In zwölf Jahren soll er gefunden sein, der Ort, an dem Deutschlands Atommüll für die nächste Million Jahre sicher gelagert werden kann. 1.900 Behälter mit hoch radioaktiven Abfällen werden bis dann voraussichtlich angefallen sein – das Endprodukt aus rund 60 Jahren Kernenergie.
Wie genau die Suche nach dem Endlager ablaufen soll, schreibt das Standortauswahlgesetz vor. Gleich im ersten Absatz des Gesetzestextes heißt es, das Verfahren solle wissenschaftsbasiert und transparent ablaufen. Doch nun, ganz am Anfang der Endlagersuche, wird die Transparenz bereits auf die Probe gestellt. Das Dilemma dreht sich um geologische Daten. Genauer genommen um die Veröffentlichung einiger Daten, die Unternehmen gehören.
Geologische Daten bilden die Basis für den ersten Schritt der Endlagersuche, die Entscheidung, welche Regionen Deutschlands als Standort in Frage kommen: Welches Gestein kommt vor? Bis wo reicht das Grundwasser? Wurde schon einmal gebohrt? Über 1,5 Millionen geologische Datensätze analysiert die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE), die vom Staat mit der Standortauswahl beauftragt wurde, gerade. Ende des Jahres möchte sie einen Zwischenbericht veröffentlichen, in dem alle Gebiete aufgelistet sind, die sich für ein Endlager eignen. Damit die Bürgerinnen und Bürger diese Auswahl nachvollziehen können, möchte die BGE alle zugrunde liegenden Daten mit veröffentlichen.
Die Angst der Unternehmen
Das Problem ist allerdings: Ein großer Teil der Daten, die veröffentlicht werden sollen, wurde nicht von staatlichen Diensten erhoben, sondern von privaten Unternehmen. Es sind Bergbau- und Explorativfirmen aus der Rohstoffindustrie, die das Gestein unter Deutschland im letzten Jahrhundert kartiert haben. Nur haben sie diese Daten nicht erhoben, um ein geeignetes Endlager für Atommüll zu finden. Sie waren auf der Suche nach Rohstoffen. Und wer Rohstoffe findet, verrät ungern, wo er sie gefunden hat.
Natürlich ist die Erkundung des Untergrunds in Deutschland staatlich geregelt. Unternehmen dürfen nicht einfach irgendwo bohren, sondern brauchen eine Genehmigung durch Behörden. Die gewonnenen Daten müssen sie dem jeweiligen geologischen Landesamt mitteilen, das somit die Informationen darüber bündelt, was unter der Erde liegt. Wer Daten zu Gesteinsschichten oder Grundwasser an einem bestimmten Ort benötigt, fragt beim Landesamt nach. Je nachdem, woher die Daten stammen, ist die Weitergabe unterschiedlich kompliziert. Habe ein Unternehmen die Rechte an den Daten, müsse es vor der Weitergabe um Zustimmung gebeten werden, erklärt Georg Wieber, Leiter des Landesamts für Geologie und Bergbau in Rheinland-Pfalz.
Im Sommer 2017 erreichte Herrn Wieber eine ungewöhnliche Anfrage. Darin forderte die BGE das Landesamt auf, ihr eine große Menge geologischer Daten zu überliefern. „Nach dem Standortauswahlgesetz müssen die Landesämter uns als Vorhabenträger ihre Daten, die im Sinne der Erkundung gesammelt wurden, zur Verfügung stellen“, sagt Steffen Kanitz, Geschäftsführer der BGE. Darin sehen Wieber und seine Kollegen der anderen geologischen Landesämter zunächst kein Problem. Sie möchten gerne ihren Beitrag zur Endlagersuche leisten, aber dabei auch den Datenschutz gewährleisten. Vor einer möglichen Veröffentlichung von Daten Dritter habe eine Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen stattzufinden, sagt Wieber. Er stecke in der Klemme zwischen der BGE und den Unternehmen, deren Daten er weitergeben soll.
Das Dilemma betrifft nicht alle Daten. Die Rechte von Unternehmen können beispielsweise verjähren, sodass die Veröffentlichung alter Datensätze kein Problem darstellt. Von den 1,5 Millionen Datensätzen, die die BGE bisher erhalten hat, hält Kanitz weniger als ein Fünftel für problematisch. Doch diese 20 Prozent reichen, um Unternehmen in Angst zu versetzen. Einer, der sich Sorgen macht, ist Ludwig Möhring. Der Geschäftsführer des Bundesverbands Erdgas, Erdöl und Geoenergie vertritt die Interessen der Unternehmen. „Wenn unsere Daten, insbesondere zu unseren Lagerstätten, alle online stehen, wissen wir, wer die ersten Klicks macht: die Mitbewerber“, sagt er. Die Unternehmen seines Bundesverbands sähen sich in ihrer gesellschaftlichen Pflicht, bei der Endlagersuche aktiv mitzuwirken und diese auch durch Bereitstellung von Daten zu unterstützen. Maßgeblich sei dabei aber die Relevanz der Daten für die Endlagersuche, betont Möhring. „Wir haben in weiten Teilen kein Problem damit, wenn unsere Fachdaten, die heute schon den Behörden vorliegen, auch für die Öffentlichkeit zugänglich sind.“ Problematisch seien die Daten aus sehr tiefen Bohrungen: „Für ein potenzielles Endlager ist es irrelevant, wie das Lagerstättenmodell einer in 5.000 Meter Tiefe liegenden Gaslagerstätte im Detail aussieht. Für uns sind diese Daten aber sensibel.“
Um das Dilemma zu lösen, hoffen alle Beteiligten auf das neue Geologiedatengesetz, das noch dieses Jahr verabschiedet werden soll. Es löst das Lagerstättengesetz von 1934 ab, das bisher regelte, welche geophysikalischen Untersuchungen gemeldet werden müssen und wer ein Recht hat, davon zu erfahren. Die Weitergabe geologischer Daten an die BGE zu klären, ist also nur eine kleine Nebenfunktion. Und es deutet sich bereits an, dass das neue Gesetz keine hundertprozentige Lösung darstellt. „Ich schätze, dass 90 bis 95 Prozent der erforderlichen Daten, die sie in dem Prozess brauchen, durch das Gesetz frei würden“, erklärte Peer Hoth vom zuständigen Wirtschaftsministerium im Februar bei einer Veranstaltung. Steffen Kanitz pocht darauf, dass die BGE alle Daten veröffentlichen muss. „Wir sind gesetzlich dazu verpflichtet, nachvollziehbar zu dokumentieren, wie es zu Entscheidungen kommt“, sagt er. Dafür sei es notwendig, alle für die Standortsuche relevanten Daten zu veröffentlichen. Denn: „Die Frage, welche Daten entscheidungsrelevant sind und welche nicht, dürfen wir nicht alleine beantworten. Das wäre ein Rückfall in alte Zeiten.“
Die „alten Zeiten“ sind eine Anspielung auf die 70er Jahre, in denen unter Ausschluss der Öffentlichkeit entschieden wurde, den Salzstock im niedersächsischen Gorleben zum Endlager für hoch radioaktiven Atommüll auszubauen. Jahrzehnte protestierten die Anwohnerinnen und Atomkraftgegner aus ganz Deutschland gegen die Pläne. Der Salzstock sei ungeeignet, die Entscheidung aufgrund politischer Erwägungen gefallen – Gorleben liegt unweit der damaligen deutsch-deutschen Grenze, der Landstrich hatte eine niedrige Bevölkerungsdichte.
Die „weiße Landkarte“
Die Endlagersuche ist und bleibt eine der schwierigsten Herausforderungen unserer Zeit. Seit Energie aus Kernspaltung gewonnen wird, ist ungeklärt, was mit dem Atommüll geschehen soll. Zunächst wurde das Problem kleingeredet, man könne den Müll in den Weltraum schießen oder ins Meer kippen. Als 1960 in Deutschland das „Atomgesetz“ in Kraft trat, wurde die Endlagerung radioaktiver Abfälle nicht darin thematisiert. Die Entscheidung für Gorleben wurde all die Jahre nicht revidiert – es gab keine bessere Alternative. In diesem Kontext ist das gesetzliche Ziel von 2013, die Endlagersuche wissenschaftsbasiert und transparent zu gestalten, eine Errungenschaft. Ein wichtiges Schlagwort der neuen Endlagersuche ist die „weiße Landkarte“. Im ersten Schritt des Verfahrens, in dem geeignete Standorte für die weitere Erkundung ausgewählt werden, sollen alle Gebiete gleichbehandelt werden. Erst werden Ausschlusskriterien wie Vulkanismus oder vorherige Bohrungen angewandt, die übrig gebliebenen Regionen werden auf ihre Gesteinsschichten überprüft.
Weil der hoch radioaktive Atommüll Jahrtausende braucht, bis er keine gefährliche Strahlung mehr abgibt, und weil er dabei in den ersten Jahrhunderten Wärme erzeugt, sind die Anforderungen an den Standort sehr hoch. Die Behälter müssen von einer 100 Meter dicken, möglichst wasserundurchlässigen Schicht aus Kristallin-, Salz- oder Tongestein umgeben sein und mindestens 300 Meter unterhalb der Erdoberfläche eingelagert werden. Der Bereich muss außerdem eine gewisse Größe haben, damit der Müll zurückgeholt werden kann – im Notfall oder auch für den Fall, dass zukünftige Generationen eine Technologie entwickeln, mit der sich die Radioaktivität beseitigen lässt. All diese Bedingungen müssen über einen Zeitraum von einer Million Jahren erfüllt sein.
Eine Million Jahre. Das ist eine unbegreiflich lange Zeitspanne. Vor einer Million Jahren war Steinzeit, die ersten Vorfahren des Homo Sapiens kamen nach Europa, das Feuer war noch nicht erfunden. Wie die Landschaft in Europa in einer Million Jahren aussehen wird, ist nicht absehbar. Kanitz zufolge ist es möglich, das Verhalten von Gebirgsformationen über einen so langen Zeitraum einzuschätzen: „Sehr stabile Gebirgsformationen, die sich über Millionen Jahre kaum bewegt haben, werden sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft nicht bewegen.“ Standorte, die für ein Endlager in Frage kämen, würden daraufhin getestet, ob sie sich verändern, wenn eine Eiszeit kommt, oder wenn wegen des Klimawandels der Meeresspiegel steigt.
26 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der BGE sind momentan damit beschäftigt, die 1,5 Millionen Datensätze entsprechend auszuwerten. Und stehen vor noch ganz anderen Problemen als der Veröffentlichung: Nicht jede Region ist gleich gut erfasst. Tiefengeologische Karten beispielsweise lägen nicht für ganz Deutschland vor. Sie häuften sich dort, wo es viele Bodenschätze gibt. Dort, wo Unternehmen den Untergrund für ihre Zwecke erforscht haben. Für manche Gebiete gebe es wiederum sehr wenige oder keine Daten, sagt Kanitz. Auch qualitativ unterscheiden sich die Daten: „Manche sind 50 Jahre alt und noch nicht digitalisiert, andere kommen aus den letzten Jahren“, erzählt Kanitz. Er muss aber dafür sorgen, dass alle Regionen trotzdem gleichbehandelt werden. „Es darf nicht sein, dass diejenigen Regionen, die gut erkundet sind, bevorzugt werden“, sagt er. Das dürfte für die BGE die größere Herausforderung werden. Damit alle Bürgerinnen und Bürger nachvollziehen können, ob der BGE diese Aufgabe gelungen ist, müssen alle zugrunde liegenden geologischen Daten veröffentlicht werden. Auch wenn klar ist, dass die wenigsten Bürger etwas mit anderthalb Millionen technischer Datensätze anfangen können dürften.
Kommentare 4
Die grenzenlose Atomkraft in Europa heute:
Krebs und Missbildungen durch radioaktive Strahlung. Schon der störungsfreie Normalbetrieb geht mit erheblichen Gefahren einher: So geben AKW, Atommüll-Zwischenlager sowie Atommülltransporte stetig radioaktive Strahlen und Partikel ab, die insbesondere Krebs verursachen und das Erbgut schädigen können.
Vgl. https://www.bund.net/atomkraft/gefahren/dauerstrahlung/
Frage: Wer kümmert sich um die AKW und Atomwaffen Frankreichs und Großbritanniens?
Frankreich: Die französische Nuklearindustrie hat einen strategischen Vertrag mit der Regierung und den Gewerkschaften für den Zeitraum 2019–2022 unterzeichnet, der einen Aktionsplan beinhaltet. Die französische Nuklearindustrie vertritt rund 2600 Unternehmen, 85% davon sind kleine und mittlere Unternehmen. Der Industriesektor ist zu über 50% auf den Export ausgerichtet.Der strategische Vertrag umfasst eine Reihe gegenseitiger Verpflichtungen, welche die Nuklearindustrie dabei unterstützen sollen, eine begrenzte Anzahl anspruchsvoller Projekte erfolgreich zu realisieren.
Großbritannien: Das britische Department for Business, Energy and Industrial Strategy (BEIS) hat zur Förderung kleiner, modularer Reaktoren (SMRs) acht Unternehmen ausgewählt, die für Machbarkeitsstudien und Entwicklungsarbeiten eine staatliche Unterstützung erhalten. Das BEIS investiert bis zu GBP 44 Mrd. (CHF 56 Mrd.) in das Projekt «Advanced Modular Reactor (AMR) Feasibility and Development (F&D)».
In diesem Zusammenhang werden AMR als eine breite Gruppe ''fortgeschrittener Reaktoren'' definiert. Sie unterscheiden sich von konventionellen Reaktoren, die Siedewasser oder Druckwasser als Primarkühlmittel benötigen. AMRs zielen darauf ab, ''die Anzahl Fertigungen außerhalb des Standorts zu maximieren'' {…}
Noch Fragen?
26.04.2019, R.S.
Eigentlich ein Armutszeugnis für das hochtechnologiesierte Deutschland, in mehr als einem halben Jahrhundert immer noch keine Entsorgungslösung für die "ehemalige Zukunftsenergieerzeugung" gefunden zu haben. Ich streite den Beteiligten den Willen dazu ab. Die Geologie wird sich nicht ändern, genauso wenig wie die Furcht vor Fettnäpfchen und die Aussicht auf "Schnäppchen" (der Kernkraftprofiteure). Dann bleibt das Zeug eben ewig in den Zwischenlagern. Und ein bisserl Neues passt da auch noch 'rein. Ja und Pfaffen sollen da auch noch über die Physik und Geologie hinweg mitreden. Na dann auf ein heißes WEITERSO!
<<Damit alle Bürgerinnen und Bürger nachvollziehen können, ob der BGE diese Aufgabe gelungen ist, müssen alle zugrunde liegenden geologischen Daten veröffentlicht werden. Auch wenn klar ist, dass die wenigsten Bürger etwas mit anderthalb Millionen technischer Datensätze anfangen können dürften.>>
Nein, damit können die Bürger nichts anfangen. Außerdem geht dann die politische Überzeugungsarbeit erst richtig los, mit völlig unsicherem Ausgang. Die örtliche Bevölkerung, die die geologische Arschkarte gezogen hat, wird sich ja wohl kaum widerstandslos in ihr Schicksal ergeben.
Ich plädiere für den südkoreanischen Weg:
Die südkoreanische Regierung hat vor ca. 10 Jahren 100 Millionen US Dollar ausgelobt für eine Gemeinde, die freiwillig ihr Gebiet für einen Endlagerstandort für mittel-radioaktive Stoffe zur Verfügung stellt. 8 Gemeinden hatten sich beworben, die Gemeinde mit der höchsten Zustimmungsrate (ca. 80%) erhielt den Zuschlag. Heute ist das Atom-Endlager an der Ostküste Südkoreas bereits in Betrieb. Es bietet nicht nur Atom-Arbeitsplätze, sondern hat sich inzwischen zu einem touristischen Ausflugsziel entwickelt.
Südkorea besitzt allerdings auch noch kein Endlager für hochradiaktiven Abfall. 2023 sind die Lagerflächen für abgebrannte Brennstäbe auf dem Territorium der AKWs erschöpft, dann müsste eigentlich spätestens so ein Endlager fertig sein.
Die Bundesregierung sollte 500 Millionen Euro ausloben und nur auf den Territorien der ernsthaften Bewerber geologische Untersuchungen anstellen. Damit würden die ganzen geologischen und rechtlichen Komplikationen, die der Beitrag beschreibt, obsolet, man käme schneller als nach 13 Jahren zu einem Ergebnis und die Akzeptanz der örtlichen Bevölkerung wäre bereits vorab sichergestellt.
So wie sich heutzutage Gemeinden finden, die Braunkohleabbau auf ihrem Gebiet gut heißen, weil das Arbeitsplätze sichert, werden sich Gemeinden finden, die das Geld und die mit dem Endlager verbundenen Arbeitsplätze lockt.
Endlager ok. Aber es gibt ja noch andere Möglichkeiten, die aus irgendeinem Grund (ok ich glaube ich weiß warum...) nie diskutiert wird: Transmutation.
Klingt nach Alchemie, bedeutet aber schlicht, dass "langlebiger" Atommüll durch physikalische Prozesse "kurzlebiger" gemacht wird... heißt im Klartext, der Müll wird so verändert, dass die Strahlung, die von ihm ausgeht nur noch um die 100 Jahre wirklich gefährlich ist statt um die Millionen. Nun sind 100 Jahre auch keine kurze Dauer, aber doch noch irgendwie handhabbarer als 100.000 oder gar Millionen Jahre.
Wo ist das Problem? Zum einen wurde die entsprechende Technologie (jedenfalls in Deutschland) nicht gezielt gefördert oder angestrebt, zum anderen - und jetzt kommts - würde die Umwandlung ähnlich viel (nutzbare) Energie verschlingen, wie bei der Herstellung des Atommülls erzeugt wurde! Und natürlich ist wieder niemand bereit, diesen Preis zu bezahlen...
Dann wohl doch lieber verbuddeln, sollen sich die Menschen der Zukunft, oder wie sich die Wesen in einer Millionen Jahren auch immer nennen, darum kümmern. Cheers.