Der Krieg und wir, seine Profiteure Peter Zadeks Inszenierung der "Mutter Courage" am Deutschen Theater Berlin übersetzt Brechts Dialektik in freundliche Prosa
Brecht wird immer widersprüchlicher, je mehr er präsent ist und gerühmt wird: Von der einschlägigen öffentlichen Meinung zum größten deutschen Dramatiker unserer Zeit erhoben - aber seine Stücke gelten in der Theaterpraxis als kaum mehr spielbar. Der größte zeitgenössische Dichter und Meister deutscher Sprache? Aber die tonangebende Literaturkritik lässt nur noch einen Teil seiner Lyrik gelten. Die Brecht´schen Theatertheorien werden gehandelt als etwas für Seminaristen und Intellektuelle, unbrauchbar für Schauspieler und Regisseure - nur die Ernsthaften unter uns Nachgeborenen entdecken in jüngerer Zeit ganz unerwartete Dimensionen im scheinbar so Deutlichen. Lautstark wird dagegen Brechts künstlerische P
e Produktivität als geistiger Diebstahl sexuell höriger Frauen denunziert und sein politisches Engagement als verkappter Zynismus. Und doch ist er nicht unterzukriegen, steht er überall im Wege, prallen alle Versuche, ihn zu historisieren und kleinzuklopfen, am lebendigen und ungebrochen aktuellen Werk ab. Man kommt an ihm nicht vorbei - zum Beispiel, wenn Peter Zadek nach einem ernsthaften Theatertext darüber sucht, "was äußerlich um mich herum in der Welt passiert und mir andauernd entgegenkommt. Ich habe dann festgestellt, dass es seit dem Zweiten Weltkrieg eigentlich nur ein großes Stück über Krieg in deutscher Sprache gibt, nämlich Mutter Courage".Das Stück war 1938/39, also mitten in die Kriegsvorbereitungen hinein geschrieben worden (damals auch als Warnung an die Neutralen, an Brechts Gastländer Dänemark und Schweden gedacht, sich nicht profitmotiviert am Krieg des Dritten Reiches zu beteiligen), aber als es 1949 in den Trümmern Berlins zur deutschen Erstaufführung kam, war es kein historisches Stück mehr, sondern eines von unmittelbarer Gegenwart. Und das ist es leider auch geblieben. Alle, selbst die taktischen Kriegsgegner unter den Regierenden, wollen nun an den Früchten des amerikanischen Sieges beteiligt werden, und die Großen werden ihr Geschäft im Irak auch machen. Aber sicher ist: "Der g´meine Mann hat kein´n Gewinn", ob als Händler, gesundheitlich geschädigter Soldat oder befreiter Iraker.Aber warum macht er trotzdem immer wieder mit? Da der Krieg ja nur die extremste Form seiner Instrumentalisierung ist, könnte doch gerade der die Augen öffnen für die eigene Opferrolle. "Komm, geh´ mit angeln, sagte der Fischer zum Wurm." Die Courage durchschaut also sehr genau das Spiel der Welt - und zieht doch trotz ihres handfesten und bodenständigen Urteilsvermögens keine praktischen Konsequenzen. Mutter Courage ist ein Stück über unser aller wissentlich falsches Bewusstsein - nicht nur in Sachen Krieg, Militär und Rüstung, sondern auch zum Beispiel in Sachen Ökologie und Umweltzerstörung durch Wachstumsmaximierung. Wir machen das Kapitalspiel der Großen mit, weil wir kurzfristig alle davon profitieren, obwohl wir sehr wohl wissen, dass wir uns damit langfristig schaden: "Wenn man die Großkopfigen reden hört, führens die Krieg nur aus Gottesfurcht und für alles, was gut und schön ist. Aber wenn man genauer hinsieht, sinds nicht so blöd, sondern führn die Krieg für Gewinn. Und anders würden die kleinen Leute wie ich auch nicht mitmachen."Die Courage geht also nicht, wie es zunächst scheinen will, an ihrer Uneinsichtigkeit zugrunde, sondern ihr und unser Problem ist ein materielles Verhaftetsein, das verhindert, aus dem hellsichtigen Wissen die schmerzhafte Konsequenz zu ziehen: Du musst dein Leben radikal ändern, Erkenntnis allein genügt nicht. Aber der Courage-Spiegel muss scharf geschliffen sein, um das Publikum so zu entzünden, dass es das Theater wenigstens mit dem Vorsatz verlässt, sich aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit zu befreien.Der Lernspiegel, den uns Zadek vorhält, ist dazu nicht in der Lage. Freundlich ist das Ganze, freundlich und unverbindlich die statische Lichtregie, freundlich und zu keinem Augenblick bedrohlich die traditionell klappernden Rüstungen der Theatersoldaten, freundlich und ohne doppelbödiges Profil Feldhauptmann, Feldprediger und Koch, freundlich vor allem aber die Protagonistin, Angela Winkler als Mutter Courage. Sie ist geradezu die Freundlichkeit in Person, vermag fast nichts ohne ein jungmädchenhaftes Lächeln zu sagen, das sie eher zu einer Schutzbedürftigen macht, nicht aber auch nur für einen angedeuteten Augenblick glaubhaft zur "Hyäne des Schlachtfeldes", die sie ja auch ist. Mit dieser eklatanten Fehlbesetzung verliert das Stück seine einfach-komplizierte Botschaft: Dass eben auch und gerade eine robuste, bodenständige, illusionslose Lebensphilosophie der Ausgebeuteten, die alle Verlogenheiten der Macht und der Mächtigen mit dem gesunden Menschenverstand des aufrechten Ganges durchschaut, anfällig ist für die Akzeptanz der schlechten Wirklichkeit, ja sie geradezu affirmativ bestätigt. Dieser Courage jedoch glaubt man zu keinem Zeitpunkt ihre drei Männer, ihre kühne Fahrt mitten durchs Schlachtfeld, ihre Überlebenslist in den Zeiten eines brutalen Krieges, die realistische "große Kapitulation" mit dieser schönen Stimme der Unschuld. Von ihr wird das eigene Nachdenken nicht provoziert. Die rührend-naive Freundlichkeit ihrer Stimme entzieht der Brecht´schen Sprache ihre dialektische Kraft, lässt sie geistreich und bisweilen witzig erscheinen - Feldprediger: "Wir sind eben jetzt in Gottes Hand". Courage: "Ich glaub nicht, dass wir schon so verloren sind" - aber nicht herausfordernd und erkenntnisfördernd.Für wen Mutter Courage die erste Begegnung mit Brecht ist, der wird nie verstehen, wie die Literaturwissenschaft behaupten kann, dieser sei einer der größten Meister deutscher Sprache - da klingt alles recht einfältig, schlicht, leichtfüßig, bisweilen auch platt und flach. Die deutsche Sprache hat wegen der kulturell besonders ausgeprägten Distanz zwischen Schriftlichkeit und Mündlichkeit ein strukturelles "Bühnenproblem" - das geschriebene Deutsch ist, wo es gut geschrieben ist, immer "Kunstsprache", wenn man will: "Dichtung", auch im "Volksstück", wie es Brecht schreiben wollte. Für die Mutter Courage hatte er eine Sprache von ganz besonderer Dichte und Farbigkeit erfunden, gewonnen aus Elementen der Luther-Bibel ebenso wie aus dem mundartlichen Volkstheater Bayerns. Es ist eine dichterische, eine "Stakkato-Sprache" wie sie wohl auch genannt wurde, die einen ganz eigenen Rhythmus, ein eigenes Kolorit, eben eine spezifische Tonart hat, die nur eines von der klassischen deutschen oder auch elisabethanischen Dramatik trennt, dass sie keinem Versmaß unterworfen ist. Aber sie muss und will so gesprochen werden, als wenn sie metrisch wäre: Erst durch ihren leicht verfremdeten altdeutschen Sprachstil - bis hin zu ganz neuen Wortschöpfungen - gewinnen die dialektischen Dialoge ihren Glanz und ihre gedanklich erhellende, blitzartige Leuchtkraft auf dem Wege von der Bühne zum Publikum.Diese gesprochene Brechtsprache hat dieselbe Funktion für die erzählte Fabel, wie die Fabel sie hat für die zu vermittelnde politische Botschaft: Der Umweg zum Gedanken über die Sinnlichkeit. Indem Zadek anscheinend bewusst auf die Erarbeitung dieser spezifischen Brecht-Sprechkultur verzichtet zugunsten eines eingänglichen Umgangssprachen-Deutschs, wird auch die in jener besonderen Sprechweise enthaltene Botschaft selbst kompromittiert, um nicht zu sagen banalisiert. Wir hören gewissermaßen die möglichst einfach gehaltene Prosaübersetzung einer großen Dichtung - und die lässt kalt.Trotzdem gibt es szenisch einige unvergessliche Momente - etwa das Schlussbild der marschierenden Truppen mit der wider besseres Wissen ihnen nachziehenden Courage, oder auch die abgeschossene Kattrin, die für lange Sekunden wie ein großer toter Vogel auf einem Balken liegen bleibt: Das furchtbare Mysterium des gewaltsamen Todes ist eines der untergründigen Themen dieses nur scheinbar einfachen Stückes über den Krieg und uns, seine Profiteure.
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