Gebhard, der Maulwurf

Gebhard, der Maulwurf, hatte sich im Garten der Familie Ringel niedergelassen. Hier stimmten Umfeld, Arbeits- und Lebensbedingungen, Infrastruktur. ...

Gebhard, der Maulwurf, hatte sich im Garten der Familie Ringel niedergelassen. Hier stimmten Umfeld, Arbeits- und Lebensbedingungen, Infrastruktur. Sein einziger natürlicher Feind war Herr Ringel.

Besonders wohl fühlte sich Gebhard unter Frau Ringels Blumenbeet. Diese Blumen waren so anspruchsvoll, dass sie nur dort wuchsen, wo man sie gepflanzt hatte. Die bei Gebhards Tiefbauarbeiten anfallenden Maulwurfshaufen brachten Frau Ringel zur Verzweiflung, Herrn Ringel in Rage. Letzterer sann auf Vergeltung.

"Maulwürfe stehen unter Naturschutz", gab Ringels Großer, ein Tierfreund und Mitglied bei Amnesty Animal, zu bedenken.

"Dieser bald nicht mehr", versprach Herr Ringel und verlegte im Garten mehrere hundert Meter Wasserschlauch. Alle Maulwurfslöcher wurden gleichzeitig geflutet. Die Wasseruhr lief Amok, vier Wochen später erschien im Spiegel eine Titelgeschichte über die sich weltweit abzeichnende Verknappung der Trinkwasserressourcen.

Gebhard schichtete ein paar Sandsäcke auf, dann half er seiner Nachbarin, der Wühlmaus, bei der das Wasser in den Keller gelaufen war, das Eingemachte nach "oben" zu bringen.

Nun versuchte es Herr Ringel mit einer selbstgebauten Falle. Die Bauanleitung dazu stammte aus Du und Dein unterwühlter Garten. Gebhard entdeckte die Konstruktion bei seinem täglichen Rundgang zufällig in einem abgelegenen Seitenstollen. Die Funktionsweise der Apparatur erschloss sich ihm überhaupt nicht. Selbst wenn er vorgehabt hätte, Selbstmord zu verüben, mit dieser Falle wäre das beim besten Willen nichts geworden.

Wenn ich schreiben könnte, würde ich irgendeinen Spruch auf dieses Gerät malen, dachte Gebhard. - Irgendwas Unanständiges müsste es sein ...

Frau Ringel gab sich alle Mühe, den Hauskater gegen Gebhard aufzuhetzen. Willi schnurrte, was das Zeug hielt, sah sich aber zu keinerlei Aktivitäten veranlasst. Er vertrat nämlich den Standpunkt, es genüge vollkommen, wenn er sich seinen Lebensunterhalt mit Nichtstun verdiente. Und solange es nach ihm ging, sollte sich daran auch nichts ändern. Wäre ja noch schöner!

"Das Aas hat meine Tulipa tardie abgefressen", jammerte Frau Ringel am Sonntagnachmittag. Gebhard saß unter der Forsythie und schüttelte den Kopf. Diesen Hirnis ist nicht mal klar, dass ich gar kein Pflanzenfresser bin, dachte er - Pisa lässt grüßen. Außerdem müsste die Alte wissen, dass es nicht Tulipa tardie, sondern Tulipa darda heißt.

Vierundzwanzig Stunden später installierte Herr Ringel auf dem Blumenbeet einen im Baumarkt erstandenen Impulsgeber. Das Gerät sandte Schallwellen aus, die im Umkreis von 1.000 Quadratmetern Wühlmäuse und Maulwürfe vertreiben sollten. Gebhard bewohnte keine 40 Quadratmeter. Er richtete seinen Fitnessraum unmittelbar neben dem Impulsgeber ein; so ein paar Impulse braucht hin und wieder ein jeder, befähigen sie doch zu schnellem, entschlossenen Handeln. Die Interessenkollision zwischen Gebhard und Herrn Ringel nahm weiter zu. Herr Ringel berief sich auf die im Grundgesetz garantierte Gewährleistung des Eigentums. Die Rechte deutscher Maulwürfe hingegen klammert das Grundgesetz generell aus.

Als nächstes erwog Herr Ringel den Einsatz von Giftgas. Kfz-Abgase in die Gänge leiten - und Tschüss! Er überlegte, dass es wohl am besten wäre, wenn sich mehrere Gartennachbarn bei der Bekämpfung zusammentun und den Vernichtungsfeldzug gemeinsam führen würden. Leider war sein Nachbar zur Linken ein ganz blöder Hund, genau wie sein Nachbar zur Rechten.

Da Herr Ringel einen schadstoffarmen PKW fuhr, musste als Zweitwagen ein Trabant ohne Abgastest her.

"Papa plant einen Angriffskrieg", rief Ringels Kleiner, ein angehender Politologe.

Zu seinem Glück weilte Gebhard am Tag X im Nachbargarten auf der Silberhochzeit von Onkel und Tante. Als er nach Hause kam, musste er gründlich durchlüften. Der größte Schädling auf dieser Welt ist doch der Mensch, sinnierte Gebhard. Aber mich kriegen die hier nicht weg, so ein Umzug ist viel zu teuer.

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