Ersatzfach

Vergleichsvorschlag des bundesVerfassungsgerichts Ein Sieg für LER? Ja - aber für welches LER?

Unmittelbar nach der Wende trafen sich überall in der DDR Gruppen, die sich für eine allgemeine ethische und religionskundliche Bildung in der öffentlichen Schule aussprachen. Das Modell des traditionellen Religionsunterrichtes stieß auch und gerade in Kirchenkreisen weithin auf Ablehnung. Dies hatte vor allem drei Gründe. Erstens: Religionsunterricht als Regelunterricht hat in einem weithin entkirchlichten Umfeld keine Chance und erreicht gerade diejenigen nicht, die gar nichts mehr von Religion und Kirche wissen, diesem wichtigen Teil unserer Kulturvergangenheit. Zweitens: Der Einzug der Kirche mit einem regulären Unterrichtsfach in die vormals atheistische DDR-Schule stand sehr im Geruch eines triumphalen Einzugs des ideologischen Siegers. Drittens hatte man in der Kirche der DDR auch die Chancen einer innerkirchlichen katechetischen Kinder- und Jugendarbeit zu nutzen gelernt.

Die bundesrepublikanische Wirklichkeit und der vorgeblich normative Zwang des Faktischen war aber in allen (CDU-regierten) neuen Bundesländern stärker als diese Einsicht. Nur das von einer Ampelkoalition regierte Brandenburg probierte neue Wege und etablierte, seinerzeit noch gemeinsam mit der evangelischen Kirche, einen Modellversuch: LER, Lebensgestaltung - Ethik - Religion. Die evangelische Kirche schlug sich jedoch noch vor dem Ende des Modellversuchs auf die Seite der Gegner eines wertrelevanten Unterrichts für alle SchülerInnen, zu denen schon immer die katholische Kirche und die CDU gehört hatten. Als LER 1996 reguläres Unterrichtsfach wurde, reichte diese Phalanx gemeinsam mit einigen Eltern eine Klage beim Bundesverfassungsgericht ein. Hauptziel der Klage war, auch in Brandenburg den Religionsunterricht als Regelfach einzuführen, wie es Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes vorsieht. Der Argumentation Brandenburgs, das sich auf die sogenannte Bremer Klausel berief - nach Artikel 141 des Grundgesetzes finde Artikel 7 in solchen Bundesländern keine Anwendung, in denen vor Inkrafttreten des Grundgesetzes eine andere Regelung galt -, wurde von den meisten Experten kaum Chancen eingeräumt.

Sodann zog sich das Verfassungsgericht für einige Jahre schweigend zurück, vermutlich hoffend, das Problem werde sich von selbst erledigen. Das tat es aber nicht einmal dann, als die CDU in Brandenburg in die Regierung eintrat. Seit dem 11. Dezember liegt nun endlich ein Vergleichsvorschlag auf dem Tisch und überrascht aufgrund seiner unprätentiösen Schlichtheit. Grundsatzfragen wurden sämtlich ausgespart, dafür geht es um ganz pragmatische Regelungen. Da ist die Rede von Fortbildungsmöglichkeiten für Religionslehrer, Klassenstärken und Stundentafeln und davon, dass die Befreiung vom Unterricht nicht erst durch das Kreisschulamt, sondern durch die Schule verfügt werden kann. Dies alles ändert wenig an der Situation, wie sie schon jetzt in Brandenburg besteht. Es gibt ja evangelischen Religionsunterricht in der Schule. Katholischen sogar in Gemeinderäumen wegen der großen Klassenstärken. Insofern müsste es dem Bildungsminister leicht fallen, diesem Kompromissvorschlag zuzustimmen.

Er bedeutet jedoch eine Umkehrung der gängigen Regelung von Artikel 7 Absatz 3, wonach der konfessionelle Religionsunterricht das Regelfach ist, das durch etwas anderes (Ethik, Philosophie etc.) ersetzt werden kann. In Brandenburg wird man sich künftig zugunsten des Religionsunterrichts vom Regelfach LER abmelden können. Das scheint auch sinnvoll zu sein in einem Bundesland, in dem nicht einmal mehr 20 Prozent der SchülerInnen aus konfessionell gebundenen Elternhäusern stammen.

Ein Sieg also für LER? Ja - aber für welches LER? Von der ursprünglichen Idee dieses Faches ist nicht mehr viel übrig. Gedacht war an ein integratives Fach, das Themen der Lebensgestaltung, der ethischen Lebensbewältigung und der Religion in gemeinsamer Annäherung - ohne den Druck von Zensuren - aus verschiedenen Perspektiven und mit den je unterschiedlichen Erfahrungen und Hintergründen von Lehrern und Schülern bearbeitet. Geblieben ist ein Fach, das anderswo Ethik heißt, jetzt aber nicht mehr "Ersatzfach", sondern Regelfach ist, während der konfessionelle Religionsunterricht zum Ersatzfach wird.. Die Chancen für ein gänzlich neues Herangehen an dieses Gebiet, auch und gerade in der Zusammenarbeit mit den Kirchen, scheinen vorerst verspielt. Schade!

Der Autor ist wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Allgemeine Pädagogik der Humboldt-Universität Berlin.

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