Gibt es eine "Lex Bisky"?

Kommentar Denkwürdiges Ereignis in der Geschichte der Klassenkämpfe

Vielleicht sind Wähler, selbst politisch interessierte Wähler nicht in alle Geheimnisse der Demokratie eingeweiht. Sie sind womöglich so naiv zu glauben, es gäbe in dem System nichts Geheimnisvolles, im Gegenteil, es sei verblüffend simpel. Doch da muss es einen Mythos geben, der sich uns einfachen Wählern nicht erschließen will - weshalb wir wohl auch nie die gesteigerte Gestalt des Demokraten annehmen werden, die des "echten Demokraten".

Allein die Formel von der "Würde des Hohen Hauses"! Wonach riecht das, wenn nicht nach Selbstlob? Nach Lüge. Es geht zum Teil um sehr niedrige Interessen - draußen gehen die Lobbyisten der Pharmaindustrie, der Rüstungswirtschaft und der Energieerzeuger auf und ab. Aber in Würde! Oder das Gebrabbel von den "Müttern und Vätern des Grundgesetzes", von deren endloser Weisheit und heiligen Intentionen. Weihrauch, damit wir nicht durchsehen. Der Betrieb hat von seiner Scheinheiligkeit doch nichts verloren, nur weil jetzt die Linkspartei beteiligt ist.

Und dann die repräsentativen Ämter!

Mein Gott, ja - Herr Lammert hat in seinem gewiss von stetiger Arbeit an sich selbst geprägten Leben eine hohe Stufe der Kultur erklommen und ihm eignen eine weiße Weste und kräftige Formulierungskraft, so dass er im Jahre des Herrn 2005 Bundestagspräsident werden musste! Er steht damit anscheinend kurz vor der Seligsprechung. Und - Halleluja! - ein halbes Schock Stellvertreter darf ihm beiwohnen. Von jeder Partei einer. Und ein Thierse zusätzlich, damit der nicht depressiv wird. Das hat gewiss einen tiefen demokratischen Sinn, so tief, dass man ihn nicht sofort finden kann.

Sagen wir es doch klar: So ein Vize unterliegt zwar einer gewissen Diensteinteilung (wie beflissen sie auf dem Podium einander abwechseln!), hat aber nichts zu tun und außer seinen Augenbrauen nichts zu heben. Es geht darum, einander Honneurs zu machen, Corpsgeist zu demonstrieren und ermattete Streitrösser möglichst ehrenvoll abzufinden. Doch "es muss alles demokratisch aussehen" (Walter Ulbricht), gelegentlich sind schon Kandidaten durchgefallen. Aber nie dreimal.

Dreimal nie - und nie ohne Vorwarnung! Da liegt die erste Perfidie: Die "bürgerliche Mehrheit" wollte Lothar Bisky entgeistert sehen und Oskar Lafontaine schlotternd. Die Linksfraktion ist empört zusammengelaufen, hat aufgestampft, hat die Reihen noch fester geschlossen und hat - wie die meinungstreibenden Blätter in dieser Woche befriedigt feststellen - erwartungsgemäß eine hinterhältige verschärfte Agitation und Propaganda entfaltet. Wie Kommunisten (Maoisten, Bolschewisten, Folkloristen, Internationalisten, Radikale im Gewand von Siebentageadventisten) eben sind.

Die Empörung ist albern, denn der Posten lächerlich. Sie ist auch ärgerlich. Sie zeigt, dass die Linke harmlose Erwartungen an die kommende Legislatur hegt. Wenn man Lafontaine zuhört, dann ist es ja ein Hauptziel der Linksfraktion, die Sozialdemokraten zu läutern. Und dann gleich am Anfang eine eiskalte Genossenschulter! Noch hat die Linkspartei gar nichts Böses getan, sondern nur den netten Bisky aufgestellt - und schon Feuer aus allen Rohren! Die Linke scheint zu hoffen, dass man politisch gewollte Entrechtung, Ausgrenzung und Verarmung von Massen durch Moderation über Fraktionsbänke hinweg auflösen könne. Daher die Idee, den Lothar noch einmal durch die geselligen Runden der Antikommunisten tigern zu lassen, damit die zu ihm Vertrauen fassen.

Entweder hat die Linke im "Hohen Haus" nicht viel vor oder sie ist harmoniesüchtig. Oder sie hat vergessen, wie man in deutschen bürgerlichen Parlamenten mit Kommunisten und Sozialisten umzugehen pflegt, mit den PDS-Abgeordneten im ersten gesamtdeutschen Bundestag, mit Stefan Heym oder mit der KPD in den Fünfzigern. "Ich wähle keinen Kommunisten", hat ein Abgeordneter auf seinem Stimmzettel klargestellt. Auf seine Prinzipienfestigkeit kann man zählen. Erst recht, sollte es einmal wirklich um etwas gehen.

Jetzt wird es wahrscheinlich eine "Lex Bisky" in der Geschäftsordnung des Herrn Bundestagspräsidenten geben. Wahrlich, ein denkwürdiges Ereignis in der Geschichte der Klassenkämpfe.


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