Flugtraum, Liebesbeschreibung

EXERZITIUM ZUR AUTORSCHAFT Perikles Monioudis' Roman »Deutschlandflug«

Es gab einmal eine Zeit, zum Beginn des Jahrhunderts, da waren die Autoren plötzlich alle Flieger. Ikarus novus - der Held der literarischen Aufschwungs- und Absturz-Artisten. Zentauren mit einem Unterkörper aus Holz und Leinwand, dabei, die Engel vom Himmel zu jagen, und rückstürzend ihr Blut in Mutter Erde zu ejakulieren. So und so ähnlich schwärmten sie aus in den heroischen Jahren der literarischen und fliegerischen Avantgarde, bis, sagen wir, bis zum Ozean-Flug Lindberghs, dem heroischen Akt, der Höhe- und Abschwungpunkt bedeutete. Danach nahm die Lufthansa weiter Aufwind und stürzten sich Stukas heulend nicht nur auf Guernica. So werden melancholisch heroische Geschichten erzählt.

Perikles Monioudis, ein Schweizer griechischer Herkunft, der jetzt in Berlin lebt, hat nach seinem vielbeachteten Buch Eis (Freitag, 42/97) einen Schweizer Flug-Helden als Figur seines jüngsten Buchs gewählt. Walter Mittelholzer, in den zwanziger Jahren Leiter mehrerer Expeditionen nach Persien und Afrika, über die er dann Bücher schrieb, späterhin Begründer der Swissair, legt als Heinz Seedorfer zu Beginn erst einmal eine ordentliche Bruchlandung hin. Danach macht er sich sofort auf eine Deutschlandexpedition. An der nehmen der Mechaniker Karl Grossmann, der exquisite Schriftsteller Albert Villars und der junge Funker Karl Hornauer teil, den nun der Text in seinen Focus nimmt. Das ist ein Text noch weit seltsamer als das Unternehmen. Zum einen bietet er unablässig akribische Beschreibung, Zahlen und Fachtermini mit der Aura des Technisch-Antiquarischen. Zum anderen zeigt er, vorbereitet durch die Erinnerung an einen Flugtraum der Kindheit, einen Tagträumer, einen Liebeskranken. Der simulierte Flug in den zwanziger Jahren via Stuttgart und Frankfurt am Main nach Berlin, ist mit allem ausgestattet, was es dazu braucht, einschlägige Geräte und Tätigkeiten, Interviews mit der Presse und Sondermarken. Zugleich aber ist er, gespickt nach Art von Träumen mit unablässigen Störungen, Aufschüben und Widerständen, immer deutlicher ein Flug in die Gegenwart. Der vergangene Flug träumt sich zur Gegenwart hin. Immer stärker schieben sich anachronistisch deren Elemente in die Szenerie: Popmusik, Kaffeemaschine, Jeansjacke, Leichtmetallstühle im Hähnchen-Grill, Fernsehkamera und Handy. Bis Berlin in Sicht ist: »Auf zweihundertachtzig Grad der Funkturm auf dem Messegelände, auf dreihundertvierzig Grad der Fernsehturm am Alexanderplatz. [...] Seehofer drosselte den Motor. Sie überflogen den Tiergarten, wo an einigen Stellen Feuer brannten.« Am Ende steht Hornauer vor einem Plattenbau: »Er erkannte vieles wieder und prägte sich alles nochmals ein. Das war's, sagte er, fahren wir!«

Von diesem Schluß her liest sich der Deutschlandflug als Trennungs-, Wiederholungs-, kurz, als Liebesgeschichte. Darin wiederum weitere, kurze erotische Begegnungen, umstandslose Wunscherfüllungen, Schwebeträume vom und Sturzflüge ins andere Geschlecht. »Distanz und Nähe, zwei zentrale Begriffe, im Leben wie im Schreiben«, erklärt der Schriftsteller Villars. Und davon schreibt Monioudis. Am Flug, dem Traum der Dichter, exerziert er Tagträume und Tagesreste durch, die Vor- und Wiedergänger der Literatur. Zugleich wiederholt er darin eine Figur der damaligen Zeit: Sachlichkeit und Sentimentalität in der Exaktheit vorschützenden Detail-Beschreibung und dem weit wehenden Liebesweh. Das Ergebnis ist ein reines Konstrukt, ein Exerzitium auf dem Weg zur Autorschaft. Hornauer ist schließlich im Berlin der Gegenwart angekommen. Es wäre zu wünschen, daß sein Autor hier den Ausgang nähme, seine unbezweifelbaren Fähigkeiten nicht nur zu üben, sondern endlich anzuwenden.

Perikles Monioudis: Deutschlandflug. Ein Traum. Berlin: Berlin Verlag 1998 128 Seiten 29,90 DM

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