Hundeblick aus dem Jenseits

Erlebniswelt Bei Saturn am Berliner Alexanderplatz kann man ­lernen, dass der Sieg der Technik über den Tod Hybris ist

Saturn hat sich am Alexanderplatz ein Denkmal gesetzt. Und uns, die wir da reingehen, um zu begehren und zu kaufen, auch. Wir wissen, was mit Geiz alles erreicht werden kann, und wechselten nahtlos in die Wir-hassen-teuer-Welt.

Der ADAC hatte in diesem Jahr über ein Callcenter erfragen lassen, ob seine Mitglieder es schön fänden, wenn die Berliner Geschäftsstellen des Automobilclubs Erlebniswelten wären. Und wenn man Ja sagte oder auch nicht, fragte die Callcenteragentin weiter, wie man sich eine solche Erlebniswelt vorstelle. „Wie bei Nivea“, hatte ich geantwortet und ein Fragezeichen an die Antwort gehängt. Aber ich kann davon ausgehen, dass mein Fragezeichen nicht notiert worden ist.

Bei Nivea Unter den Linden gibt es zu den Seidenproteinen ein Fußbad. Wenn man dies möchte. Die Seidenproteine versprechen Nachhaltigkeit und das Fußbad ist ein Erlebnis. Niemand hier will, dass von Geiz gesprochen wird und niemand behauptet, teuer zu hassen. Ich frage nach einer Hautcreme, bekomme ein Dreierset auf den Tisch gestellt, oute mich als Ein-Döschen-für-alles-Konsumentin und bin die Verkäuferin los. Sie zeigt mir noch, in welchem Regal ich finde, was ich haben will.

Bei Saturn sind andere Dinge wichtig. Das Haus verhindert durch blau schimmernde Kühle, so laut und voll und schrecklich wie das alte zu werden, sogar jetzt, in der Vorweihnachtszeit. Es bietet eine Erlebniswelt ganz anderer Art. Man kann ein bisschen fernsehen, an Computern spielen, die Welt auf Displaygröße schrumpfen lassen, eine Mini-DV schwenken, einen Kühlschrank ohne Tiefkühlfach suchen und eine halbe Stunde damit vertrödeln, um herauszubekommen, ob es für den ESGE-Stab Ersatzscheiben gibt. Die zum Schlagen der Sahne.

Als ich kürzlich zum ersten Mal den Laden betrat, war er schon nicht mehr neu. Ich wollte ein USB-Verlängerungskabel kaufen und eine Frage stellen, die etwas mit mobilem Telefonieren zu tun hatte.

Vor mir stand nun eine ältere Dame, klein, rundlich, zu warm angezogen, frisch gelockt. Sie ließ sich von einem jungen Verkäufer, groß, schlank, etwas picklig, randlose Brille, Schatten unter den Augen, Mobiltelefone zeigen. Eines von den vielen, die er ihr präsentierte, wollte sie kaufen. Sie machte einen sehr entschlossenen Eindruck. Nach knapp zehn Minuten schien ein Entschluss in greifbare Nähe gerückt. Dieses Handy hier, in der Hand des Verkäufers, machte keinen schlechten Eindruck auf die Frau.

„Wieviele Pixel?“, fragte sie und der Verkäufer nannte eine Zahl, für die ich als Kind das Synonym „unendlich“ gebraucht hätte. Die Frau nickte. Die Pixelanzahl schien ihren Ansprüchen zu genügen.

„Kann ich da auch andere Bilder draufmachen, auf den Bildschirm vorn“, fragte die Dame.

„Ja“, sagte der Verkäufer, „was immer Sie wollen.“

„Meinen Hund“, sagt die Dame. „Ich will meinen Hund da drauf haben.“

„Kein Problem. Einfach fotografieren und dann über das Menü das Bild einstellen.

„Mein Hund ist tot.“

„…“

„Voriges Jahr gestorben. Ich habe nur ein Bild von ihm.“

Die Dame kramte aus ihrer Manteltasche ein Handy und reichte es dem Verkäufer. „Da ist er drauf. Mein Hund. Können Sie das Bild von dem Handy auf das neue machen?“

Der Verkäufer nahm das Handy der Dame. Es machte einen großen, unseriösen Eindruck.

„Das geht nicht“, sagte er und gab das Telefon wieder zurück. „Zu alt.“

Die Dame drehte sich um und ging.

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