Oberhausen musste sich verändern. Vor 48 Jahren passte das proklamierte Manifest, das Opas Kino beerdigen wollte, in den Ruhrpott: Bergbau, Schwerindustrie, SPD – da, wo die Menschen ihre Arbeit noch körperlich erfahren haben, entstand zumindest ein leiser Widerspruch dagegen, kapitalistische Zurichtungen hinnehmen zu müssen.
Heute ist Oberhausen ein Spiegel der Schizophrenie der Republik: Eine Arbeitslosenquote von 10,5 Prozent auf der einen Seite, auf der anderen eine gigantische Mischung aus Einkaufstempel und Vergnügungspark vor den Toren der Innenstadt, in einem Gebiet, das man zynischer als „Neue Mitte“ gar nicht hätte nennen können.
Die Internationalen Kurzfilmtage jedoch, wenn sie auch domestiziert sind in einem kleinen Streifen der Fu&
Streifen der Fußgängerzone und am Tropf der Kulturförderinstitutionen hängen, versuchen nach wie vor, den Kreislauf von Eventkultur und Verwertungshysterie ein wenig ins Stocken zu bringen (das Festival war immerhin schon da, als der Gedanke, einmal Kulturhauptstadt Europas zu werden, selbst dem ehrgeizigsten Regionalpolitiker nur ein spöttisches Lächeln entlockt hätte). Nun ließe sich ketzerisch einwenden, die Kurzfilmtage könnten es sich leisten, denn mit Kurzfilmen verdiene man eh kein Geld. Doch bei wenigen Festivals ist das ganze Publikum eingeladen, in der Form wie hier mit den Regisseuren zu diskutieren; bei noch wenigeren haben diese Regisseure auch etwas Kluges zu ihren Filmen zu sagen.„Wir haben dieses Jahr viele Spielfilme im Programm“, sagte Conny Klauß, Mitglied der Auswahlkommission für den Deutschen Wettbewerb, und das war als Beschreibung für die hochgradig artifiziellen und experimentierfreudigen Filme sowohl in dieser als auch in der internationalen Reihe dann doch eine etwas zu glatte Beschreibung. Oberhausen bewies einmal mehr: Der Kurzfilm, ob dokumentarisch oder fiktional, ist viel mehr als einfach ein kurzer Film. Er verweigert die klassische Narration, statt zu verdichten, bricht er Assoziationsräume auf, statt das Beste aus einer Situation, einer Szene, einer Begegnung herauszuholen, träumt er davon, was das Beste wäre, das man mit dem Kino anstellen könnte. Und verblüffend viele der Beiträge fanden in einem Punkt tatsächlich wieder Anschluss an die Bewegungen der sechziger Jahre: Statt Film als Illusionsmaschine oder Dokument zu akzeptieren, stellten sie die Frage nach dem Produktcharakter eines Werks, nach Wirklichkeit und Täuschung.Frei erfundenAm frechsten tat dies Ground Control von Adnan Softić. Ein junger Mann erzählt von seinem Vater – einem Richter und treuen Anhänger von Milošević der Willkürurteile gegen zahllose bosnische Muslime gefällt hat. Dazwischen wird immer wieder ein Heimvideo gezeigt, ein älterer Mann mit seiner Frau auf der Terrasse, wohlgenährt und selbstzufrieden in einer Zeitung blätternd. Und dann die Einblendung, die nach Softićs souveräner Erzählung, die an dutzendfach Gehörtes so routiniert anknüpft, geradezu schockiert: „Diese Geschichte ist frei erfunden“. Aufarbeitung als Lüge, das Dokument als Fiktion. „Jede Ideologie akzeptiert das unmittelbare Zeugnis“, sagt Softić, der vor allem die Überzeugungskraft der Montage und ihr Potenzial zur Manipulation offenlegt. Die Menschen, die im Film vorkommen, gibt es natürlich, und Geschichten wie die erzählte sind ausreichend belegte Tatsachen – nur der Zusammenhang ist konstruiert.Hinter den Bildern, so schlägt es auch Satake Makis Kurashi ato vor, lauert das Unheimliche. Sie hat Aufnahmen aus dem Alltagsleben ihrer Eltern in ein zweites Bild hineinkopiert, als Foto, das eine, ihre Hand vor die Kamera hält, während sie die leeren Räume ein weiteres Mal abgeht und aufnimmt. Wo auf dem Foto in ihrer Hand Leben und Bewegung ist, herrscht nach dem Auszug der Familie Schweigen und Dunkelheit – am deutlichsten spürbar in einer Szene, die ihre Mutter bei der Gartenarbeit zeigt und die vor den Hintergrund des Schnee bedeckten Gartens tritt. Film nicht als Medium der Unsterblichkeit, sondern als Geisterbeschwörung.Sehr irdisch bleibt Andree Korpys’ und Markus Löfflers Gesang der Jünglinge, der eine Polizeieinheit bei der Taser-Schulung zeigt und den Preis des Deutschen Wettbewerbs gewann. Suchend schweift die Kamera durch Aula und Gänge und findet schließlich einen Hörsaal, in dem junge Männer sich einem grotesken Selbstversuch unterwerfen: Von Kollegen gestützt und sanft zu Boden gelegt, lassen sich die Polizisten reihenweise von einem Elektroschocker umhauen. Immer wieder. Freiwillig. Untermalt von Karlheinz Stockhausens Titel gebendem Stück, einem erratisch glucksenden Avantgarde-Kinderlied, bleibt Verblüffung über die Beiläufigkeit dieser Gewalt und die Bereitschaft zur Unterwerfung – und wenn in einem langsamen Schwenk schließlich das Taser-Logo im Hintergrund auftaucht, möchte man die staatliche Gewalt beinahe in Schutz nehmen vor dieser kalt lächelnden privaten.Auflösung auf HindiTrotz aller Abstraktion und der Suche nach Ausdrucksmöglichkeiten, die das Leben formen, transzendieren und damit möglicherweise wieder genau auf sich selbst zurückwerfen, stellten viele Arbeiten den Körper in den Vordergrund. Dieser mag einem Pubertierenden als wucherndes Ungetüm erscheinen, wie dem Jungen in Oyama Keis animiertem Hand Soap (Preis der Internationalen Kurzfilmtage), der seine Eltern beim Akt als breitgesichtige, wulstige Gewaltigkeiten imaginiert, die lange Zungen haben und mit ihnen an hässlichen Warzen lecken.Vilay heißt Auflösung auf Hindi, und ein junger Mann erfährt im so betitelten Film von Umesh Kulkarni, dass die traditionellen Wohnstrukturen bald einem nur virtuell, im Computer des Büros, erfahrbaren Shopping-Komplex weichen müssen – was heißt noch mal „Neue Mitte“ auf Hindi? Mit der alten Wohnwelt stirbt seine Großmutter an Krebs. Wie Kularni auf der abgetrennten Brust im makellosen Metallbecken des Krankenhauses verharrt und auf der Bahre, bis die Flammen sie und den Körper darauf umschlingen, zeugt nicht nur für das indische Kino ungewöhnlich radikal fleischlich von Trauer, von Wut und insistiert auf der Beweiskraft und Authentizität des Leibes.Hochgradig künstlich orchestrierte sich hingegen die israelische Performance-Gruppe Public Movement für ihr Promotional Video, das, wie es zahlreiche salutierende Gesten nahelegen, Werbefilme für die Armee dekonstruieren soll. Von Kopf bis Fuß in Weiß gehüllt, bilden sie Ornamente, trainieren Posen auf menschenleeren Plätzen oder vor einer wüsten Baustelle. Selbst als sich eine Rauferei entwickelt zwischen den Mitgliedern der Gruppe, ist noch dieser Ausbruch stilisiert und als Choreografie erkennbar. Die Zurichtung des Menschen in Uniform und Parade, durchaus an Leni Riefenstahl erinnernd, zeigt hier ihre mögliche Auflösung in Kampf und Gewalt.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.