In ihrem Koalitionsvertrag haben Union und SPD 2013 versichert: „Wir wollen: Gute Arbeit für alle – sicher und gut bezahlt.“ Und konkret: „Den Missbrauch von Werkverträgen und Leiharbeit werden wir verhindern.“ Nach zweieinhalb Jahren hat das Kabinett nun einen Gesetzentwurf hierzu beschlossen. Zwar steht die Verabschiedung im Bundestag noch aus und die Neuregelung hat den Praxistest erst noch vor sich – klar ist aber schon jetzt: Dem selbst gestellten Anspruch bei Leiharbeit und Werkverträge wird die Koalition nicht gerecht. Es drohen sogar Verschlechterungen.
Sozialdumping durch den Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen ist seit den Hartz-Reformen zu einem Megatrend der deutschen Volkswirtschaft geworden. Unternehmen nutzen leg
nutzen legale, halblegale und illegale Spielarten dieser Instrumente, um Lohnkosten zu drücken, Beschäftigtenrechte und Schutzstandards auszuhebeln sowie Stammbelegschaften unter Druck zu setzen. Die nun vorgelegte Neuregelung soll diese Entwicklung stoppen. Im Kern geht es dabei um vier Punkte: Leiharbeit soll auf ihre Kernfunktionen begrenzt werden, die Abfederung von Auftragsspitzen und kurzfristigen Personalengpässen. Leiharbeiter sollen nicht mehr dauerhaft schlechter gestellt sein als Stammbeschäftigte, ihr Einsatz als Streikbrecher soll ein Ende haben. Zudem will Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) die illegale Arbeitnehmerüberlassung unter dem Deckmantel von Schein-Werkverträgen erschweren.„Es wird in Zukunft klare Regeln geben für Arbeitgeber und Arbeitnehmer, um den Missbrauch bei Leiharbeit und Werkverträgen zu bekämpfen“, sagte Nahles nach dem Kabinettsbeschluss. Ob das gelingen wird, erscheint sehr zweifelhaft.Von wegen gleicher LohnBeispiel Überlassungshöchstdauer: Bislang gab es hier keine feste Grenze – „vorübergehend“ musste der Einsatz sein, so die alte, ziemlich schwammige Formulierung. Künftig soll sie bei 18 Monaten liegen, kann aber per Tarifvertrag oder durch eine Vereinbarung mit dem Betriebsrat auf 24 Monate oder länger ausgedehnt werden. Kann da noch von „Auftragsspitzen“ die Rede sein? Das ist zumindest fraglich. Zudem haben Unternehmen weiter freie Hand, ein und denselben Arbeitsplatz dauerhaft mit Leiharbeitern zu besetzen – sie müssen nur nach Ablauf der Überlassungshöchstdauer einen Personalaustausch vornehmen.Für die große Mehrheit der Leiharbeiter ist die Neuregelung ohnehin irrelevant. Nach Untersuchungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ist der typische Leiharbeiter nur drei Monate in einem Betrieb eingesetzt, für zwei Drittel endet das Arbeitsverhältnis spätestens nach einem halben Jahr.Aus demselben Grund haben die meisten Leiharbeiter nach dem neuen Gesetz auch keinen Anspruch auf gleichen Lohn wie Stammbeschäftigte. Denn Nahles’ „Equal Pay“-Vorschrift greift erst nach neun Monaten. Auch diese Frist kann künftig durch Tarifverträge auf 15 Monate verlängert werden. Gegenüber der bisherigen Regelung ist das eine Verschlechterung, denn bislang haben Leiharbeiter einen gesetzlichen Anspruch auf Equal Pay vom ersten Tag an, es sei denn, Tarifverträge regeln etwas anderes.Das in Zukunft vermeintlich geltende Verbot des Einsatzes von Leiharbeitern als Streikbrecher dürfte sich als Beschäftigungsprogramm für die Arbeitsgerichte entpuppen. Bislang durften Unternehmen Leiharbeiter in Arbeitskämpfen einsetzen, sofern der Einsatz „freiwillig“ erfolgte. In großem Maßstab praktizierte das etwa die Post-Tochter DHL vor einem Jahr. Künftig gilt: „Der Entleiher darf Leiharbeitnehmer nicht tätig werden lassen, soweit sein Betrieb unmittelbar durch einen Arbeitskampf betroffen ist.“ Die Crux an dieser Formulierung ist das Wörtchen „soweit“. Bestreikte Unternehmen dürfen weiterhin Leiharbeiter einsetzen, auch zusätzliche, sofern diese nicht unmittelbar zu Tätigkeiten herangezogen werden, die zuvor von Streikenden erledigt wurden. Letztlich ist dies eine Definitionsfrage, bei der streikende Gewerkschaften die Beweislast tragen.Und auch am weitverbreiteten Missbrauch von Werkverträgen wird sich wohl kaum etwas ändern. Um sich die Kosten für legale Leiharbeit zu sparen, setzen immer mehr Unternehmen Beschäftigte in zweifelhaften Werkvertragskonstruktionen ein. Dabei ist nicht vom legalen Werkvertrag die Rede, der etwa zustande kommt, wenn eine Handwerksfirma die Heizung repariert oder ein Zulieferer Bauteile anfertigt. Die Rede ist vom „On-Site-Outsourcing“, bei dem es im Kern um billige Arbeitskräfte für den eigenen Betrieb geht.Manchmal, wenn auch selten, fliegen solche Konstruktionen auf, etwa durch Routineüberprüfungen der Finanzkontrolle Schwarzarbeit oder wenn betroffene Beschäftigte oder betrogene Sozialkassen vor Gericht Forderungen erheben. Kommt es so weit, wird es für die Nutznießer dieser Konstruktionen knifflig: Handelt es sich bei einem solchen Schein-Werkvertrag in Wahrheit um illegale Arbeitnehmerüberlassung, entsteht ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleihbetrieb. Um das zu vermeiden erfand die Branche den Trick mit der Leiharbeitslizenz „auf Vorrat“: Im Ernstfall ziehen die Unternehmen eine Lizenz zur Arbeitnehmerüberlassung aus der Schublade und erklären: Der Werkvertrag war illegal? Na, dann ist es eben Leiharbeit!Künftig, verspricht die Regierung, soll das nicht mehr funktionieren. Arbeitnehmerüberlassung muss grundsätzlich von Anfang an „offen“ erfolgen. Wird sie als Werkvertrag getarnt und die Sache fliegt auf, kommt unmittelbar ein Arbeitsverhältnis zwischen eingesetzten Beschäftigten und Entleihbetrieb zustande – egal ob da noch eine Lizenz in der Schublade liegt.Dummerweise führt das Gesetz zugleich ein Widerspruchsrecht ein. Wenn betroffene Beschäftigte innerhalb eines Monats erklären, dass sie am Arbeitsverhältnis mit dem illegalen Verleiher festhalten, läuft alles weiter wie bisher. Künftig also werden Werkvertragsunternehmen, die illegale Arbeitnehmerüberlassung betreiben, von Beschäftigten verlangen, dass sie solche Widerspruchserklärungen schon bei Aufnahme der Tätigkeit unterschreiben.Unterm Strich wird das Gesetz keinen wirksamen Schutz vor Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen leisten können. Stattdessen birgt es im Detail deutliche Verschlechterungen gegenüber der bisherigen Rechtslage. Größtenteils ist es heiße Luft: Es bringt „Verbesserungen“, die für die meisten Betroffenen praktisch irrelevant sind, und „klare Regeln“, die mit simpelsten Umgehungsstrategien ausgehebelt werden können. Übrig bleibt: reine Symbolpolitik.