Eine Höhle vor ein paar Zehntausend Jahren. Wahrscheinlich liegt sie am Mittelmeer, vielleicht im heutigen Südfrankreich, und sie ist von Menschen bevölkert. Einige Männer schlagen Steine für Werkzeug zurecht, ein anderer malt oder ritzt eine Jagdszene in das Gestein der Wände. Um das Feuer sitzen Frauen und Kinder und beobachten ihn. Bei ihnen steht auch ein Mann, der auffällt: Sein Bart ist grau. Er ruft dem Höhlenmaler etwas zu, während er das Feuer schürt, ohne Zweifel ist er älter als die anderen Männer in der Höhle. Und genau er ist ein gewichtiger Grund dafür, dass seine Spezies, der Homo sapiens, die Neandertaler-Konkurrenz aus der Nachbarhöhle überdauert hat. Rachel Caspari jedenfalls ist davon überzeugt. Zugleich schließt die US-Anthropologin jetzt aus ihrer wissenschaftlichen Arbeit, dass Szenarien wie das beschriebene in altsteinzeitlichen Höhlen womöglich noch gar nicht alltäglich waren. Oma und Opa gibt es vermutlich erst seit etwa 30.000 Jahren.
Während sich heute ganze Forschungszweige mit dem Kampf gegen das Altern als Scheitern der biologischen Funktionalität befassen, versucht Caspari seit gut zehn Jahren herauszufinden, warum Menschen überhaupt über die zweite Generation hinaus leben. Ab wann wurde der Mensch alt genug für die Großelternschaft, und nicht zuletzt: Welchen Sinn ergab es, in Gruppen von mehreren, direkt miteinander verwandten Generationen zusammenzuleben? Fragen, die weit weniger trivial sind, als sie erscheinen. Denn obwohl ihre Funktion heute von unzweifelhaft sozialem Wert ist, waren und sind Großeltern bei eingehender Betrachtung ein evolutionär ziemlich unwahrscheinliches Phänomen – kaum wahrscheinlicher als die Entstehung von Intelligenz oder Bewusstsein. In der Natur kommen sie daher fast nicht vor.
Als Caspari um das Millennium herum mit ihrer Forschung zur Evolution von Oma und Opa begann, stand sie vor allem vor praktischen Problemen: Die Altersstruktur menschlicher Gemeinschaften aus prähistorischer Zeit zu untersuchen, ist schwierig. Zum einen alterten die Menschen vor 500.000, 130.000 oder 30.000 Jahren auf gewiss andere Weise, vor allem in einem anderen Tempo, als sie es heute tun, und entsprechend lassen sich die Merkmale der Seniorenschaft, die man an fossilen Fundstücken zu suchen hat, nicht einfach ablesen. Was man als „alt“ im Sinne der prähistorischen Umstände betrachten kann, bedarf einer eigenen, neuen Definition. Zum anderen benötigt man für solche Erhebungen streng genommen gut erhaltene Überreste von vollständigen Kollektiven – und eben die gibt es nicht, zumindest nicht in der idealen Form.
Profil der Backenzähne
Immerhin existieren einige größere Funde, darunter eine Sammlung von 70 Neandertalerskeletten im kroatischen Kaspari nahe Zagreb. Der Paläontologe Dragutin Gorjanovic-Kramberger hatte sie 1899 dort entdeckt und wegen der Ähnlichkeiten erkannt, dass es sich um die Überreste von etwa zur selben Zeit lebenden Vorfahren oder Verwandten des Menschen handelte. Ende der Siebziger schlossen Forscher aufgrund des Abnutzungsprofils der gut erhaltenen Backenzähne, dass die Individuen, zu denen die 130.000 Jahre alten Knochen gehörten, zu Lebzeiten alle relativ jung gewesen – und ebenso jung gestorben sein mussten. Wann genau, ließ sich allerdings schwer sagen. Caspari entwickelte eine neue Methode, mit deren Hilfe sie die Zähne erneut untersuchte. Die Mikro-Computertomografie (μ-CT) würde im Gegensatz zu den vorhandenen Verfahren erlauben, auch ältere Individuen zu identifizieren. Sie konnte die Ergebnisse der Kollegen nicht nur bestätigen, sondern auch präzisieren: Kaum einer der Neandertaler war älter als 30 Jahre alt geworden. Großeltern hatte es unter ihnen nur in Einzelfällen gegeben.
Caspari weitete ihre Suche anschließend aus. Sie untersuchte Funde aus verschiedenen prähistorischen Zeitaltern und von unterschiedlichen Fundstätten, von 1,5 Millionen Jahre alten Australopithecinen aus Afrika ebenso wie von Homo-Spezies, die 500.000 und 130.000 Jahre alt waren und teils aus Europa stammten. Als sie die gesammelten Ergebnisse mit denen verglich, die sie von 20.000 bis 30.000 Jahre alten Funden des Jungpaläolithikums erhielt, war sie selbst erstaunt: Über Jahrhunderttausende wurden die Vorfahren des Menschen immer ein kleines bisschen älter, aber nie waren die Unterschiede sprunghaft und nie besonders groß. Zur gleichen Zeit dann, als sich die Neandertaler von der Weltbühne verabschiedeten, explodierte das Verhältnis von Jungen zu Alten beim modernen Menschen plötzlich auf das Fünffache. Fast jedes Kind, das geboren wurde, so hat es Caspari ausgerechnet, erlebte nun tatsächlich die Gegenwart seiner Großeltern. „Wir hatten damit gerechnet, dass die Lebenserwartung zunehmen würde, aber auf derart umwerfende Resultate waren wir nicht vorbereitet“, schreibt die Forscherin im Scientific American.
Was bleibt, ist die Frage: Warum? Nach Casparis Ansicht gibt es zwei mögliche Erklärungen: Entweder brachte der moderne Mensch die Fähigkeit zum Altwerden in seinem Erbgut mit. Oder aber sie war eine Folge der Kultur, die sich in der ausklingenden Altsteinzeit zu entfalten begann. Vergleiche zwischen asiatischen und europäischen Neandertalern und den frühen modernen Menschen belegen, dass einfache kulturelle Techniken ein verbreitetes Phänomen waren und nicht alleine Homo sapiens zu eigen. Dieser zeigte sich dafür aber zäher, um den eiszeitlichen Bedingungen zu trotzen, ein Vorteil, der sich im Vergleich zu asiatischen Neandertalern auch deutlich weniger in der Altersstruktur der Gemeinschaften niederschlägt – denn die lebten unter weit weniger harschen Bedingungen. Warum sie ebenfalls ausstarben, anstatt ihre Kultur weiterzuentwickeln und zu überleben, kann Caspari allerdings nicht genau erklären. Noch nicht.
Das halbe Leben unfruchtbar
Auch Biologen suchen unterdessen nach plausiblen Gründen für die Existenz von Omi und Opi, und es ist eine Besonderheit der Frauen, auf die sie sich konzentrieren: Denn im Gegensatz zum Großvater, der theoretisch bis ins höchste Alter zeugungsfähig bleibt, nimmt die Fruchtbarkeit von Frauen etwa nach dem 40. Lebensjahr rasch ab und mündet wenige Jahre später in die Menopause. Im Sinne einer reproduktionsorientierten Selektion müsste hier eigentlich genauso Schluss sein wie bei fast allen anderen Säugetieren auch. Selbst Schimpansenweibchen, die ja ebenfalls bis ins fünfte Lebensjahrzehnt hinein gebären können, überleben den Verlust ihrer Fruchtbarkeit selten um mehr als einige Jahre. Warum der Mensch?
Die Großmutter-Hypothese postulierte vor fünf Jahrzehnten in der sozialen Funktion der Oma innerhalb ihrer Familie, die ja indirekt die Weitergabe der eigenen Gene befördert, den hinreichenden Evolutionsvorteil als Grund für dieses biologische Sperenzchen. Doch nach heutiger Ansicht vieler Forscher ist dieser Blick zu stark vom Selbstverständnis des Menschen beeinflusst. „Unsere Daten über die Wirkung des Großmuttereffekts zeigen, dass etwas fehlt“, sagt Michael Cant von der University of Exeter in Großbritannien. Der Evolutions- und Verhaltensbiologe glaubt, dass die Entstehung unfruchtbarer Familienmitglieder auch aus der klassischen genetischen Perspektive der Evolution einen Sinn ergeben muss, da der Mensch, wie man heute weiß, tatsächlich nicht die einzige Spezies ist, deren weibliche Mitglieder sich über weite Teile ihres Lebens nicht mehr fortpflanzen können. Auch Orcas kommen mit Mitte 40 in die Wechseljahre und leben – im Gegensatz zu den Männchen, die kaum älter als 50 werden – noch einmal so lang, bevor sie mit fast 90 Jahren sterben. Cant will herausgefunden haben, dass die Wale auf diese Weise die Paarungskonkurrenz der eigenen Nachkommen vermindern, während sie zugleich dafür sorgen können, die Folgegenerationen zu schützen. Und der Forscher hat in Naturvölkern ganz ähnliche Muster gefunden: Die Frauen hören auf, sich fortzupflanzen, sobald ihre Kinder selbst Kinder bekommen.
Fest steht, dass Großeltern nicht nur das Leben ihrer Kinder und Enkel mit Erfahrungen, Wissen und Liebe bereichern. Sie vergrößern allein zahlenmäßig die Gemeinschaft, und auch das spricht für Casparis These: Wie der Archäologe Paul Mellars von der University in Cambridge vor wenigen Wochen in Nature berichtete, gab es zu der Zeit, als die Neandertaler dem Homo sapiens wichen, eine regelrechte demografische Explosion unter den modernen Menschen. Mellars glaubt, dass diese Überzahl schon für sich genommen einen schlagenden Vorteil ergeben hat. Denkt man ihn gemeinsam mit dem, was Oma und Opa sonst noch beizutragen haben, wird er allerdings erst wirklich schön.
Kommentare 20
Großes Lob für diesen Artikel.
Ich hoffe es gibt in Zukunft mehr davon. Zum Beispiel haben die Forscher Dr. Don Beck und viele andere auch wichtige und interessante Forschungen bei der Evolutionsforschung betrieben und folgendes herausgefunden. Die so genannten Werthememe:
SPIRAL DYNAMICS
Eine evolutionäre Theorie über
Kultur und Bewusstsein
Die avangardistische Zeitschrift What is Enlightenment? fragte: "Was ist die Dynamik menschlicher Transformation? Wie verändern sich Menschen wirklich?" Durch diese Frage stießen sie auf Spiral Dynamics, ein prägnantes und weitreichendes Modell psychologischer und kultureller Entwicklung. Wir trafen uns mit Dr. Don Beck, der vor fast 3 Jahrzehnten diese innovative Theorie hervorgebracht und seither anwendet, um echte Transformation in Individuen als auch ganzen Gesellschaften zu erreichen.
Kleine Einführung gab es dazu auch bei,
Ken Wilber, Integrale Psychologie, Arbor Verlag 2001, S. 257
Spiral-Dynamik und die Wellen der Existenz
1. Beige:
2. Purpur:
3. Rot:
4. Blau:
5. Orange:
6. Grün:
Der Sprung zum zweiten-Rang Bewusstsein
7. Gelb:
8. Türkis:
Hindernisse auf dem Weg zum zweiten-Rang Bewusstsein
Wilbers Kritik an Spiral Dynamics
Die Spirale der Entwicklung (Nach Don Beck und Cristopher Cowan)
Spiral Dynamics ist ein auf breiter empirischer Basis gewonnenes Modell, welches von Ken Wilber in seinen neueren Büchern des öfteren herangezogen wird. Er erklärt dazu:
aus dem Interview On Critics, Integral Institute, My Recent Writing, and Other Matters of Little Consequence, veröffentlicht auf: www.shambhala.com (Original) bzw. www.integralworld.net (Übersetzung)
"In Integrale Psychologie präsentiere ich Übersichten, welche die Arbeit von über 100 Entwicklungspsychologen zusammenfassen, aus Ost und West, aus früheren Zeiten, modern und postmodern. Spiral-Dynamik ist nur eine dieser 100, doch ich verwende es in letzter Zeit ziemlich oft, weil es einfach und leicht zu verstehen ist, auch für Anfänger. Basierend auf intensiven Forschungen, begonnen von Clare Graves, sieht Spiral-Dynamik (entwickelt von Don Beck und Christopher Cowan) die Entwicklung oder Evolution der Menschen durch acht große Wellen des Bewusstseins. Der Einfachheit halber werde ich meine Zusammenfassung aus Ganzheitlich Handeln hier wiedergeben."
Spiral-Dynamik und die Wellen der Existenz
Die ersten 6 Ebenen sind Ebenen der "Grundexistenz", gekennzeichnet durch ein "Denken des ersten Ranges" [first-tier thinking]. Dann folgt eine evolutionäre Verschiebung im Bewusstsein: die Emergenz des "Denken des zweiten Ranges" [second-tier thinking], mit zwei Hauptwellen. Es folgt nun eine kurze Beschreibung aller acht Wellen, mit Prozentsatzangaben des Anteils der Weltbevölkerung jeder Welle, und dem Prozentsatz des gesellschaftlichen Einflusses jeder Welle
siehe auch: Ken Wilber, Integrale Psychologie, Arbor Verlag 2001, S. 66f. und Ken Wilber, Ganzheitlich handeln, Arbor Verlag 2001, S. 21f.
1. Beige:
Archaisch-instinktiv. Dies ist die Ebene der reinen Überlebens; Nahrung, Wasser, Wärme, Sex und Sicherheit haben Priorität. Benutzt Gewohnheiten und Instinkte zum reinen Überleben. Ein erkennbares Selbst ist kaum erwacht oder erhalten. Bildet Überlebensgruppen, um Leben zu erhalten und weiterzugeben.
Vorkommen: Frühe menschliche Gesellschaften, Neugeborene, senile Alte, Alzheimer Patienten im Spätstadium, verwirrte Obdachlose, hungernde Massen, Menschen mit Bombentrauma. Etwa 0,1% der erwachsenen Bevölkerung, 0% Macht.
2. Purpur:
Magisch-Animistisch. Animistisches Denken; magische Geister, gut und böse, schwärmen umher und verteilen Segen, Verwünschungen und Zaubersprüche, welche das Geschehen bestimmen. Organisiert in ethnischen Stämmen. Die Geister existieren als Ahnen und erhalten die Bindung innerhalb des Stammes. Verwandtschaft und Abstammung bestimmen politische Verbindungen. Klingt "holistisch", ist jedoch atomistisch: "Jede Biegung des Flusses hat einen Namen, aber der Fluss selbst hat keinen".
Vorkommen: Glaube an Voodoo-ähnliche Verfluchungen, Blutschwüre, Sippenhaftung, Amulette, Familienrituale, magisch-ethnische Überzeugungen und Aberglaube; verbreitet in der Dritten Welt, in Gangs, Sportmannschaften, und organisierten "Stämmen" in der Welt der Angestellten. 10% der Bevölkerung, 1% der Macht.
3. Rot:
Machtgötter. Erstes Auftauchen eines Selbst, welches sich vom Stamm unterscheidet; machtvoll, impulsiv, egozentrisch, heroisch: Magisch-mythische Geister, Drachen, wilde Tiere, und machtvolle Einzelne. Archetypische Götter und Göttinnen, machtvolle Wesen, Kräfte, mit denen gerechnet werden muss; gut und böse. Feudalherrscher beschützen Untergebene im Austausch gegen Gehorsam und Arbeit. Die Grundlage feudaler Imperien - Macht und Ruhm. Die Welt ist ein Dschungel voller Gefahren und Raubtiere: erobern, täuschen und beherrschen; das Selbst in vollen Zügen genießen, ohne Bedauern oder Reue; sei jetzt hier. Vorkommen: die Wutanfälle von Zweijährigen, rebellierende Jugend, feudale Königreiche, epische Heroen, James Bond Bösewicht, Anführer von Gangs, Glücksritter, New-Age Narzissmus, wilde Rockstars, Attila der Hunnenkönig, Der Herr der Fliegen [Lord of the Flies]. 20% der Bevölkerung, 5% der Macht.
4. Blau:
Mythische Ordnung, konformistische Regeln. Leben hat Sinn, Richtung und Zweck, mit Ergebnissen, welche durch ein allmächtiges Anderes oder eine Ordnung bestimmt werden. Von dieser gerechten Ordnung werden Verhaltensregeln auferlegt, die auf absolutistischen und unveränderlichen Prinzipien von "richtig" und "falsch" basieren. Das Verletzen dieser Regeln hat schwerwiegende, vielleicht auf ewig andauernde Konsequenzen. Das Befolgen der Regeln bringt Belohnungen für jene, die daran glauben. Grundlage der Nationen des Altertums. Rigide soziale Hierarchien; paternalistisch; ein einziger - und nur ein einziger - Weg, die Dinge zu betrachten. Recht und Ordnung; Kontrolle von Impulsivität durch Schuld; wortwörtlicher und fundamentalistischer Glaube; Gehorsam gegenüber den Gesetzmäßigkeiten der Ordnung; stark konventionell und konformistisch. Oft "religiös" oder "mythisch" (im Sinne der mythischen Zugehörigkeit; Graves und Beck bezeichnen es als die heilig/absolutistische Ebene), kann sich jedoch auch auf eine säkulare oder atheistische Ordnung oder Aufgabe beziehen.
Vorkommen: puritanisches Amerika, konfuzianisches China, Dickens' England, Singapur Disziplin, Totalitarismus, Kodex der Ritterlichkeit und Ehre, wohltätiges Handeln, religiöser Fundamentalismus (z.B. Christentum und Islam), Pfadfinder, "moralische Mehrheit", Patriotismus. 40% der Bevölkerung, 30% der Macht.
5. Orange:
wissenschaftliche Leistung. Auf dieser Welle "entkommt" das Selbst der "Herdenmentalität" von blau, und strebt auf individuelle Art und Weise nach Wahrheit und Bedeutung - hypothetisch-deduktiv, experimentell, objektiv, mechanistisch, operational - im typischen Sinn "wissenschaftlich". Die Welt ist eine rationale und gut geölte Maschine mit natürlichen Gesetzen, welche erlernt, gemeistert und für die eigenen Zwecke gehandhabt werden können. Leistungsorientiert, speziell (in Amerika) materiell ausgerichtet. Die Gesetze der Wissenschaft steuern die Politik, die Wirtschaft, und menschliche Ereignisse. Die Welt ist ein Schachbrett, auf dem Spiele gespielt werden, bei denen die Gewinner Vorrang und Vergünstigungen gegenüber den Verlierern erhalten. Marktwirtschaft; Manipulation der Ressourcen der Erde für die eigenen strategischen Ziele. Grundlage von Staaten die auf gesellschaftlicher Vereinbarung beruhen.
Vorkommen: Die Aufklärung, Ayn Rand's Atlas Shrugged, Wall Street, aufstrebende Mittelklasse auf der ganzen Welt, Kosmetikindustrie, Trophäenjagd, Kolonialismus, der Kalte Krieg, Modeindustrie, Materialismus, säkularer Humanismus, liberales Eigeninteresse. 30% der Bevölkerung, 50% der Macht.
6. Grün:
Das sensitive Selbst. Gemeinschaftlich, menschliche Bindungen, ökologische Sensitivität, Vernetzung. Der menschliche Geist muss befreit werden von Gier, Dogma und Zwietracht ; Gefühle und Fürsorge treten an die Stelle von kalter Rationalität; liebevolles Sorgen für die Erde, Gaia, das Leben. Gegen Hierarchie; etabliert gleichrangige Bindungen und Verbindungen. Das durchlässige Selbst, beziehungsfähiges Selbst, Vernetzung von Gruppen. Betonung auf Dialog, Beziehungen. Basis der Wertegemeinschaften (d.h. frei wählbare Zugehörigkeit auf der Basis gemeinsam geteilter Neigungen). Entscheidungsfindung durch Schlichtung und Konsens (Nachteil: endlose Verfahrensdiskussionen und Unfähigkeit, Entscheidungen zu treffen). Spiritualität erneuern, Harmonie herbeiführen, Bereicherung des menschlichen Potentials. Stark egalitär, antihierarchisch, pluralistische Werte, soziale Konstruktion der Wirklichkeit, Vielheit und Verschiedenheit, multikulturell, relativistische Wertesysteme; diese Weltsicht wird oft auch pluralistischer Relativismus genannt. Subjektives, nichtlineares Denken; zeigt vermehrt gefühlsmäßige Wärme, Sensitivität und Fürsorge, für die Erde und alle ihre Bewohner.
Vorkommen: Tiefenökologie, Postmodernismus, niederländischer Idealismus; klientenzentrierte Gesprächsführung nach C. Rogers , Kanadisches Gesundheitssystem, humanistische Psychologie, Befreiungstheologie, gemeinschaftliche Untersuchungen, Weltkonzil der Kirchen, Greenpeace, Tierschutz, Ökofeminismus, Post-Kolonialismus, Foucault/Derrida, politische Korrektheit, Bewegungen der Vielfalt, Menschenrechtsfragen, Ökopsychologie. 10% der Bevölkerung, 15% der Macht. (Hinweis: dies sind 10% der Weltbevölkerung. Don Beck schätzt, dass etwa 20-25% der amerikanischen Bevölkerung grün ist.)
DER SPRUNG ZUM ZWEITEN-RANG BEWUSSTSEIN
Mit dem Erreichen des grünen Mem ist das menschliche Bewusstsein bereit für einen Quantensprung in das "zweite-Rang Denken" ["second-tier thinking"]. Clare Graves bezeichnet dies als einen "bedeutungsvollen Sprung", wo "eine Kluft unvorstellbarer Tiefe überwunden wird". Im Wesentlichen erlaubt einem das zweite-Rang Denken vertikal und horizontal zu denken, unter Verwendung von Hierarchien wie auch Heterarchien (Rangordnung und Verbindung). Zum erstenmal ist man in der Lage, anschaulich und lebendig das gesamte Spektrum der inneren Entwicklung zu erfassen, und zu erkennen, dass jede Ebene, jedes Mem, jede Welle entscheidend wichtig für die Gesundheit der gesamten Spirale ist.
Mit meinen Worten, jede Welle ist ein "Transzendieren und Einschiessen." Das bedeutet, jede Welle geht über ihre(n) Vorgänger hinaus (transzendiert ihn), und beinhaltet oder umfasst ihn zugleich in ihrem Bestand. Eine Zelle z.B. transzendiert und beinhaltet Moleküle, welche Atome transzendieren und beinhalten. Die Feststellung, dass Moleküle über ein Atom hinausgehen, bedeutet nicht dass Moleküle Atome hassen, sondern dass sie sie lieben: sie umfangen sie auf ihre Art und Weise; sie beinhalten sie, ohne sie zu vernachlässigen. Genau so ist jede Welle der Existenz ein grundlegender Bestandteil aller nachfolgenden Wellen, und daher sollte jede geschätzt und anerkannt werden.
Jede Welle kann weiterhin für sich aktiviert oder reaktiviert werden, sollten die Lebensumstände dies fordern. In Notfallsituationen können wir rote Kraftimpulse aktivieren; als Antwort auf Chaos müssen wir vielleicht auf die blaue Ordnung zurückgreifen; bei der Suche nach Arbeit benötigen wir vielleicht unsere orange zielorientierte Leistungsfähigkeit; in Liebesbeziehungen und mit Freunden nahe grüne Beziehungsfähigkeiten. Alle diese Meme haben etwas wichtiges beizutragen.
Doch keines der ersten-Rang Meme ist allein fähig, die Existenz der anderen Meme voll zu würdigen. Jedes der ersten-Rang Meme denkt, dass seine Weltsicht die richtige oder beste Perspektive ist - und reagiert negativ wenn diese Sicht angegriffen wird; es schlägt zurück, unter Verwendung der eigenen Werkzeuge, wann immer es sich bedroht sieht. Blaue Ordnung fühlt sich sehr unbehaglich bei roter Impulsivität und orangem Individualismus. Oranger Individualismus denkt, dass blaue Ordnung etwas für nützliche Idioten ist und dass grüner Egalitarismus schwach und butterweich ist. Grüner Egalitarismus verträgt Elitedenken nur schwer, bzw. Wertunterscheidungen, große Weltsichten, Hierarchien, und alles, das auch nur entfernt autoritär erscheint, und daher reagiert grün stark auf blau, orange, aber auch auf alles Post-Grüne.
All dies beginnt sich mit der Denkweise des zweiten Ranges zu verändern. Da das zweite-Rang Bewusstsein sich der inneren Stufen der Entwicklung voll bewusst ist - selbst wenn es sie noch nicht konkret formulieren kann - tritt es einen Schritt zurück und erfasst das Gesamtbild, und deswegen würdigt das zweite-Rang Denken die notwendige Rolle, die all die verschiedenen Meme spielen. Das zweite-Rang Bewusstsein bedenkt und erfasst die gesamte Spirale der Existenz, und nicht nur eine der Ebenen.
Während das grüne Mem beginnt, die zahlreichen verschiedenen Systeme und pluralistischen Kontexte, die in den verschiedenen Kulturen existieren, zu erfassen (daher ist es tatsächlich ein 'sensitives' Selbst, d.h. sensibel hinsichtlich der Marginalisierung anderer), geht das zweite-Rang Denken einen Schritt weiter.
Es erfasst den reichen Zusammenhalt, welcher diese pluralistischen Systeme verbindet und zusammenfügt, und nimmt die unterschiedlichen Systeme und umfängt sie, schließt sie ein und integriert sie zu holistischen Spiralen und in einem integralen Gewebe . Das zweite-Rang Denken ist, mit anderen Worten, entscheidend für die Entwicklung vom Relativismus zum Holismus, oder vom Pluralismus zum Integralismus.
Die umfangreichen Forschungen von Graves, Beck und Cowan weisen darauf hin, dass es mindestens zwei Hauptströmungen in diesem integralen Bewusstsein des zweiten Ranges gibt:
7. Gelb:
Integrativ. Das Leben ist ein Kaleidoskop natürlicher Hierarchien (Holarchien), Systeme und Formen. Flexibilität, Spontaneität und Funktionalität haben die höchste Priorität. Unterschiede und Pluralitäten lassen sich in voneinander abhängigen, natürlichen Strömen integrieren. Egalitarismus wird ergänzt durch natürliche Rangordnungen und Qualitäten. Wissen und Kompetenz tritt an die Stelle von Macht, Status oder Gruppensensitivität. Die vorherrschende Weltordnung ist das Ergebnis der Existenz von verschiedenen Ebenen der Wirklichkeit (Meme) und der unvermeidbaren Muster der Auf- und Abwärtsbewegungen in der dynamischen Spirale. Ein gutes Regieren erleichtert die Emergenz der Lebewesen durch die Ebenen fortschreitender Komplexität (verschachtelte Hierarchien). 1% der Bevölkerung, 5% der Macht.
8. Türkis:
Holistisch. Universale holistische Systeme, Holons/Wellen von integrativen Energien; Vereinigung von Fühlen und Wissen; multiple Ebenen, verwoben in ein bewusstes System. Eine universelle Ordnung, in einer lebendigen, bewussten Weise, die nicht auf äußeren Regeln (blau) oder Gruppenbindungen (grün), beruht. Eine "große Vereinigung", eine "Theorie von Allem" [A Theory of Everything, Ganzheitlich handeln] ist möglich, in Theorie und Verwirklichung. Manchmal erscheint die Emergenz einer neuen Spiritualität als ein Netzwerk von allem, was existiert. Das türkise Denken verwendet die gesamte Spirale; sieht verschiedene Ebenen der Interaktion, erkennt Resonanzen und Obertöne, die mystischen Kräfte, und das alles erfüllende Fliessen, das jede Organisation durchdringt. 0,1% der Bevölkerung, 1% der Macht.
Mit weniger als 2 Prozent der Bevölkerung auf dem zweiten-Rang Bewusstsein (und lediglich 0,1% auf türkis), ist das zweite-Rang Bewusstsein relativ selten, und stellt jetzt die Spitze der kollektiven menschlichen Evolution dar. Als Beispiele dafür führen Beck und Cowan die Noosphäre von Teilhard de Chardin, die Chaos- und Komplexitätstheorien, universelles Systemdenken, integral-holistische Theorien, Gandhi's und Mandela's pluralistische Integration an, mit deutlich zunehmender Tendenz, und noch höheren Memes in Aussicht...
Hindernisse auf dem Weg zum zweiten-Rang Bewusstsein
Wie Beck und Cowan sagen, erfolgt die Emergenz des zweiten-Rang Denkens angesichts großer Widerstände seitens des ersten-Rang Denkens. Tatsächlich hat eine Version des postmodernen grünen Mem, mit seinem Pluralismus und Relativismus, aktiv die Emergenz eines mehr integrativen und holistischen Denkens bekämpft. Und doch bleibt ohne das zweite-Rang Denken, wie Graves, Beck und Cowan sagen, die Menschheit ein Opfer einer globalen "Auto-Immunenkrankung", wo verschiedene Meme sich gegeneinanderstellen, in dem Versuch die Vorherrschaft zu erlangen.
Dies ist der Grund, warum viele Argumente nicht wirklich eine Angelegenheit besserer objektiver Beweise sind, sondern von der Ebene desjenigen, der argumentiert, bestimmt werden. Keine noch so große Menge wissenschaftlicher Beweise wird blaue Mythologie-Gläubige überzeugen; keine noch so starke grüne Verbundenheit wird orange Aggressivität beeindrucken; kein noch so umfangreicher türkiser Holismus wird den grünen Pluralismus verdrängen können- solange nicht das Individuum bereit ist, sich durch die dynamische Spirale des entfaltenden Bewusstseins weiter zu entwickeln. Aus diesem Grund führen "cross-level" Debatten (zwischen den Ebenen) nur selten zu einer Lösung, und alle Beteiligten fühlen sich meistens ungehört und nicht gewürdigt.
Ebenso wird nichts, was in diesem Buch [Ganzheitlich Handeln] gesagt wird, Sie davon überzeugen, dass eine T.O.E. [Theory of Everything] möglich ist, es sei denn sie haben bereits einen Tupfer der türkisen Farbe auf Ihrer kognitiven Palette (und dann werden Sie auf fast jeder Seite des Buches denken, "Das habe ich längst gewusst! Ich wusste nur nicht, wie ich es ausdrücken konnte").
Wie bereits gesagt, leistet das erste-Rang Denken der Emergenz der zweiten-Rang Meme generell Widerstand. Wissenschaftlicher Materialismus (orange) ist auf eine aggressive Weise reduktionistisch gegenüber den Gedankengebäuden des zweiten Ranges, und versucht alle inneren Zustände auf ein objektives neuronales Feuerwerk zu reduzieren. Mythischer Fundamentalismus (blau) ist meistens empört gegenüber allen Bestrebungen, welche die gegebene Ordnung in Frage stellen. Egozentrik (rot) ignoriert den zweiten Rang überhaupt. Magie (purpur) belegt ihn mit einem Fluch. Grün wirft dem zweiten-Rang Bewusstsein vor, dass es autoritär, starr hierarchisch, patriarchalisch, ausgrenzend, unterdrückend, rassistisch und sexistisch ist.
Grün hat die kulturellen Studien der vergangenen drei Jahrzehnte bestimmt. Sie haben wahrscheinlich schon einige der Standardschlagwörter des grünen Mem wiedererkannt: Pluralismus, Relativismus, Vielfalt, Multikulturalismus, Dekonstruktion, Anti-Hierarchie, und so weiter.
Auf der einen Seite hat der grüne pluralistische Relativismus den Bereich der kulturellen Studien bereichernd erweitert, und so viele Menschen, Ideen und Darstellungen mit berücksichtigt, die vorher vernachlässigt worden waren. Soziale Unausgewogenheiten wurden einfühlsam und fürsorglich ausgeglichen, im Bemühen, jede Art von Ausgrenzung zu vermeiden. Pluralistischer Relativismus war verantwortlich für grundlegende Initiativen wie die Bürgerrechte und den Schutz der Umwelt. Er hat starke und oft auch überzeugende Kritiken der Philosophien, der Metaphysik, und der sozialen Praktiken der konventionellen religiösen (blau) und wissenschaftlichen (orange) Mem entwickelt, mit ihren oftmals ausschließenden, patriarchalen, sexistischen und kolonialistischen Programmen.
Auf der anderen Seite, so effektiv diese Kritik an den prä-grünen Stufen auch waren, hat grün doch versucht, seine Kanonen auf alle post-grünen Stufen zu richten, mit äußerst unglücklichen Ergebnissen. Dies hat es sehr schwierig, und oft unmöglich für grün gemacht, zu mehr holistischen, integralen Modellen voranzuschreiten.
Weil der pluralistische Relativismus (grün) über den mythischen Absolutismus (blau) und die formale Rationalität (orange) hinausgeht, zu reichhaltigen Strukturen individualistischer Kontexte, ist eines seiner definierenden Charakteristika sein starker Subjektivismus. Das bedeutet, dass seine Zustimmung zu dem, was wahr und gut ist, überwiegend von individueller Neigung bestimmt wird, (solange das Individuum nicht andere verletzt). Was wahr für Dich ist, ist nicht notwendigerweise wahr für mich; was richtig ist, ist einfach das, worüber Individuen oder Kulturen zu einem gegebenen Moment übereinstimmen; es gibt keinen universellen Anspruch für Wissen oder Wahrheit; jeder Mensch ist frei, seine eigenen Werte zu finden, welche niemanden anderen auf irgendeine Weise binden. "Du machst Dein Ding, ich mache meines" ist eine populäre Zusammenfassung dieses Standpunktes.
Dies ist der Grund, warum das Selbst auf dieser Stufe ein wirklich "sensitives Selbst" ist. Genau deshalb weil es sich der vielen verschiedenen Kontexte und verschiedenen Typen von Wahrheiten (Pluralismus) bewusst ist, lehnt es sich zurück und lässt jede Wahrheit ihre eigene Aussage haben, ohne eine zu vernachlässigen oder herabzusetzen.
Wie auch bei den Schlagworten "Anti-Hierarchie," "Pluralismus", Relativismus", und Egalitarismus", wann immer Sie den Ausdruck "Randgruppe" und eine Kritik an Ausgrenzung hören, befinden Sie sich fast immer in der Gegenwart eines grünen Mem.
Dieser noble Ansatz hat natürlich auch seine Nachteile. Besprechungen, die nach grünen Prinzipien ablaufen, haben oftmals die gleiche Tendenz: jeder kann seine Gefühle ausdrücken, was oft Stunden dauert; es gibt ein fast endloses Abfolge von Meinungen, oftmals ohne zu einer Entscheidung zu kommen oder zu Aktionen, weil eine bestimmte Aktionsfestlegung wahrscheinlich jemanden ausschließen würde. Deswegen wird immer wieder zu Einschluss, Nichtvernachlässigung und mitfühlender Akzeptanz aller Ansichten aufgerufen, doch wie genau das getan werden kann, wird selten ausgesprochen, weil in der Wirklichkeit nicht alle Ansichten von gleichem Nutzen sind. Die Besprechung gilt als Erfolg, nicht wenn ein Beschluss gefunden wird, sondern wenn jeder die Gelegenheit hatte, seine Gefühle mitzuteilen. Da keine Ansicht von Natur aus besser ist als eine andere, werden keine konkreten Ziele und Aktionen verfolgt, außer dass alle Ansichten mitgeteilt werden. Wenn irgendwelche Aussagen mit Bestimmtheit getroffen werden, dann jene, wie unterdrückend und scheußlich jegliches andere Konzept ist. Es gab einen typischen Spruch in den Sechzigern: "Freiheit ist eine endlose Besprechung". Nun, das Endlose daran war sicherlich richtig.
In der akademischen Welt ist dieser pluralistisch Relativismus die vorherrschende Haltung. Colin McGuinn fasst es wie folgt zusammen: "Folgt man dieser Konzeption, ist das menschliche Denken von Natur aus lokal, kulturbezogen, verwurzelt in den verschiedenen Fakten der menschlichen Natur und Geschichte, und eine Angelegenheit unterschiedlicher 'Praktiken' und 'Lebensformen' und 'Bezugsrahmen' und 'konzeptueller Projekte'. Es gibt keine Regeln des Denkens, welche dasjenige transzendieren, was von einer Gesellschaft oder Epoche als akzeptiert gilt, keine objektive Rechtfertigung für Überzeugungen, die für jeden gültig wären, vor dem Hintergrund offensichtlicher schmerzhafter Denkfehler. Gültig wird einfach als gültig genommen, und verschiedene Menschen können legitim ganz unterschiedliche Formen dafür haben. Am Ende besteht die einzige Rechtfertigungen für Überzeugungen in einem 'richtig für mich'". Clare Graves formuliert es so: "Dieses System sieht die Welt relativistisch. Das Denken zeigt eine radikale, fast schon zwanghafte Tendenz, alles von einem relativistischen, subjektiven Bezugsrahmen her zu betrachten."
Worum es dabei geht, ist vielleicht offensichtlich: weil der pluralistische Relativismus einen ausgeprägten subjektivistischen Standpunkt darstellt, ist er eine leichte Beute für den Narzissmus. Pluralismus wird unbewusst zu einer Heimat für die Kultur des Narzissmus, und Narzissmus ist der große Verleugner von jeder allgemeinen integralen Kultur und jeder T.O.E speziell (weil Narzissmus sich weigert, aus seiner eigenen subjektiven Umlaufbahn herauszutreten, und daher auch keine anderen Wahrheiten duldet als seine eigenen). Daher gehört auf unsere Liste von Hindernissen für eine echte Theorie über Alles [Theory of Everything] auch die Kultur des Narzissmus und die ausschließende Vorherrschaft des grünen Mem..."
Diesem Thema, den Schattenseiten des grünen Mem, hat Ken Wilber ein eigenes Buch gewidmet, einen Roman mit dem Titel Boomeritis.
Wilbers Kritik an Spiral Dynamics
Was Spiral-Dynamics angeht, sind meine nur geringen Vorbehalte die, dass sie weder Bewusstseinszustände noch die höheren, transpersonalen Strukturen des Bewusstseins umfasst [Wilber bezeichnet diese auch manchmal - der SD-Terminologie folgend - als Bewusstsein des dritten Ranges]; und sie ist ein Beispiel für ein Phase-2 Modell und nicht genug Phase-3. [Siehe: Grundlagenkonzepte: Die fünf Phasen von Ken Wilbers Werk]. Das heißt, es gibt nicht genug Sensibilität für die empirisch bewiesene Tatsache, dass verschiedene Entwicklungslinien im selben Moment auf verschiedenen Ebenen sein können: nicht nur, dass ein Mensch ein rotes Mem in einer Situation und ein orangefarbenes in einer anderen verwenden kann, sondern dass ein Mensch in derselben Situation kognitiv orange und moralisch rot sein kann. Schließlich unterscheidet Spiral Dynamics nicht hinreichend zwischen Dauerndem und Vorübergehenden. Aufgrund persönlicher Gespräche glaube ich, dass [Don] Beck für alle diese Überlegungen offen ist. Beck geht auch dazu über, die vier Quadranten in das Modell der Spiral Dynamics einzubeziehen...
-mh- 08/2004
Ein wirklich interessanter Artikel und ein ebensolcher Kommentar. Die Frage der sozialen Komponente in der Evolutionsforschung ist eine wichtige, aber auch schwierig zu beantwortende.
Mir ist aber auch bekannt, dass es prähistorische Funde von Homo-Sapiens Gruppen gab, die ausschließlich aus älteren und sehr jungen Menschen bestanden. Die Vermutung liegt nahe, dass die jungen starken männlichen und weiblichen Mitglieder der Gruppe unterwegs waren (Jagen und Sammeln) und nicht wieder zurück zur Gemeinschaft gekommen sind - sehr wahrscheinlich durch ein Unglück, oder ähnliches. Fest steht jedoch, dass solche Knochensammlungen, also von Älteren und erheblich Jüngeren zusammen, öfter gefunden wurden und somit eine "Soziale-Betreuung" durch die älteren Mitglieder der Gruppe stattgefunden haben müsste.
Das alles ist doch im Grunde sehr einfach und bedarf sicher keiner wissenschaftlichen Behandlung außer vielleicht der, nachzuweisen, wie alt die Individuen, die gleichzeitig lebten, denn nun wirklich geworden sind: Caspari und Mellars haben hier Hervorragendes geleistet.
Aber sehen wir es doch einmal so: Wenn ältere Menschen, die weder an der Jagd noch an den Sammelaktivitäten mehr teilnehmen können, sich dem Nachwuchs widmen und die kulturellen Fertigkeiten an den Nachwuchs weitergeben, sind die aktiven, also mit der Nahrungsbeschaffung befassten Stamm- oder Familienmitglieder dergestalt entlastet, dass die Sorge um die Brut sozialisiert wird.
Dies hat nicht nur Vorteile bei der Nahrungsbeschaffung, sondern auch bei den Auseinandersetzungen zwischen Gruppen um z.B. einen sicheren und geschützten Wohnplatz für die Sippe zu sichern und zu verteidigen.
Ein weiterer Vorteil ergibt sich, wenn der Nachwuchs in wesentlichen Fertigkeiten nicht in Realtime ausgebildet und für das Leben fitgemacht wird, sondern beim ersten Jagdausflug, den er/sie mitmachen durfte, schon darauf zurückgreifen konnte, was Opa und Oma sie gelehrt hatten. Die Überlebendschancen für dergestalt vorgebildete Individuen liegt auf der Hand: die Wahrscheinlichkeit, ins geschlechtsreife Alter zu erwachsen und Fortpflanzungserfolg zu haben, ist ungleich höher!
Dazu bedarf es keiner postneolithischen Sekundarerklärung über Max Lüschers Farbtest, sondern einfach nur vernünftiger Anschauung: Wenn Oma und Opa sich kümmern, haben wir mehr zu Essen, mehr und bessere Kleidung, bessere Waffen (denn Innovationen gelingen meist aus betrachtender Muße).
Aber selbst Schimpansen geben, so wurde beobachtet, schon Fertigkeiten im einfachen Werkzeuggebrauch, wie Nüsse knacken, Termiten jagen u.a. innerhalb des Familienverbandes weiter. Wäre interessant zu erfahren, was die darüber in 1 oder 2 Mio Jahren schreiben ... Lila oder Grün, das wäre hier die Frage.
wow, der Kommentar ist großartig!
Irgendwie habe ich es bei Guattari schon ahnen können, aber so ist das eben bei Vordenkern.
Vielen Dank für das Bereitstellen dieses Wissens!
wow, der Kommentar ist großartig!
Irgendwie habe ich es bei Guattari schon ahnen können, aber so ist das eben bei Vordenkern.
Vielen Dank für das Bereitstellen dieses Wissens!
In seinem Buch „Der Feuerzeichen-Mann“ beschäftigt sich Jed Diamond mit genau dieser Frage und kommt mit Michael Gurian zu dem Ergebnis,
„das Jungen eine Art von Fürsorge und Unterstützung brauchen, die nur ein älterer Mann geben kann. ‚Sie brauchen einen Lehrer für ihre Sexualität, ihre Selbstdisziplin, ihre seelische Entwicklung und ihr Gewissen. Das ist die Aufgabe reifer Männer.’“
Und mit Schachter-Shalomi meint er, dass alte, reife Männer
„’die Bewahrer von Weisheit und Lebenserfahrung (sind und) Verantwortung tragen für das Wohl unserer Gesellschaft und den Schutz unseres krankenden Planeten Erde.’“
Nebenbei:
Opi konnte durch Erfahrung besser das Feuer hueten bzw. anzuenden und die Huette in Schuss halten und Omi kannte die ganzen Kraeuter gegen Zahnschmerzen und Grippe etc.
Und damit der "Homo Rohkost" auch ein bisserl laenger lebt, war auch die Kochkunst Omis evolutionaer sehr gefragt ("kleiner Eckzahn")...
LG
@ nil schrieb am 23.08.2011 um 18:10
Wahrscheinlich ist der entscheidende Evolutionsvorteil das bunte copy. Das setzt sich immer durch, das überlebt immer.
"Im Sinne einer reproduktionsorientierten Selektion müsste hier eigentlich genauso Schluss sein wie bei fast allen anderen Säugetieren auch. Selbst Schimpansenweibchen, die ja ebenfalls bis ins fünfte Lebensjahrzehnt hinein gebären können, überleben den Verlust ihrer Fruchtbarkeit selten um mehr als einige Jahre. Warum der Mensch?"
Wenn in der Natur etwas keinen Sinn mehr macht, „stirbt“ es. Das ist energieeffizient.
Menschen können, nachdem sie eine biologische Funktion aufgegeben haben, andere nützliche Funktionen übernehmen. Z.B. ihr Wissen weitergeben – den Enkeln lehrreiche Geschichten erzählen, oder in der FC schreiben. Oder einfach auf die Kinder ihrer Kinder aufpassen, damit deren Eltern auf die Piste gehen können...
Würde mich mal interessieren wie es bei den Elefanten- Omas und Opas ist – oder bei den Wölfen.
Wichtig: Das Wissen von Oma und Opa meint auch und besonders die Lebensweisheit, die sich die Älteren erworben haben.
auch bei Sarah Blaffer-Hrdy ist zu den allo-eltern bei tier und mensch viel zu finden.
www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/1143523/
Das Problem ist heute, dass die Qualitäten, - die Ältere durch ihre Erfahrungen und die Erkenntnisse, die sie daraus gewonnen haben -, nicht mehr geachtet werden. Das ist nicht energieeffizient. Vorhandenes Wissen wird oft ignoriert.
Das ist auch nicht evolutionsgerecht.
„Energieeffizienz“ bezieht sich hier auf Wissensvermittlung an Mitmenschen, Politik, Produktion,.... - Fehler verbrauchen Energie.
Und daher gehört zu einer Energiewende auch das Einsparen von unnötigen politischen Fehlern. Es braucht eine schlauheitsverpflichtete Politik deren Ergebnisse einer Überprüfung durch unabhängige Politik-und Demokratieexperten und Fachwissenschaftler standhalten.
Kleiner Tipp an die Politik: Das Wissen der wissenden Bürger abfragen – und besonders das derjenigen, die nah dran sind. Das wäre schlaudemokratisch.;-)
...und von denen, die nah dran sind, natürlich erstmal die Alten fragen.;-)
lebensweisheit?
nun red dir das mal nicht zu schön.
der vorteil lag auch darin, dass die älteren nicht so viel essen mußten wie die jüngeren. und wenn es knapp wurde mit den ressourcen, auch eher bereit waren, ganz daruf zu verzichten. und das vermutlich eher nicht zugunsten der kleinsten, schwächsten - sondern zugunsten der kräftigsten fortpflanzungsfähigen.
Naja, ich denke gerne in Idealbildern – muss sein – es war ja auch die Frage, was sich die Evolution bei der "Schaffung" von Omi und Opi „gedacht“ haben mag.;-)
Ich sehe es ganz einfach: Die Menschen leben schlauheitsbedingt länger – und sie machen das Beste draus – die Versorgung/auch die Wissensversorgung des Nachwuchses hat dabei höchste Priorität – ist Familienaufgabe – O verbessern die Versorgungsqualität und das verbessert die Lebens-und Lebensqualitätserwartung der Nachkommenschaft....heute sind auch Uromis und Uropis nichts Ungewöhnliches mehr – die meisten Kiddies sind gut versorgt. Leider bekommen sie zu viel Schokolade.
wenn du jetzt noch familienaufgabe durch eine kooperative aufgabe ersetzen tätest...
die ganz schlauen wissen nämlich, dass das mit familie im sinne der heiligen überhaupt nichts zu tun hat. obwohl es den männlichen primaten hilft, auch sogenannte fremde mini-primaten zu beeltern, wenn sie überhaupt mit einem näher zu tun haben. setzt die entsprechenden physiologischen mit laktin und so zusammenhängenden mechanismen in gang.
und wenn das mal läuft, dann brauchen die mini-primies auch nicht mehr so viel schokolade.
„Familie“ ist für mich mehr als eine Kooperative - da gibt es schon eine spezielle Verbundenheit und Austausch auf vielen Kanälen...
Für mich ist Familie der Ort, wo man das soziale Miteinander lernt. Familie ist m.E. eine Art Urzelle der Gesellschaft. Wobei man den Begriff Familie auch weiter fassen muss – es muss ja keine verwandtschaftliche Lebensgemeinschaft sein – das deutetest du ja auch an.
Man könnte ja auch kultur- / wissenssoziologisch vorgehen, also von dem, was wir heute darüber wissen, zurückgehen auf die fernere Vergangenheit. Das hieße, je differenzierter die Lebensrealien - vor allem die Werkzeuge - wurden, desto mehr wurden Wissensspeicher gebraucht, die akkumuliertes Wissen über die unmittelbare Generationenfolge trugen. Das konnten nach Lage der Dinge nur die Alten (auch wenn sie nur 40 Jahre alt wurden) sein, die gelernt hatten, wie man was macht und - weil sie dies vermitteln konnten - noch mitten im Leben standen, weniger durch Arbeit als durch Erfahrung bestimmt und daher - auch wenn sie materiell nicht mehr aktiv sein konnten, es doch intellektuell / erfahrungsbezogen waren. Aus Funden in Finnland, nach der Eiszeit 7000 vor Christus und noch mitten in der Steinzeit am Rand der unwirtlichen Geographie der zurückweichenden Eismassen, hat man für diese eine erstaunliche Binnen- wie Außendifferenzierung erschließen können und das kann man sich eigentlich nur so vorstellen, dass Erfahrungen über mehr als 2 Generationen verfügbar waren. Wie sonst kann man sich erklären, dass diese Bevölkerungen wussten, aus welchen Regionen Feuersteine bezogen werden konnten, die es in Finnland nicht gibt, und wie die Techniken des Bronzezeitalters selbst dorthin gelangen konnten? Von einer Delegation aus Usbekistan habe ich die Skulptur eines "weisen Mannes" geschenkt bekommen und es wurde gesagt, wenn es wirklich schwierig wird im Leben, geht man zu ihnen - ein Relikt aus ferner Vergangenheit? Auf jeden Fall hat er auch heute einen Ehrenplatz in meiner inneren wie äußeren Gedächtnisvitrine.
Zurück nach Finnland. Ein Freund ist heute noch im Beruf, weil man sagt, der kriegt das besser geregelt. Und ein anderer aus Israel, der wurde mit 75 wieder reaktiviert, als der alte Boss des großen Unternehmens gestorben war. Nun düste er noch Jahre jeden Tag von Tel Aviv nach Haifa, bis er selbst der großen Majorität sich anschloss.
Ein hilflos fragender Artikel und ein zweckoptimistischer Fro als Kommentator:
Was will Mensch mehr ? In einem Meinungsmedium.