängung der „Kuttenfans“ aus dem Fußball aber nicht mit verabschiedet. Sie hat sich bloß verändert. Es gilt auch hier das Gesetz der „feinen Unterschiede“ (Pierre Bourdieu) für die unterschiedlichen gesellschaftlichen Milieus. Das dumpfe „Eyh, Schwuchtel“ ist fast nur noch in den unteren Ligen anzutreffen, getragen von Fans und Spielern gleichermaßen. Die sublimere Form der Homophobie konnte man dieser Tage in den Wortmeldungen zu Thomas Hitzlsperger verfolgen.Gedankengut eines GladiatorsHeribert Bruchhagen, der als Vorstandsvorsitzender der Eintracht Frankfurt Fußball AG den modernen Sport an führender Stelle repräsentiert, schwadronierte, dass Homosexualität im Fußball „natürlich in erster Linie durch die Probleme der Mädchen unserer Mädchen-Nationalmannschaft, die sich ja doch in größten Teilen gleichgeschlechtlich bekennen“ zum Thema geworden sei. Im Männerfußball sei Schwulsein kaum ein Thema, denn Fußball habe etwas mit Gladiatorentum zu tun, und das „Gedankengut eines Gladiators ist sicherlich nicht in Richtung Homosexualität zu lenken“. Noch kürzer drückt sich Franz Josef Wagner aus, der Bild-Kolumnist. „Niemand glaubte, dass Sie schwul sind“, heißt es in der Post an Hitzlsperger, denn: „Sie waren athletisch, ein Power-Spieler.“Das alles ist homophob. Der Unterschied zum hingeraunzten „Schwuchtel“ besteht nur darin, dass die neuen Homophoben sich nicht so nennen lassen wollen. Ihre schlechten Scherze über „Klaus Powereit“ oder „Schwesterwelle“ entstammen der arroganten Haltung derjenigen, die glauben, sie stünden über den Diskursen. Die alte, wenn man so will: nicht kapitalisierte Homophobie, ist mittlerweile in den unteren Ligen anzutreffen. Sie amalgamiert dort mit Rassismus, Antisemitismus zu einem allgemeinen „Gewaltproblem“.Um nur ein Schlaglicht auf den Berliner Ligaalltag zu werfen: 2012 wurde in der Kreisliga die zweite Mannschaft von BSV Al-Derimspor zeitweilig dispensiert, nachdem sie zweimal einen Spielabbruch provoziert hatte. Und die Spieler von Makkabi Berlin wurden von Fans des Ostberliner Vereins VSG Altglienicke so sehr beschimpft und vom Schiedsrichter nicht geschützt, dass der Berliner Fußball-Verband (BFV) mit einem neuen Paragraphen und Anti-Gewaltkursen reagierte.GehorsamsstrukturenAuf den Plätzen dieser Ligen werden eben auch Vorstellungen von Männlichkeit virulent, von denen man auf den besseren Plätzen der Bundesliga-Schüsseln nichts mehr wissen will. Aber unten gilt bei Fans und Spielern ein schwach und zu leicht getretener Ball als „schwuler Pass“, ein Spieler, der nach einem Foul länger liegen bleibt, als gegnerische Fans oder Spieler das richtig finden, gilt als „Homo“, und allgemein ist „Du Schwuler“ als Beschimpfung etabliert.Das ist – wie die Beschimpfung von Schiedsrichtern oder vermeintlich reichen Vereinen als „Juden“ oder von schwarzen Spieler als „Neger“ oder „Bimbos“ – nicht die Verschiebung eines gesellschaftlichen Ärgernisses in unwichtige Randbereiche, aus denen es bald ganz verschwindet. Im Männerfußball werden vielmehr, wie der Soziologe Klaus Theweleit in der Hitzlsperger-Debatte jüngst im Deutschlandfunk ausführte, „immer auch gesellschaftliche Verhaltensweisen verhandelt“.Da ist die moderne Homophobie auf den Rängen des Champions-League-Clubs nur eine andere Variante der alten Homophobie auf dem Kreisligaplatz. Für Theweleit geht es in der Diskussion um Homosexualität und Fußball um die „klaren Kommando- und Gehorsamsstrukturen“, die den gesamten Fußball charakterisieren: Trainer, die auf Kritik mit Verbannung des aufmüpfigen Spielers reagieren, und vor allem Schiedsrichter mit ihrer „monarchischen Allmacht“ auf dem Platz, die den ausgestreckten Mittelfinger ähnlich schlimm bestrafen wie das Foul, bei dem einem Spieler die Knochen zersplittern.Zivilisatorische Tendenz des KapitalsHomophobie, so ist aus dieser Analyse zu folgern, ist nicht etwa anachronistisch und gewiss bald überwunden, sondern sie entspringt einer Gesellschaft, die des Hasses auf Randgruppen bedarf. Dass sie aber stets kritisch thematisiert wird, dass es den erklärten politischen Willen gibt, sie zu überwinden, entspringt wiederum einem Phänomen, das Karl Marx als „zivilisatorische Tendenz des Kapitals“ bezeichnete: Ideologische Borniertheiten, müssen überwunden werden, weil und sobald sie dem Expansionsdrang des Kapitals entgegenstehen.Das ist exakt das Phänomen, das einem Weltklassefußballer wie Hitzlsperger das Outing leichter macht als einem Drittliga-profi. Und es ist das gleiche Phänomen, das es einem wie David Beckham ermöglicht, sich als Metrosexueller darzustellen: Das bornierte Milieu des Männerfußballs musste zugunsten neuer Zielgruppen überwunden werden. Und das schafft eben Homophobie und andere Unterdrückungsideologien nicht ab, es modernisiert sie nur.Was tun? Dass Homophobie gleichermaßen einer nur durch Unterdrückung großer Bevölkerungsteile existierenden Gesellschaft entspringt und gleichzeitig der Dynamik dieser Gesellschaft entgegensteht, ruft nach einer Lösung, die den einen oder anderen vielleicht als letzter Ruf aus der Zeit der Vokuhilas erscheint: Er lautet, mehr Rechte für Spieler und Fans, und vor allem: Beschränkung der Macht von Schiedsrichtern und Trainern. Am Selbstmord des ersten offen schwulen Fußballprofis, Justin Fashanu, der sich 1998 in einer Garage in London erhängte, trug sein Trainer, der ihn vor der Mannschaft als „verdammte Schwuchtel“ beschimpfte, einen großen Anteil der Schuld.Und auch wenn man sich Schiedsrichterentscheidungen nicht per Abstimmung vorstellen kann: Sehr wohl möglich ist eine demokratische Kontrolle. Warum gilt Schiedsrichterbeleidigung als schlimmes Delikt? Mit welchem Recht wird erfahrenen Berufssportlern vorgeschrieben, dass sie zum Jubeln ihr Hemd nicht ausziehen dürfen? Erst wenn hier Demokratisierung wirkt, wenn Sportler und Fans als kompetente Gesprächspartner akzeptiert werden, ist wenigstens die Voraussetzung geschaffen, dass sich künftig niemand mehr zum Herrenmenschen aufzuschwingen kann.
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