Man kann sich vielleicht ansatzweise vorstellen, welchen logistischen und bürokratischen Aufwand es für ein Haus wie das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg (immerhin die größte kulturgeschichtliche Sammlung des deutschsprachigen Raums) bedeutet, auf die Gegenwart zu reagieren. Momentan zeigt das Germanische eine Ausstellung über die Kunst des Mittelalters, eine über Nashorn-Grafiken aus drei Jahrhunderten – und eine über Krieg und Frieden. Die dritte gäbe es nicht, wenn Russland im Februar nicht die Ukraine überfallen hätte. Sie will keine Positionierung im Konflikt einnehmen, die wirklich kleine Schau, aber Denkanstöße mitgeben und die zugrunde liegenden Mechaniken hinter dem ewigen Wechsel aus Gewalt und Nicht-Gew
Gewalt offenbaren. So weit der selbst gesetzte Anspruch.Nürnberger WaffenspielzeugFrieden_Krieg. Ein Kommentar kann kaum ohne diesen Kontext der Kurzfristigkeit in diesem Haus betrachtet werden. Im April begannen die Planungen für eine Ausstellung, die sich Objekten aller Abteilungen von Münzkabinett bis Graphischer Sammlung bedient – aus Letzterer stammen die meisten. Das Germanische Nationalmuseum arbeitet dabei mit dem Institut für Zeitgeschichte in München zusammen, dessen Direktor, der Historiker Magnus Brechtken, inspirierend Pate stand. Seine Gedanken zum Thema Krieg und Frieden hängen auszugsweise groß vorm Eingang zum Ausstellungsraum, flankiert von der Paulskirchenverfassung.Der Raum, tatsächlich – es ist nur einer, kein besonders großer, dritter Stock, ein bisschen versteckt hinter deutschen Impressionisten und Designmöbeln aus Holz. Natürlich hätte man für ein Thema dieser Dimension gern die große Halle gehabt. Die aber ist nicht frei und anscheinend auch nicht frei zu machen auf die Schnelle, und so findet man die abteilungsübergreifende Arbeit, mit der das Germanische ja unter Beweis stellt, dass es auch aktuell sein kann, etwas versteckt, da oben hinten.Die Lösung für das Kuratorenteam, Tilo Grabach, Christian Rümelin und Magnus Brechtken, heißt Rotationsprinzip: Frieden_Krieg wird in vier Zyklen dargereicht, 15 bis 20 Stücke werden jeweils gezeigt. Prolog heißt die erste Rotation, die, beim Betreten augenfällig, von einem Gemälde dominiert wird: Groß und grau nimmt Harald Duwes Bild Bombenopfer (1982) die vom Eingang entfernte Wand ein und spricht in den Raum von Elend und Zerstörung: verknäulte, verrenkte Körper auf der ebenso toten Erde eines unbenannten Schlachtfelds. Duwe erlebte als 18-Jähriger die Bombardierung Leipzigs. Seine Arbeiten aus den 80er Jahren sind auch als Protest gegen die Wiederaufrüstung der Bundesrepublik zu lesen.Wesentlich dezenter tritt gegenüber, am Anfang des Rundgangs, Gerhard Richter auf, dessen Arbeit Bridge 14 FEB (III) aber ins selbe Jahr 1945 deutet. Das Foto, eine Luftbildaufnahme der platt gebombten Stadt Köln, stammt nicht eigentlich von Richter. Aufgenommen wurde es aus einem US-amerikanischen Militärflugzeug, Richter ließ es im Jahr 2000 nachbearbeiten, um sich selbst, als Nachbearbeiten-Lasser, als Künstler einzuschreiben, das Bild funktioniert aber auch ohne Namen ausreichend gut.Interessant ist die Umgebung, in der diese Schwarz-Weiß-Fotografie platziert wurde: einerseits, kunstvoll gegossen, das Modell eines Mörsers aus dem 17. Jahrhundert. Andererseits, ähnliches Format, aber Spielzeug- statt Waffenindustrie: ein Lkw mit Flakgeschütz aus den 1930er Jahren. Spielzeug darf in der Spielzeugstadt Nürnberg nicht fehlen. Dieses bringt zusätzlich die Geschichte seiner Firma mit in die Ausstellung ein: Der jüdische Eigentümer von Tipp & Co. floh nach der Machtergreifung der Nazis, die neu eingesetzten Geschäftsführer ließen propagandistisch-militaristisches Spielzeug produzieren.Dieserart Objekte erzählen von der männlichen Faszination für Schuss und Explosion genauso wie von den zeitgeschichtlichen Verwerfungen. Drei Plakate der Friedensbewegung aus den 1980er Jahren bestimmen die lange Wand (grafisch interessant: das Auftauchen der Friedenstaube, die in der Zeit populär wurde, direkt daneben aber auch auf Johann Heinrich Wilhelm Tischbeins Bildnis der Tochter Ernestine aus dem Jahr 1810). Es geht um beziehungsweise gegen Wiederaufrüstung und Atomwaffen – mitfinanziert wurden diese Plakate aus der DDR, wie Kurator Tilo Grabach erläutert. Auf den insgesamt leider orthografisch ziemlich fehlerhaften Ausstellungstafeln fehlt diese Info. Was schade ist, würde der Hinweis die Ausstellung doch um einen erkenntnisreichen Link in die Gegenwart erweitern: das mit der Friedensbewegung und der richtigen Seite war damals schon und ist heute eine schwierige, ambivalente Sache. Die Realität lässt sich nur schwer in Plakatsprüche pressen.Die friedfertigere FormAndererseits: So gut wie jedes Objekt ist eine Einladung, sich weiter zu informieren, zu recherchieren. Wie die Kiste in der Mitte des Raums, in der, wie zum Transport vorbereitet, Engelsflügel liegen, Skulpturfragmente, die auf die Geschichte des Hauses selbst verweisen. 1943 wurde das Germanische Nationalmuseum schwer getroffen. Ein großer Teil der Sammlung ging verloren, vieles, wie die vorliegenden Flügel, lässt sich nicht mehr identifizieren oder zuordnen. Und findet nur Platz in einer Ausstellung, wenn es wie jetzt um die Zerstörung an sich geht.Ein kleines Studio im Nationalmuseum nimmt sich dieses großen Themas an. Die Dauerausstellung überall drum herum wirkt mitunter natürlich – Achtung, Kriegsrhetorik! – erschlagend. Kulturgeschichte ist in dem Sinne ja alles: von der Ritterrüstung über Dürer bis Design. Die Größe dieser Ausstellung nun korrespondiert mit der Größe des Themas nun höchstens indirekt proportional.Aber: Vielleicht ist gerade an diesem Ort die wohldosierte, konzentrierte auch die viel zeitgemäßere Darreichungsform von Inhalten. Damit der, die Besucher*in tatsächlich die Chance hat, etwas zum Denken mit nach Hause zu nehmen. Und wenn man mit dem Denken dann an einen Punkt gekommen ist, kann möglicherweise bereits die nächste Rotation besucht werden. Es ist der Überwältigung genug, die kleinen Formen sind, wenn man so will, die friedfertigeren. Die nächste Rotation beginnt am 2. November, Thema dann: Kulturzerstörung. Es folgen Ästhetisierung von Waffen und Tugend(en).Placeholder infobox-1
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