Guten Rutsch ins Jahr 2000!

WORST CASE Der Doppel-Null-Chip in Krankenhäusern und Kernkraftwerken

Haben Sie sich schon mit Streichhölzern, Kerzen und Taschenlampenbatterien versorgt? Gibt es Weckgläser mit grünen Bohnen oder Linsensuppe in Dosen in Ihrer Speisekammer? Funktioniert der Campinggaskocher und packen Sie noch einmal den Tiger in den Tank? Gehen Sie zur Milleniumparty und lassen zuvor die Badewanne für die Clospülung noch einmal volllaufen?

Dann handeln Sie nach den Grundsätzen der praktischen Vernunft. Denn was in dem Moment passiert, wenn computer- und chipgesteuerte Geräte wie Fax und Laptop, Garagentor und Heizungsanlage den Datumssprung nicht verkraften, weiß keiner so genau. Der Datumssprung wird zu einem riskanten weltweiten Experiment. Seit sich Experten mit dem Jahr-2000-Problem befassen, kristallisiert sich immer mehr heraus, dass die "embedded chips", die Mikroprozessoren, besonders anfällig sind. Aus Kostengründen massenhaft produziert, aber möglicherweise überfordert mit der Doppel-Null als Datumsangabe, findet man die Chips überall: von Kaffeemaschinen bis Kernkraftwerken.

Das Gemeinsame in all diesen Chips: Sie bekamen eine Datumsfunktion implantiert. Wird nun das Jahr-2000-Problem simuliert, so kommunizieren die steuerbare Digitaluhr und die Echtzeituhr, die Funksignale empfängt und sich nicht überlisten lässt, miteinander. Sie gleichen ab, wer dominiert. Deshalb sind die Tests im Vorfeld des Jahrtausendwechsels auch sehr wechselhaft ausgefallen. Einfach lief es dort, wo die Datumsangaben sichtbar waren, in Videorecordern beispielsweise. Anderswo blieben Fahrstühle und Drehleitern der Feuerwehr stecken.

Der Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Informatik (DGI), Hermann Rampacher, rät davon ab, privat derartige Tests zu veranstalten - ansonsten habe man alles im Griff. Günther Ennen, Projektleiter für die Jahr-2000-Umstellung im Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), gehört nicht zu den Verharmlosern. Alle Daseinsbereiche, ob Krankenhaus oder Kernkraftwerk, könnten vor allem wegen der "embedded chips" betroffen sein: Auf jeden Fall wird die Bundesbahn die Züge und manch ein anderer den Atem anhalten.

Der worst case wäre zweifellos der Zusammenbruch der Energieversorgung just in jener Nacht, in der wir in das neue Jahrtausend hineinfeiern wollen. Um sicherzustellen, dass er nicht noch durch ein Vorkommnis der Marke Supergau übertroffen wird, hat das Bundesministerium für Reaktorsicherheit in der Summe etwa 11.000 softwarebasierte Komponenten oder Leittechniksysteme in den deutschen 19 AKWs erfasst und überprüfen lassen. Alle seien Jahr-2000-fähig, ließ die Trittin-Administration verlautbaren. Reaktoren werden auf 30 Prozent ihrer Leistung heruntergefahren. "Obwohl die atomrechtlichen Aufsichtsbehörden der Länder nicht mit Komplikationen in ihren Zuständigkeitsbereichen rechnen, sind zum Jahreswechsel Bereitschaftsdienste vorgesehen", heißt es im Bericht des Bundesumweltministeriums. Ein Frühwarnsystem der Internationalen Atomenergieagentur IAEA soll über etwaige Vorkommnisse in den GUS-Staaten rechtzeitig informieren. Über die 2000-Fähigkeit von Telefonverbindungen ist allerdings bislang nichts gesagt worden.

Ganz sicher ist man sich aber hierzulande auch nicht. Die Atomkraftwerke Neckarwestheim 1 in Baden-Württemberg und Unterweser in Niedersachsen sollen, nach einem Bericht des Hessischen Rundfunks, anders als alle anderen deutschen Atommeiler, mit digitaler Leittechnik nachgerüstet worden sein. Im Falle eines Stromausfalls würde diese Technik die nötige Schnellabschaltung steuern. Allerdings, so der Hamburger Informatiker Klaus Brunnstein, sei die Zuverlässigkeit dieser digitalen Leittechnik nicht nachgewiesen. Wo liegt das Problem? Warum können - unabhängig von der Ausstiegsdiskussion - die AKWs nicht einfach runtergefahren werden? Was wiegt der Imageverlust der Branche gegenüber dem Restrisiko?

Ich würde schrecklich gern auch im Jahr 2000 über die Renten-, Gesundheits- und Steuerreform streiten und den Atomausstieg vehement einfordern. Ohne dass uns das Restrisiko den Rest gegeben hat. Guten Rutsch!

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden