Ich habe Wolfgang Kohlhaase nur kurz gekannt – im Verhältnis zu seiner Lebenszeit: gerade zehn Jahre. Ich kann dem Lob, das ihm gerechterweise nachgesungen werden wird, wenig hinzufügen. Ja, er war ein großer Mann, ein kluger Drehbuchschreiber, ein Sonntagskind. Mich hat er beeindruckt durch seinen Stoizismus, um es nicht Sturheit zu nennen. Ist es respektlos, das zu sagen?
Ich wollte meinen Roman In Zeiten des abnehmenden Lichts nicht verfilmen lassen. Aber dann wurde mir berichtet, Wolfgang Kohlhaase wolle das unbedingt machen, und wenn es, so hätte er gesagt, sein letzter Film sei. Wie soll man so einen Wunsch ablehnen. Ich gab mich geschlagen, wollte aber beim Drehbuch nicht mitreden. Er bestand darauf. Wir trafen uns bei einem Glas Wasser in seiner Berliner Ar
seiner Berliner Arbeitswohnung. Ich trug meine verschiedenen Bedenken gegenüber seinem Entwurf vor. Wir sprachen fünf Stunden. Es war ein wundervolles Gespräch. Geändert hat er – nichts. Ich glaube, zu Recht.Stoisch war auch seine politische Haltung. Bei Kriegsende war er vierzehn Jahre alt. Nichts hat ihn stärker geprägt. In seinen wichtigsten, neuerdings seltener genannten Werken, kann man es nachsehen, so etwa in den Filmen mit seinem verehrten Freund Konrad Wolf, dem Rotarmisten. Ja, Wolfgang Kohlhaase hat den Einzug der Roten Armee als Befreiung erlebt. Die neue Zeit eröffnete ihm Möglichkeiten. Die Gründung der DDR war für ihn Aufbruch. Eine Gesellschaft, die nicht vom Geld bestimmt ist, ein Traum. Sie blieb ein Traum. Nennen wir ihn Sozialismus? Was nicht heißt, dass er unkritisch war, im Gegenteil. In der DDR lernte er, den Mächtigen zu misstrauen. Denen im Westen misstraute er allerdings längst. Kapitalismus blieb ihm suspekt, ja verhasst. Und wenn er sich öffentlich zurückhielt (lieber sprach er in Anekdoten oder gab Bonmots über die Kunst des filmischen Erzählens von sich) – seinen Ärger und seine (zunehmende) Verzweiflung über die gesellschaftlichen und medialen Vorgänge in diesem Land kann ich bezeugen.Er blieb heiter, ja. Auch das gehört zu seinem Stoizismus. Er wurde gelobt und geehrt und er hat es genossen. Dennoch lebte er in einer Art Emigration, im geschützten Kreis ähnlich gesinnter Freunde. Er tat, was er immer getan hatte. Er schrieb, worüber er immer geschrieben hatte: über kleine Leute. Geschichten, die man auf der Straße findet, sagte er gern: Man muss sich allerdings die Mühe machen, sich zu bücken! Die Mühe machte er sich. Und dass er damit auch im Westen Erfolg hatte, kommt nicht etwa daher, dass er sich verbog, sondern daher, dass er sich treu blieb.Der Aufenthalt heißt mein persönlicher Lieblings-Kohlhaase-Film. Wolfgangs Aufenthalt war lang: einundneunzig Jahre. Bis zum letzten Augenblick war er bei klarem Verstand. Ich bin dankbar dafür, ihn gekannt zu haben. Noch zwei Tage vor seinem Tod saßen wir in Neuhardenberg bis in die Nacht zusammen. Beim Abschied habe ich ihn dringend gebeten, nicht mehr selbst Auto zu fahren. Auch darin war er Stoiker. Bedauerlicherweise hat er dieses Mal auf mich gehört, wenngleich auf unvorhergesehene Weise.Wolfgang Kohlhaase wird uns fehlen: sein Humor, seine Weisheit, sein stures, sein linkes Herz.Placeholder authorbio-1