Hosen-Krieg gibt auf!

Hosen-Krieg gibt auf! Fette Lettern verkünden: Sale! 30 Prozent auf alles, die Dreißig durchgestrichen, darüber eine Vierzig. Vielleicht ist auch das ...

Hosen-Krieg gibt auf! Fette Lettern verkünden: Sale! 30 Prozent auf alles, die Dreißig durchgestrichen, darüber eine Vierzig. Vielleicht ist auch das eine gutgläubige Illusion des Besitzers. In dem kleinen und schmucklosen Schaufenster liegt wie verloren ein Smokinghemd und bemüht sich um Haltung. Das ist jetzt für 19,90 Euro zu haben. Hosen-Krieg schafft es nicht mehr bis in die Vorweihnachtszeit. Zu fünf Cent sind die Rollen mit Geschenkpapier ausgezeichnet, Tannenbäume auf rotem, Weihnachtsmänner auf grünem Grund; die liegen hinter dem Smoking-Hemd auf dem Teppich, einer Feinschlingen-Auslegeware in Lila, die mit kessen geometrischen Mustern zuletzt noch ein bisschen Farbe hineinbringen sollte in den schattigen Verkaufsraum. Aber die Renovierung ist nun auch schon eine Weile her. Seinen Teppich wird Hosen-Krieg wohl nicht mehr losbekommen.

Vielleicht auch nicht seine Anzüge, deren Schnitt dem Anforderungsprofil in der Wirtschaft nicht entspricht. Die sieht man heute allenfalls noch hinter Sparkassenschaltern und - natürlich - an Hosen-Krieg selbst, wenn er da bei noch milden Temperaturen vor seinem Geschäft steht und Wache hält, während drinnen das gleiche Tuch reglos und unbeachtet über den Stangen hängt. Hosen-Krieg blieb Anstand und Sitte aus der Wirtschaftswunderzeit treu, als die Kunden noch bei seinen Eltern kauften: Keine Experimente, aber Gepflegtheit und Akkuratesse in unauffälligen Tönen. Dazu passen der stets tadellose Seitenscheitel des schmalen Männchens, seine karierten Krawatten mit festem Knoten und die schwarzen Schuhe, die immer so aussehen, als wollten sich seine Füße unter den grauen Hosen verstecken.

Hosen-Krieg war sicher ein guter Sohn, er führte das Geschäft im Geiste der Eltern, dem Maßstab ihres Geschmacks blieb er treu und auch dem ihres Sittlichkeitsempfindens. Neben den Anzügen zählten zu seiner Ware auch solide Strickjacken, warm und flauschig für den Feierabend, damit der Herr weiß, was er nach der Arbeit tut. Briefmarken sammeln vielleicht oder einen Blick werfen in die neue Reader´s Digest Ausgabe. Das Smokinghemd, das sich nun im Schaufenster an den Schnäppchenjäger wegwirft, war gewiss die größte Frivolität, die Hosen-Krieg dem Familienunternehmen zumutete.

Der Ausverkauf bilanziert ein Leben. Die biedermeierliche Solidität endet schließlich als Kulisse aus Ramsch, den keiner will. Hinter der Kulisse warten die Flure des Arbeitsamtes, die für einen Mittfünfziger, der vielleicht nie gestempelt hat, nicht kürzer werden. Ein gelingendes Leben, belehrt uns die Ethik, wäre ein solches, dessen Momente sich zu einer bejahenswerten Einheit zusammenfügen. Hosen-Krieg wird es nicht leicht fallen, dem Ratschlag der Philosophen zu folgen. Aber vielleicht würde er sich auf ihn berufen, wenn man ihn fragte, warum er denn nicht mit der Zeit ging, seinen Laden nicht verspiegelte, ihn nicht mit angesagten Markennamen ausstaffierte und nicht die Rolle des Verkäufers mit der des Beau vertauschte, der seinen Kunden beim Persönlichkeitsdesign hilft. Dass er das nicht tat, ist sein Problem und vielleicht das vieler kleiner Mittelständler im Dienstleistungsgewerbe. Ihren Aufstieg vor Dekaden verdanken sie der Tugend anspruchsloser und unbeirrbarer Arbeitsamkeit, ihren Niedergang dem Mangel an Flexibilität. Ihre Tugend wird ihnen nun zum Fallstrick, denn Unbeirrbarkeit hemmt die Verwandlungsfähigkeit, Anspruchslosigkeit den Narzissmus, ohne den man Dienstleistung nicht als show business betreiben kann.

Hosen-Krieg gibt auf, diese Weihnachtszeit wird sein kleines Reich nicht mehr erleben, und wir undankbaren Passanten werden uns schnell an den Mobilfunkshop gewöhnen, der unweigerlich in das verwaiste Lädchen einzieht.

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