Einspruch

Attac Mit dieser Verfassung werden die nationalen Parlamente entmündigt

"Verhandelt wird nicht", so die von Gerhard Schröder und Joschka Fischer ausgegebene Parole für den Regierungsgipfel in Rom am 4. Oktober. Nachdem der deutsch-französische Motor den Konvent angetrieben hat, wähnt man sich jetzt viel zu sehr auf der Zielgeraden, um noch irgendetwas nachverhandeln zu wollen. Zwar war der "Konvent zur Zukunft Europas" seinerzeit im belgischen Laeken ausdrücklich nur "zur Vorbereitung" der jetzigen Regierungskonferenz eingesetzt, aber das scheint den Kanzler nicht weiter zu stören. Was er für richtig hält, soll in Rom Eins zu Eins umgesetzt werden, doch dürfte er sich da korrigieren müssen. Spanien und Polen intervenieren gegen eine für sie ungünstige Stimmengewichtung im Rat, die für 2006 anstehende große Verhandlungsrunde über Finanzmittel fest im Blick. Mit den Sprechern Österreich und Finnland wehren sich die kleinen EU-Partner vehement gegen die Absicht, künftig nicht mehr jedem Land einen Kommissar zugestehen zu wollen.

Forderungen an die Regierungskonferenz haben auch andere, die zwar nicht verhandeln dürfen, aber viele europäische Bürger vertreten - ob Umweltverbände, Arbeitnehmerorganisationen, Globalisierungskritiker oder die europäischen Linksparteien. Für sie sind die 460 Artikel und die beigefügten Protokolle des Verfassungsentwurfs alles andere als unanfechtbar.

Attac etwa weist darauf hin, dass nach der geltenden Vorlage die Parlamente der Mitgliedstaaten nicht mehr über internationale Handelsverträge wie etwa das umstrittene Dienstleistungsabkommen GATS entscheiden dürften. "Dieser gravierende Demokratieverlust für die Handelspolitik sollte gestoppt werden", sagt Thomas Fritz, WTO-Experte bei Attac. "Bisher müssen die Mitgliedstaaten Verträge ratifizieren, die sensible Bereiche wie den Handel mit kulturellen und audiovisuellen Dienstleistungen, Soziales und Gesundheitswesen umfassen. So hatte der Bundestag im März schwerwiegende Bedenken gegen das Dienstleistungsabkommen GATS und verlangte Änderungen. Das wäre in Zukunft nicht mehr möglich ..."

Den vorliegenden Entwurf kritisieren auch die Organisationen von Arbeitnehmern und Verbrauchern. Nicht nur die Gewerkschaften Italiens, Spaniens und Frankreichs winken ab, selbst die Bundesarbeitskammer Österreichs (BAK) mit drei Millionen Mitgliedern fordert klare Revisionen. Man lese den Entwurf mit gemischten Gefühlen, er setze wohl wichtige Impulse für eine Sozialunion, ein Durchbruch sei aber auch diesmal nicht gelungen. Es fehle weiterhin die von der Konventsarbeitsgruppe "Soziales Europa" geforderte Gleichrangigkeit für wirtschaftliche und soziale Ziele. Auch wenn es der Regierungskonferenz am Ende gelingen sollte, durch Konzessionen die widerstreitende Interessen zu harmonisieren, die öffentliche Akzeptanz in den Mitgliedsländern für diese EU-Verfassung dürfte damit noch nicht gesichert sein.


Europäische Verfassung

15. Dezember 2001 - Beschluss des Europäischen Rates in Laeken (Belgien) über die Einsetzung des Europäischen Konvents.

28. Februar 2002 - Der Konvent beginnt mit seiner Arbeit.

20. Juni 2003 - Offizielle Übergabe des Entwurfs für Teil I - des allgemeinen Teils eines Vertrages über eine EU-Verfassung - an den EU-Gipfel in Thessaloniki.

10. Juli 2003 - Fertigstellung der übrigen Entwürfe. Dabei handelt es sich um die Charta der Grundrechte (Teil II), um die Politikbereiche und die Arbeitsweise der Union (Teil III) und Allgemeine und Schlussbestimmungen (Teil IV). Der Konvent beendet damit offiziell seine Arbeit.

4. Oktober 2003 - Eröffnung der Regierungskonferenz in Rom zur Überarbeitung des Verfassungsentwurfs.

12./13. Dezember 2003 - Vorgesehene Einigung des EU-Gipfels in Brüssel über den endgültigen Wortlaut des Verfassungstextes.

Mai/Juni 2004 - Unterzeichnung des Verfassungsvertrages nach dem am 1. Mai erfolgenden Beitritt von zehn Staaten zur EU und vor den Europawahlen Mitte Juni.

Ende 2004/2005 - Referenden in einigen EU-Ländern über den Verfassungsvertrag.

2006 - Inkrafttreten des Verfassungsvertrages nach der Ratifikation in allen Mitgliedstaaten geplant.

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