Friedrich der Große während des Siebenjährigen Krieges, historische Illustration
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Gibt es einen langweiligeren Krieg als den Siebenjährigen, 1756 bis 1763? In den religiösen Leidenschaften des Dreißigjährigen Krieges lässt sich ein Widerhall der heutigen Ideologien erspüren. In Napoleon findet man ein Musterbeispiel der Tragödie, die jetzt als Farce in Washington, Budapest und Brasília zu beobachten ist. Und natürlich steht die Aktualität der beiden Weltkriege nicht infrage. Für mich zumindest hatte Friedrich viel eher wegen seiner Auseinandersetzungen mit Voltaire als wegen seines kriegerischen Einsatzes das Attribut „der Große“ verdient. Gar die Einführung der Kartoffel in die deutsche Landwirtschaft, die wir ihm zu verdanken haben, war mir wichtiger als seine Verdienste in der Schlacht bei R
i Roßbach. Denn die Besessenheit von Ruhm und Ehre und die zahllosen Blutsverwandtschaften – die ganzen Brüder und Schwestern, Vettern und Onkel, die unendliche Gräueltaten begingen im Laufe eines großenteils familiären Konflikts – schienen mir lange viel tiefer in der Vergangenheit eingenistet zu sein als etwa der Peloponnesische Krieg. Der Siebenjährige Krieg, dachte ich, ist Geschichte für alte weiße Männer: viele Schlachten und Namen, die man auswendig lernen kann. Wenig Relevanz für die Gegenwart.Marian Füssel, Autor des mir vorliegenden Der Preis des Ruhms, spielt eine führende Rolle in einer neuen Generation von Historikern, die dieses Deutungsmuster stürzen wollen. Die Grundlage dieser Umdeutung ist die Anerkennung, dass der Krieg doch keine rein europäische Affäre war, sondern ein globaler Konflikt, der eine tragende Rolle in der Entwicklung des Kolonialismus spielte. Die globale Natur des Krieges ist lange übersehen worden, denn Historiker neigten dazu, von verschiedenen Kriegen zu sprechen. Denn wo die Deutschen über den „Dritten Schlesischen Krieg“ sprechen, sehen die Engländer und Franzosen einen Krieg um die Vorherrschaft auf den Weltmeeren. Mit der Entfernung scheren die Verständnisse noch weiter auseinander. Denn in den USA, „ist er unter dem Namen French and Indian War eine Vorstufe zum amerikanischen Unabhängigkeitskrieg“, und in Indien „ist er als dritter Krieg im Karnatik“ bekannt.Durch die Bemühung, diese Kriege als Teil von einem Konflikt zu sehen, entsteht ein Bild der Weltgeschichte, in dem Völker und Kulturen viel früher und viel tiefer miteinander verwoben sind, als es in der Regel wahrgenommen wird. Die britische Vorherrschaft in Indien und Nordamerika ist nicht mehr prädestiniert von den Göttern oder von irgendeiner Besonderheit der britischen Kultur, sondern ein kontingentes Ergebnis von militärischen, politischen und ökonomischen Auseinandersetzungen, die sowohl in Europa als auch unter den einheimischen Völkern dieser Regionen stattfanden. Die Grundsteine dieses Verständnisses wurden schon vor einer Weile gelegt – Churchill nannte bekanntermaßen den Siebenjährigen Krieg den „ersten Weltkrieg“. In der Geschichtsschreibung wurde seine Bedeutung als solche erst viel später etabliert. Fred Andersons The Crucible of War, 2000 veröffentlicht, war richtungweisend für die Deutung des Krieges in den USA, während Daniel Baugh 2011 mit The Global Seven Years War eine wichtige globale Perspektive lieferte. Füssel, der bereits 2010 mit Der Siebenjährige Krieg: Ein Weltkrieg im 18. Jahrhundert einen wichtigen Beitrag zu dieser Bewegung leistete, festigt jetzt mit seinem neuen Buch seinen Status als einer der wichtigsten Historiker für diese Periode. Paradox mag die Vorgehensweise klingen, denn Füssel liefert zugleich eine globale Geschichte und eine „Microhistory“.Man lernt wenig über InderDenn während die anderen Bemühungen, den Krieg global zu deuten, sich eher auf ein makroskopisches Niveau konzentrieren – auf führende Politiker, bedeutende kulturelle Figuren und den Welthandel –, verbringt Füssel viel Zeit mit normalen Soldaten und Bürgern, die den Krieg erlebt haben. Diese Vorgehensweise hat Nachteile. Vor allem ist die Ungleichmäßigkeit des Quellenstandes zu beklagen, denn während man sehr viel über die europäischen Teilnehmer erfährt, lernt man wenig über die normalen Inder und fast gar nichts über die Native Americans, die den Krieg miterlebt haben. Die vielen verschiedenen Perspektiven, die Füssel einbringt, um diese globale Microhistory zu erzählen, führen auch unausweichlich zu einer hohen Komplexität. Hier zeigt das Buch eine weitere Schwäche, denn während Füssel eine meisterhafte Kenntnis der Quellen sowie einen raffinierten theoretischen Apparat vorweisen kann, liest sich seine Prosa gelegentlich steif und formelhaft.Insgesamt richtet sich das Buch eher an Spezialisten – viele Vorkenntnisse werden erwartet und viele Ereignisse werden mit einer Detailliertheit geschildert, die fast nur eine Fachperson interessieren kann. Nichtdestotrotz ist das Gesamtbild, das Füssel hier zeichnet, von sehr breitem Interesse. Denn vielleicht hat unser Zeitalter doch mehr mit dem Siebenjährigen Krieg gemeinsam, als man sich denken würde – nicht zuletzt, dass man den Rechtsruck in den USA, in Brasilien, in Indien und in Ungarn meist separat bespricht, ohne die Zusammenhänge zwischen schockierend ähnlichen Trends in sehr unterschiedlichen Weltteilen ausreichend zu berücksichtigen. Es bleibt zu hoffen, dass wir keine 250 Jahre warten müssen, bis ein Marian Füssel eine globale Microshistory unserer Gegenwart schreibt.Placeholder infobox-1
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