Zum Schulalltag zählt das Sponsoring des Schulfests ebenso wie das von der örtlichen Sparkasse organisierte „Planspiel Börse“ oder das von der Boston Consulting Group aufgelegte Projekt „business@school“. 20 der 30 DAX-Konzerne vertreiben derzeit Lehr- und Lernmaterialien. Nicht nur BASF und Bayer, Deutsche Bank und Deutsche Börse sowie BMW und Daimler haben die Schulen ins Visier genommen, auch Verbände, Stiftungen und sogenannte Bildungsinitiativen drängen in die Schulen, um ihr Image aufzubessern, Personal zu rekrutieren oder für ihre Produkte zu werben. Obwohl die vormals als pädagogischer „Schonraum“ akzeptierte Institution Schule immer weitreichenderen Einflüssen externer Akteure unterliegt, unterschätzen Lehrer, Schüler und Eltern das Thema Lobbyismus an Schulen nach wie vor.
In wenigen Wochen jedoch dürfte deutlich werden, dass es sich bei der unternehmerischen Einflussnahme auf Schulen nicht um ein Nischen-, sondern um ein Massenphänomen handelt. Das mit der Corona-Pandemie verbundene Homeschooling wird als Katalysator für den mit 5,5 Milliarden Euro finanzierten Digitalpakt Schule wirken. Das auch von Bildungspolitikern immer lauter vorgetragene Lamento lautet: Während digitales Lernen in erfolgreichen Bildungsnationen wie Finnland und Estland Kindersache sei, würden hierzulande die Hausaufgaben bestenfalls per E-Mail verschickt.
Die derzeitige Digitalisierungseuphorie lässt in Vergessenheit geraten, dass Kinder im Land der Dichter und Denker zu Kunden im Klassenzimmer zu mutieren drohen. Konzerne wie das südkoreanische Unternehmen Samsung sehen in der Digitalisierung ebenso ein Einfallstor für die Verbreitung ihrer Produkte und Dienstleistungen wie Amazon, Apple, Facebook, Google und Microsoft. Apple wirbt als Flaggschiff der US-amerikanischen „Big Five“ offensiv mit seiner Präsenz an Schulen: „Seit 40 Jahren unterstützt Apple Lehrerinnen und Lehrer dabei, das kreative Potenzial jedes einzelnen Schülers freizusetzen. Heute tun wir das auf mehr Arten als je zuvor. Und das nicht nur mit leistungsstarken Produkten. Sondern auch mit Werkzeugen, Inspirationen und Programmen, die Lehrkräften dabei helfen, geradezu magische Lernerlebnisse zu schaffen.“
Magische Lernerlebnisse?
Wie weit die Bemühungen um Magie reichen, lässt sich daran ablesen, dass der Konzern unter dem Stichwort „Education Pricing“ nicht nur Studierenden, sondern auch Lehrkräften und Schülern Hardware zu „Bildungspreisen“ anbietet. Ziel ist es, Kinder an iOS-basierte Betriebssysteme heranzuführen, sodass sie ihre Kaufentscheidungen ein Leben lang an aus Schulzeiten vertrauten Produkten ausrichten. Aus der Konsumforschung ist bekannt, dass bei Kindern und Jugendlichen nur ein Viertel des Werbebudgets reicht, um denselben Werbeeffekt zu erzielen wie bei Erwachsenen. Auch deshalb bietet Apple Programme und Apps an, die auf die eigenen Produkte und deren Nutzung im Schulunterricht zugeschnitten sind. Gleichzeitig können sich Lehrkräfte in kostenlosen Fort- und Weiterbildungsprogrammen mit Apple-Produkten vertraut machen.
Dabei verspricht der Konzern einen Wandel der Lernkultur: „Lehrer können Kompetenzen rund um iPad und Mac aufbauen, die ihnen direkt im Unterricht mit ihren Schülern nützlich sind. Sie erhalten Anerkennung für neu Gelerntes und werden für die großartige Arbeit, die sie jeden Tag leisten, belohnt.“ Zugleich bietet der Konzern die Dienste eines „Apple Solution Expert“ an, um seine Hardware an Schulen zu betreuen. Mit der über iPads nutzbaren App „Schoolwork“ sollen die Fortschritte der Lernenden im Auge behalten werden können. Für Lehrkräfte soll die App eine Entlastung darstellen. Ein zentrales Programmmerkmal besteht darin, dass sich Apps wie „GeoGebra AR“, „Kahoot!“ oder „Duolingo“ in die digitale Lernumgebung einfügen lassen.
In den USA ist die Googlefizierung der Klassenzimmer längst angekommen. Jeder zweite Lernende nutzt im Unterricht Gmail und Google Docs. Mit dem Einplatinencomputer „Calliope mini“ sollen schon Grundschulkinder Programmiersprachen erlernen. Googles Initiative „Computer Science First“ wirbt damit, kostenlose Unterrichtsmaterialien bereitzustellen, um Schülern Zugang zum Programmieren zu ermöglichen. Darüber hinaus stellt das Unternehmen fertig ausgearbeitete Lehrkonzepte zur Verfügung: „Jeder kann CS First unterrichten. Vorkenntnisse in Informatik sind nicht erforderlich.“ Dass die von Google entwickelten Chromebooks schon vor drei Jahren von der New York Times als „powerhouse in America’s schools“ bezeichnet wurden, sollte uns skeptisch über den Atlantik blicken lassen.
Während Apple, Google und Samsung mit der Verbreitung von Hard- und Software an Schulen ein vergleichsweise leichtes Spiel haben, traf Amazon früh auf Widerstände. Der „Kindle Storyteller Kids“-Schreibwettbewerb, der die Lese- und Schreibfähigkeit von Grundschulkindern fördern sollte, wurde 2016 in Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz verboten. Die zuständigen Ministerien wiesen auf das Werbeverbot an Schulen hin. Der Zweck der Leseförderung träte hinter den eigentlich vom Unternehmen intendierten Zweck – nämlich den der unternehmerischen Selbstdarstellung – zurück. Wenngleich die genannten Bundesländer den Wettbewerb verboten, konnte der Konzern ihn in anderen erfolgreich einführen. Vielerorts übernehmen Bürgermeister*innen die Schirmherrschaft, was oft einen positiven Widerhall in der regionalen Berichterstattung auslöst. Auch Microsoft und der Branchenverband Bitkom verfolgen diese Strategie der regionalen Integration: Für die „Code your Life“-Initiative von Microsoft haben 14 Bundestagsabgeordnete eine Schulpatenschaft übernommen, für „erlebe IT“, eine Initiative von Bitkom, sogar 140 Abgeordnete.
Mit ihrem Bildungsengagement senden die Konzerne eine Botschaft der Allgemeinwohlorientierung, die gerade bei den US-amerikanischen „Big Five“ angezweifelt werden muss. Trotz ihrer Omnipräsenz auf dem europäischen Markt entrichten sie weitaus weniger Steuern als die ebenfalls auf Steueroasen setzenden DAX-Konzerne. Apple soll nach Schätzungen der EU-Kommission bis 2014 auf eine Million Euro Gewinn durchschnittlich gerade einmal 50 Euro Steuern entrichtet haben. Nach wie vor versteuert der Konzern seine europäischen Gewinne schätzungsweise nur mit zwei bis maximal neun Prozent.
Strukturelle Abhängigkeit
Der über das Engagement im Bildungssektor suggerierte Altruismus der Digitalkonzerne droht bei der jüngeren Generation das Bewusstsein für Fakten zu kaschieren – oder gar zu absorbieren. Das gilt erst recht, wenn von der EU-Kommission immer wieder geahndete steuer-, kartell- und datenschutzrechtliche Verstöße der Digitalkonzerne im Unterricht nicht mehr thematisiert werden, weil Apple, Microsoft und Samsung das Einspeisen der Lehr- und Lerninhalte über ihre Geräte kontrollieren. Die Risiken des digitalen Lernens – die Flucht in Echokammern und die Verbreitung von Fake News – dürften erst recht ausgeblendet werden.
Soll die Unabhängigkeit der Schulen gewahrt werden, dürfen die Digitalkonzerne nicht länger mittels Unterrichtsmaterialien direkten und über die zur Verfügung gestellten Medien indirekten Einfluss auf die im Klassenzimmer vermittelten Inhalte nehmen. Die hierzulande geltende Schulpflicht verpflichtet nicht nur Schüler zum Schulbesuch, sondern auch den Staat zur sorgfältigen Prüfung der Lerninhalte. Verlieren wir uns weiter in Digitalisierungseuphorie, laufen wir Gefahr, dass Marshall McLuhans Ausspruch „The medium is the message“ zum Dreh- und Angelpunkt von Lehr- und Lernprozessen wird. Auch im 21. Jahrhundert sollte gelten: Der Inhalt ist die Botschaft. Dem hat sich jedes methodische Werkzeug unterzuordnen – die Kreidetafel wie das Whiteboard. Nur eine bessere Finanzierung des Schulwesens kann dafür sorgen, dass Schulen nicht in eine strukturelle Abhängigkeit privatwirtschaftlicher Unternehmen geraten. Schon jetzt geht die Schere zwischen den Bundesländern auseinander: Während die Stadtstaaten Berlin und Hamburg – über alle Schularten hinweg – rund 10.000 Euro pro Kopf ausgeben, sind es in Nordrhein-Westfalen nur 6.800 Euro. Das widerspricht der grundgesetzlich festgeschriebenen Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse. Zugleich reichen die in den Kommunen verfügbaren Mittel nicht aus, um undichte Dächer, verdreckte Toiletten, verschimmelte Wände und defekte Heizungen der Vergangenheit angehören zu lassen. Das aber müsste der Anspruch der von der Bundeskanzlerin proklamierten „Bildungsrepublik Deutschland“ auch in Zeiten sein, in denen ein milliardenschweres Digitalisierungsprogramm ausgerollt wird.
Während abzuwarten bleibt, ob Lehrenden und Lernenden das Lehren und Lernen wirklich erleichtert wird, steht schon jetzt fest, dass Apple, Google & Co. nicht nur mit lukrativen Beschaffungs-, sondern auch mit langfristigen Wartungsaufträgen rechnen dürfen. Der Blick in die USA lässt vermuten, dass die Konzerne den milliardenschweren Digitalpakt Schule in den kommenden fünf Jahren auch nutzen werden, um ihre Hard- und Software im Paket mit Fort- und Weiterbildungen, Lernplattformen und Unterrichtskonzepten anzubieten. Damit droht die Unabhängigkeit der Institution Schule als Schutz- und Sozialisationsraum endgültig für den Ausverkauf preisgegeben zu werden. Dies ist einer Bildungsnation nicht würdig.
Kommentare 11
Die Germanen haben schon lange kapituliert ... und in der Freizeit wird genetflixt und amazoniert. Als Globalisierung verklärt ... schreitet der kulturelle Ausverkauf und Verfall voran. "OK!"
Kinder und vor allem Eltern sind schon seit langem die Kunden, um deren Schulwahlentscheidungen die Schulen buhlen. Und da ist die IT-Ausstattung der Schule ein wichtiges Marketinginstrument. Daher fließt immer mehr Geld in schnelles Internet, Whiteboards, Laptops usw. Die Folgekosten für die Wartung, die Software, Lizenzgebühren und schließlich die Ersatzinvestitionen wachsen stetig. Damit steigt auch die Abhängigkeit von den Anbietern, denen obendrein die Möglichkeit geboten, die Lerninhalte mitzubestimmen und die Bildungspolitik zu beeinflussen. Ein klassisches Beispiel hierfür ist die Bertelsmann Stiftung, deren Einfluss in NRW durch die Antwort der Landesregierung auf eine Anfragender Piratenpartei weiland mehr als deutlich wurde.
Da haben betr. Konzerne auch deswegen leichtes Spiel, weil die vermutlich meisten Eltern selber nicht sonderlich kritisch sind in Sachen IT. - Selbst im Kunst- und Kulturbereich kann man die Leute, die beispielsweise auf Linux setzen, mit der Lupe suchen.
Statt auf Firmen, sollten wir zuerst auf unsere EU setzen. Nach dem soeben unterzeichneten SCHIENENPAKT ist auch ein europäischer BILDUNGSPAKT der #EU notwendig.
So eine nutzerfreundliche Betriebsoberfläche wie Apple muß Windoof erst mal bringen.
Via Pandemie, mit maximaler Geschwindigkeit, von klein an, hinein, in die "Brave new world" - Politik pur as pur can be! Nun denn, der sog. "Heilige Fortschritt" zieht weiter seine Bahn. Wenn schon die reale Welt untergeht, so geht dann eben die virtuelle Welt auf. welcome in space land - Mit allen bisherigen historischen GroßUmbrüchen à la Fortschritt, hat das allerdings nichts zu tun. Noch bei keiner dieser gewaltigen Zäsuren stand "Hamlet" auf der Agenda: Sein oder Nichtsein? see you in the moon village LG Bezos & Musk
Im Rahmen der Corona-Krise kam die mangelhafte Digitalisierung der Schulen erst richtig ins Bewusstsein!Naja! Entgegen dem Eigenlob vieler Politiker gibt es in Deutschland aber noch viele Verbesserungspotentiale für die Pandemiebekämpfung. Ganz zu schweigen von der EU, die ja praktisch abgetaucht war. Und das EU-Parlament versinkt noch mehr!Und es wird noch viele Schritte zur Lockerung des Lockdowns geben, die insbesondere bei denen Empörung hervorrufen, die diese nicht als Erste auf den Marktplatz getragen haben - insbesondere wenn es kein bayerischer Marktplatz war!https://www.freitag.de/autoren/sigismundruestig/die-corona-krise-1Zum Thema Schulen:Mit der Schließung der Schulen sollte der Schulpflicht durch Homeschooling Genüge getan werden. Was unter Homeschooling zu verstehen war, hatte sich schnell unter Schülern und Eltern herumgesprochen: eine klägliche Simulation von Schule!Kein Wunder, dass bei einer aktuellen europaweiten Umfrage zum Stand der Digitalisierung an Schulen Deutschland den Platz 27 erreichte! Nicht nur ein peinliches Armutszeugnis, sondern vielmehr ein Skandal!Dazu passte, dass sich die lange unterbelichteten Perspektiven für eine Rückkehr zum Präsenzunterricht vorwiegend mit organisatorischen, den Corona-Hygieneanforderungen geschuldeten, Themen - also eigentlich Hausmeisteraufgaben - befassten. Wie etwa die versäumten Bildungsinhalte und/oder die verlorenen Schulzeiten hätten nachgeholt, wie längerfristige Nachteile hätten ausgeglichen werden können, war offensichtlich außerhalb der Vorstellungskraft der Verantwortlichen.Und dass immer noch nicht eine regelmäßige - wöchentliche? - prophylaktischen Testung für alle Kinder, Schüler, Betreuer und Lehrer als derzeit wichtigste Voraussetzung für einen Präsenzunterricht ohne Abstandsregelung beschlossen ist, kann nicht länger akzeptiert werden. Stattdessen streut Spahn Sand in aller Augen, um sein Versagen in dieser Frage zu verschleiern.Länderspezifische – übrigens datenschutzkonforme - Lernplattformen für Schulen - in Bayern zum Beispiel mebis – waren gar nicht auf den infolge der Schulschließung erforderlichen Massenbetrieb ausgerichtet und damit praktisch nutzlos. Der dadurch induzierte abrupte, ungeplante Wechsel auf andere Schul-Lernplattformen wie sie zum Beispiel von Microsoft oder Google zur Verfügung gestellt wurden,wurde u.a. auch von Wirtschaftsführern wie dem Präsidium des Verbandes deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) gelobt. Das Risiko, dass Schülerdaten massenhaft von diesen Internet-Giganten abgegriffen werden, muss hinter der Funktionalität dieser Plattformen zurückstecken, ja wird noch nicht einmal als besorgniserregend gesehen.Und die Googles, Apples, Microsofts haben sich die Hände gerieben ...!Alles in allem:Auf Bildungsinhalte scheint man locker dauerhaft verzichten zu wollen, denn ein Nacharbeits-Konzept ist nicht in Sicht.Digitalwüste Schule ist das vorherrschende Bild.Der Schaden, der aus einem unkontrollierten Eindringen von IT-Unternehmen in die Bildungseinrichtungen erwächst, wird ignoriert!
// Ziel ist es, Kinder an iOS-basierte Betriebssysteme heranzuführen, sodass sie ihre Kaufentscheidungen ein Leben lang an aus Schulzeiten vertrauten Produkten ausrichten //
Dasist legitim. Die Konkurrenz wie Microsoft macht das genauso. Apple Computer oder iPad sind im Moment gegenüber Windows ect. unterrepräsentiert. Und andere ernst zu nehmende Betriebssysteme gibt’s nicht (bitte nicht mit Linux anfangen, auf Serverseite ok.)
"bitte nicht mit Linux anfangen"
Warum nicht? Die Fummelzeiten sind lange her bei den großen Distributionen.
"Daher fließt immer mehr Geld in schnelles Internet, Whiteboards, Laptops usw."
Das kann man auch nur glauben, wenn man nur Gymnasien kennt.
"Digitalwüste Schule ist das vorherrschende Bild."
Da scheint mir jemand aus der Innenperspektive zu berichten. Besonders die FDP hat in der Krise eine erbärmliche Figur gemacht. Erst groß Digitalisierung tönen und dann nichts dahinter.
Es gibt nicht nur längst Open-Source-Alternativen wie z.B. Moodle. Auch der Vorschlag, allgemeine Standards wie z.B. die von WhatsApp verpflichtend zu veröffentlichen, sind schon X mal gefallen.
Ohne vernünftige Finanzierung gibt das aber alles sowieso nix. Solange immer alles umsonst sein soll, fressen wir eben Sch...