Vincenzo Peruggia fand, die Mona Lisa gehöre nach Italien, und schritt 1911 zur Tat
Abb.: Roger-Viollet/Getty Images
Dieses Buch liest sich rasanter als jeder Krimi und ist, leider muss man sagen, so sauber recherchiert, dass man nichts davon der Fantasie von Stefan Koldehoff und Tobias Timm zuschreiben kann. Hier erklären die Autoren, warum Kunst, auch wenn sie gern in höheren Sphären verortet wird, sehr oft Ziel von ganz banalen Verbrechen ist. Und wie man sie in Deutschland leicht klauen kann.
der Freitag: Herr Timm, gilt für Fälschungen dasselbe wie im Fernsehen: Hitler geht immer?
Tobias Timm: Man muss sich die internationale Szene der NS-Devotionalienhändler in Teilen genauso vorstellen, wie sie der Regisseur Helmut Dietl schon 1992 in seiner Komödie Schtonk porträtiert hat. Da ersteigern Fetischisten, von denen nicht wenige auch enge Kontakte zur rechten Szene
rt hat. Da ersteigern Fetischisten, von denen nicht wenige auch enge Kontakte zur rechten Szene haben, angeblich vom „Führer“ selbst durchgeschwitzte Braunhemden und Uniformmützen für sechsstellige Euro-Summen. Es hat sich zudem eine eigene Fälschungsindustrie entwickelt, die Aquarelle im Stil Hitlers produziert.Stefan Koldehoff: Dabei ist seit Jahren bekannt, dass fast alle angeblichen Hitler-Zeichnungen und -Aquarelle Fälschungen sind. Auch die Zertifikate von angeblichen Zeitgenossen oder Experten sind nicht zuverlässig. Beim in den USA versteigerten angeblichen „Roten Telefon“ von Hitler stellte sich heraus, dass der Apparat zwar aus Deutschland, der Hörer aber aus Großbritannien stammte. Viel mehr Geld wird aber bei sogenannten Militaria-Messen umgesetzt, auf denen von spezialisierten Händlern regelmäßig Hitlerbüsten, Wehrmachtsdolche, Uniformteile und so weiter verkauft werden – angeblich zu rein wissenschaftlichen Zwecken. Das ist ein riesiger Markt, der die Behörden aber nicht zu interessieren scheint.Nach welchen Kriterien haben Sie die Fälle ausgewählt?Koldehoff: Es ging eher um die Kunst des Weglassens, wir schreiben nur über einen Bruchteil der uns bekannten Fälle. Und haben versucht, von exemplarischen Geschichten zu berichten, zum Beispiel bei Steuerhinterziehung und Fälschung. Es gab Fälle, die eine ganz neue Qualität hatten.Haben sich die Kunstverbrechen mit der Zeit verändert?Koldehoff: Die Idee des Gentleman-Ganoven, der im Maßanzug ins Museum oder eine Privatvilla einsteigt, ist ein wunderbarer Mythos. Heute dominieren leider die hoch spezialisierten Banden – oft ehemalige Soldaten –, die mit abgesägten Schrotflinten zu den Öffnungszeiten Museen stürmen, die Besucher*Innen auf den Boden zwingen und die Bilder brutal von der Wand reißen – wie 2008 beim Raub von Bildern von Cézanne, van Gogh und Monet aus dem Museum der Stiftung Bührle in Zürich. Kunstraub ist ein brutales und hochkriminelles Geschäft geworden.Timm: Banden, die sich sonst mit Banken oder Rolex-Läden beschäftigt haben, gehen jetzt in Museen, weil sie merken, da ist nicht so gut ausgerüstetes Sicherheitspersonal. Oder sie haben sogar Bekannte, die dort als Aufsicht arbeiten, wie es beim Diebstahl der Goldmünze im Bode-Museum 2017 der Fall gewesen sein soll. Da ist die Vorgehensweise: Man geht brutal rein und holt möglichst schnell etwas raus.Placeholder infobox-2Könnte man den Düsseldorfer Kunstberater Helge Achenbach nicht dem Typ des Gentleman-Ganoven zuordnen?Timm: Der Fall Achenbach passt eher zu einem anderen Trend: Das sind die „White-Collar Crimes“, bei denen es um Betrug in Millionen- oder Milliardenhöhe geht. Die Leute kaufen Kunst nicht mehr nur, um einen Teil der Kunstgeschichte zu besitzen, sondern auch, um ein tolles Anlageobjekt zu tätigen. Das ist ein Doppelgeschäft, und je größer die Gier auf hohe Profitraten wird, desto leichter haben es Betrüger.Koldehoff: Helge Achenbach ist letztlich ein Opfer seiner Gier geworden. Nachdem er jahrelang seriös Kunst an Sammler und Unternehmen vermittelt hat, wurde irgendwann der milliardenschwere Aldi-Erbe Berthold Albrecht sein Kunde. Er hat für ihn große, prestigeträchtige Namen wie Lichtenstein, Kirchner, Picasso eingekauft – leider aber nicht immer deren gute Bilder. Und dann hat Achenbach heimlich die Rechnungen der Galerien gefälscht und mit überhöhten und nicht vereinbarten Aufschlägen seinen Kunden um Millionen Euro betrogen. Vor Gericht hat er seine selbst gefälschten Rechnungen später als Kunst deklariert.Timm: Neue Studien belegen aber auch, dass gerade der Kunstmarkt optimale Möglichkeiten für Steuerhinterziehung und Geldwäsche bietet – weil er nach wie vor Sonderrechte wie Geheimhaltung oder Barzahlung für sich beansprucht.Was wird getan, um das zu verhindern?Koldehoff: Es gibt eine neue EU-Geldwäsche-Richtlinie, die seit diesem Jahr auch Deutschland umsetzen muss: Galerien, Händler, Auktionshäuser müssen jetzt ihre Kunden eindeutig identifizieren und überprüfen, wer hinter Briefkastenfirmen in Steuerparadiesen steckt. Wir dachten, dass damit eigentlich alle glücklich sein müssten, weil die schwarzen Schafe aussortiert werden. Aber wie schon beim Kulturschutzgesetz vor einigen Jahren wird auch jetzt wieder massive Lobbyarbeit seitens der Kunsthändlerverbände dagegen betrieben. Man fragt sich schon, wie es sein kann, dass in vielen Bereichen des Kunstmarktes immer noch Sonderregeln gelten. Da werden Geschäfte in Millionenhöhe per Handschlag, ohne irgendwelche Papiere, am Finanzamt vorbei gemacht, als wäre man auf einem mittelalterlichen Markt im 15. Jahrhundert. Aber man muss sich immer wieder vor Augen führen, dass wir hier von den schwarzen Schafen reden. Das ist sicherlich nicht die Mehrheit.Wie kommen Verbrecher überhaupt darauf Kunst zu stehlen?Koldehoff: Dadurch, dass der Kunsthandel so was wie die reinste Form des Kapitalismus ist – nur Angebot und Nachfrage sind maßgeblich –, sind die Preise in den letzten Jahren explodiert. Wenn wir Journalisten regelmäßig über solche hohen Preise berichten, lesen das auch Kriminelle. Also ein bisschen Schuld an der Entwicklung tragen wir Medien auch.Placeholder infobox-3Werden viele dieser Verbrechen aufgeklärt?Koldehoff: Ermittlungsbehörden sprechen weltweit von acht bis zehn Prozent. Dabei geht es aber nur um die Taten. Werke sind in der Vergangenheit durchaus öfter zurückgekommen. Das liegt daran, dass die Täter sehr schnell merken, dass sie die Ware nicht loswerden können. Dann wenden sie sich an Besitzer oder Versicherungen und verhandeln über die berühmten „Belohnungen für Hinweise, die zur Wiederauffindung geführt haben“. In Wirklichkeit ist das nichts anderes als Lösegeld, weil die Versicherungen oder die Eigentümer erpresst worden sind. Artnapping nennt das man. Also das Kidnappen eines Gemäldes.Die Goldmünze aus Berlin wurde aber nicht gekidnappt, die ist heute vermutlich eingeschmolzen?Timm: Ja, aller Wahrscheinlichkeit nach wurde die zersägt und zu handlichen Barren eingeschmolzen. Da sind die Täter über ein Fenster des Bode-Museums eingestiegen, das seit Jahren nicht richtig gesichert war, und haben die einfach rausgetragen. Im Bode-Museum lagern noch so viele andere, kulturhistorisch wichtigere Schätze, aber die Goldmünze war eine perfekte Beute, weil die am leichtesten weiterzuverkaufen ist. Das Münzkabinett hatte sich von der Ausstellung der Riesengoldmünze erhofft, dass sie neue Besucher ins Museum lockt. Das ist dann leider in einer anderen Form wahr geworden.Wie viele Fälschungen vermutet man heute am Markt?Timm: Manche Experten glauben, dass das bis zu dreißig Prozent sind. Editionen werden auch gern gefälscht. Bei unserem Buch sollte ursprünglich eine Dollarnote von Andy Warhol aufs Cover, die bei einem Auktionshaus in den USA versteigert wurde. Als der Verlag sich bei der Andy Warhol Foundation dafür die Rechte einholen wollte, kam raus, dass das höchstwahrscheinlich eine Fälschung ist. Die sollte nicht viel kosten. Aber auch damit wird versucht, Geld zu machen.1911 wurde die „Mona Lisa“ aus dem Louvre gestohlen, aber nicht um sie zu verkaufen …Timm: Das war ein sehr geschicktes Kunstverbrechen. Der Italiener Vincenzo Peruggia hat die Mona Lisa ganz unspektakulär aus dem Louvre gestohlen. Er hat als Glaser gearbeitet und sich am Sonntagabend mit zwei Kumpanen dort einschließen lassen. Am Montag haben sie sich dann weiße Kittel angezogen, das Bild abgehängt und sind damit am Sicherheitspersonal vorbeispaziert. Sein Auftraggeber, Eduardo de Valfierno, der sich „Marqués“ nennen ließ und über den man bis heute wenig weiß, wollte aber das Original gar nicht haben. Er hatte mehrere Fälschungen anfertigen lassen, die er dann an Sammler in den USA weiterverkaufte. Die Schlagzeilen, die sofort kamen, belegten ja, dass die Mona Lisa gestohlen worden war, und alle, denen Valfierno eine Kopie anbot, dachten, sie hätten das Original gekauft. Sie konnten, als das echte Bild nach einigen Jahren in Italien wieder auftauchte, den Betrug natürlich nicht der Polizei melden, weil sie dann selbst angeklagt worden wären.Wäre so etwas mit den gestiegenen Sicherheitsvorkehrungen Ihrer Meinung nach immer noch möglich?Koldehoff: Es ist nach wie vor möglich – auch ohne Brutalität und ohne großen Aufwand – zu stehlen. Wenn Tobias und ich uns einen „Blaumann“, eine Werkzeugkiste und eine Leiter besorgen und in einem Museum ganz selbstverständlich behaupten würden, wir sollten dieses Bild hier abhängen und ins Restaurierungsatelier bringen: Ich glaube, da würde uns kaum jemand irgendwelche weiteren Fragen stellen. Die Deutschen vertrauen Uniformen.Ist das nicht der perfekte Aufhänger für das nächste Buch? Der Selbstversuch.Timm: Als Kunstkritiker wäre so etwas fast noch einfacher. Wir sind ja oft bei Ausstellungsaufbauten in Museen dabei, wenn die Vitrinen noch nicht geschlossen sind und die Bilder noch an den Wänden lehnen. Wir könnten einfach zugreifen.Koldehoff: Aber danach hätten wir das gleiche Problem wie die meisten Kunstdiebe: Wohin damit, ohne erwischt zu werden?Placeholder infobox-1
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