Ich denke, man kann, allgemein gesprochen, die populäre Subjektivität, die der Kapitalismus hervorbringt und entfacht, Faschismus nennen. Sie erscheint, wenn etwa das System in eine schwere Krise gerät – wie in den dreißiger Jahren – oder aber, was vielleicht gravierender ist, unter der Wirkung der strukturellen Grenzen des Kapitalismus, die seine Globalisierung sichtbar macht. Eine Globalisierung, die, daran möchte ich erinnern, Expansion und zugleich Offenbarung der Unfähigkeit ist, die gesamte verfügbare Arbeitskraft zu verwerten.
Faschismus ist eine reaktive Subjektivität. Diese Subjektivität ist intrakapitalistisch, weil sie keine andere Gesamtstruktur der Welt anbietet. De facto richtet sie sich im Weltmarkt ein, und zwar in dem
war in dem Maß, wie sie dem Kapitalismus vorwirft, nicht in der Lage zu sein, seine Versprechen zu halten. Der in seiner Sehnsucht nach dem Westen Enttäuschte wird, indem er sich faschisiert, zum Feind des Westens, weil sich seine Sehnsucht nach dem Westen nicht erfüllt hat. Dieser Faschismus entwickelt sich ausgehend von einer innerlichen, negativen Unterdrückung der Sehnsucht nach dem Westen und setzt mithin einen aggressiven, nihilistischen und zerstörerischen Impuls ins Werk. Er ist im Wesentlichen die verdrängte Sehnsucht nach dem Westen, an deren Stelle nun eine nihilistische, mörderische Reaktion tritt, die nichts anderes als das Objekt der Sehnsucht zur Zielscheibe hat. Das ist ein gängiges psychologisches Muster.Dieser moderne Faschismus kann, was seine Form anbelangt, definiert werden als Todestrieb, der sich in einer Sprache des Identitären äußert. Ein möglicher Zungenschlag ist dabei die Religion. Für den spanischen Faschismus im Bürgerkrieg war es, wie erwähnt, der Katholizismus, der Islam ist es heute im Nahen Osten, besonders dort, wo die imperiale Zonierung die Staaten zerstört hat. Doch die Religion ist lediglich ein Mantel, sie ist in keinerlei Hinsicht der Kern, nicht der eigentliche Inhalt der Sache, sondern lediglich eine Form der Subjektivierung. Der eigentliche Inhalt, dem Relikte religiöser Fabeln seine Form geben, speist sich aus der allgegenwärtigen Sehnsucht nach dem Westen, entweder in ihrer affirmativen, expliziten Form oder in ihrer verdrängten, mörderischen Form.In der Praxis folgen diese Faschismen der immer gleichen Logik der Bande, dem kriminellen Gangstertum, verbunden mit der Eroberung und Verteidigung von Gebieten, in denen ein Geschäftsmonopol errichtet wird, gleich einem Drogendealer in seinem Viertel. Um sich zu behaupten, gehören Grausamkeiten um des Aufsehens willen, Plünderungen und wie bei Mafiabanden das permanente Recycling von Waren im Weltmarkt dazu. So, wie die nihilistische Sehnsucht nur die Kehrseite der Sehnsucht nach dem Westen ist, so sind auch die entstaatlichten Zonen, in denen die nihilistische Subjektivität gedeiht, an den Weltmarkt und mithin an die westliche Realität gebunden. Der IS ist, wie gesagt, ein Wirtschaftsunternehmen, das mit Öl, Kunstwerken, Baumwolle, Waffen, also mit einer Vielzahl von Dingen handelt. Und die Söldner des IS sind de facto Lohnempfänger mit einigen zusätzlichen Privilegien, die sich aus den Plünderungen und der Versklavung gefangener Männer und Frauen ergeben.Die Faschisierung islamisiert, nicht umgekehrtDiese Form der Faschisierung ist also in Wirklichkeit ein inhärenter Bestandteil der Struktur des globalisierten Kapitalismus und stellt in gewisser Weise ihre subjektive Pervertierung dar. Alle Welt weiß übrigens, dass Unternehmen, nachweislich auch westliche Kunden wie die saudische Regierung, dauernd mit den faschistischen Banden verhandeln, die sich in der Nahost-Zonierung festgesetzt haben. Und sie handeln ihre Interessen bestmöglich aus.Dieser Faschismus ist mehr oder weniger militärisch organisiert, arbeitet flexibel nach dem Muster einer Mafiabande und weist wechselnde ideologische Färbungen auf, wobei die Religion, ich sage es noch einmal, eine rein formale Bedeutung hat.Mich interessiert an dieser Stelle, was die faschisierende Subjektivität jungen Leuten zu bieten hat. Schließlich waren die Mörder im Januar wie im November junge Leute, junge Leute von hier. Es sind junge Männer im Alter zwischen zwanzig und dreißig Jahren und fast alle Söhne oder Enkel von Arbeitsmigranten. Sie sehen weder eine Perspektive noch einen Platz für sich. Selbst diejenigen mit etwas besserer Bildung, die das Abitur geschafft haben, teilen diese Sicht der Dinge: Da ist kein Platz für sie, jedenfalls kein Platz, der ihrem Wunsch ent- spricht. Aus ihrer Sicht stehen diese jungen Leute am Rand und haben weder am Erwerbsleben noch am Konsum noch an der Zukunft teil. An diesem Punkt bietet ihnen die Faschisierung – im propagandistischen Diskurs aus Dummheit »Radikalisierung« genannt, obwohl sie nichts anderes ist als eine Regression – eine Mischung aus opferbereitem, kriminellem Heroismus und »westlicher« Wunschbefriedigung. Auf der einen Seite wird der junge Mensch zu einem Mafioso, der stolz darauf ist, einer zu sein, und der sich einem kriminellen Heroismus opfert: Leute aus dem Westen töten, die Mörder anderer Banden besiegen, Grausamkeiten zur Schau stellen, Territorien erobern und so weiter. Auf der anderen Seite gibt es Momente »schönen Lebens« und die Befriedigung diverser Wünsche. Der IS bezahlt seine Handlanger recht gut, sie bekommen weit mehr als das, was sie bei einer »normalen« Arbeit in ihrer Heimat verdienen würden. Und außer Geld gibt es noch Frauen, Autos und so weiter. Es ist also eine Mischung aus tödlichen heroischen Angeboten und westlicher Verführung durch Waren. Diese Mischung ist erprobt und letztlich seit jeher ein Merkmal faschistischer Banden.Bei diesem Cocktail kann Religion durchaus eine identitätsstiftende Beigabe sein, gerade weil sie eine vorzeigbare antiwestliche Referenz ist. Doch letztlich spielt, wie man sieht, die Herkunft dieser jungen Leute, also was man ihre geistige oder religiöse Herkunft nennt, kaum eine Rolle. Was zählt, ist die Wahl, die sie vor dem Hintergrund ihrer Frustration getroffen haben. Dass sie sich von der Mischung aus Korruption und opferbereitem, kriminellem Heroismus angezogen fühlen, hat mit der ihnen eigenen Subjektivität zu tun, nicht mit ihrem islamischen Glauben. Im Übrigen konnte man feststellen, dass es in den meisten Fällen nicht anfänglich zu einer Islamisierung kommt, sondern erst später. Anders gesagt, die Faschisierung islamisiert, nicht der Islam faschisiert.Placeholder infobox-1Placeholder link-1
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