Indien Wer hat das "größte Demokratisierungsprojekt der Welt" angestoßen, um dadurch den einst kommunistisch regierten Bundesstaat Kerala im Bankrott versinken zu lassen?
Mit dem Monsun kommt die Enthüllung. Während im Bundesstaat Kerala im Südwesten des indischen Subkontinents der Regen schwer und wütend in das üppige Grün weiter Palmenhaine peitscht, findet sich Dr. Thomas Isaac im Zentrum eines wachsenden Volkszorns. Dem stellvertretenden Vorsitzenden und theoretischen Kopf der CPM Keralas, der in diesem Bundesstaat traditionell starken Kommunistischen Partei Indiens (Marxisten), wird vorgeworfen, er sei ein CIA-Agent.
Zum Angriff blasen nicht politische Gegner, sondern prominente und für ihre Integrität bekannte Parteigenossen. Isaac soll im Auftrag seiner Geldgeber ein gigantisches Experiment mit Millionen von Testpersonen im "Labor Kerala" durchgeführt haben, das die Provinzregierung nun zwingt, politische
ingt, politische Prinzipien für ein paar Dollar Kredit aufzugeben. Oder war alles ganz anders?Das "Modell Kerala" Kerala ist ein besonderer Staat. Nahezu alle Einwohner können lesen und schreiben, viele haben einen außergewöhnlichen Bildungsstand erreicht und verfolgen das Weltgeschehen mit Einsicht und Leidenschaft. Fabrikarbeiter, die mehrere Tageszeitungen kritisch vergleichen, ein Bäckergeselle, der sich in der Mittagspause in Darwins Ursprung der Arten vertieft, oder angeregte Debatten mit Fremden über modernes Theater um sechs Uhr früh an einer Busstation sind keine Seltenheit. Die Keraeliten leisten sich eine üppige Medienlandschaft und ein funktionierendes Gesundheitssystem. Die einzig rückläufige Geburtenrate Indiens, die niedrigste Kindersterblichkeit und die höchste weibliche Erwerbsbeteiligung sind andere Parameter eines hohen Lebensstandards. Die Wurzeln dieser Blüte reichen tief in eine Geschichte, die Kerala dank Kampfer, Pfeffer und Kardamom schon früh zu einem pulsierenden Zentrum werden lässt, das mit Phönizien, Arabien, China, Indonesien und Italien Handel pflegt, lange bevor Portugal und Holland Waffen und Missionare ins Spiel bringen. Später entstehen rationalistisch-atheistische Bewegungen, die friedliche Koexistenz zwischen allen religiösen Gemeinschaften fördern. Auch politisch ist Kerala eine Ausnahme: eine starke Kommunistische Partei - 1957 erstmals in die Regierung gewählt - wechselt sich seither mit der Kongresspartei in der Staatsführung ab.Das VolksplanungsprojektIm März 1996 als führende Partei in einer linken Koalition wieder an der Macht, wagt die CPM einen kühnen Schritt. Sie verkündet das Projekt People´s Planning, das 40 Prozent des Staatsbudgets direkter Entscheidungsgewalt der Bürger unterstellt. Seit Gandhi ist Demokratisierung durch Dezentralisierung in Indien ein vertrautes Konzept. Zwei Verfassungszusätze - 1993 unter einer Kongressregierung verabschiedet - hatten bereits Voraussetzungen für einen Wandel der Entscheidungsstrukturen geschaffen. Das Volksplanungsprojekt der CPM wird schnell als Pioniermodell gefeiert, als ein weiterer Triumph in der Reihe historischer Errungenschaften unter EMS Namoodhiripad, dem Gründer, langjährigen Vorsitzenden und ersten Chiefminister der Partei, unter dessen Ägide 1957 die Enteignung von Großgrundbesitz begann. Der Vorhang öffnet sich im August 1996: in der ersten Phase des "größten Demokratisierungsprojektes der Welt" treffen sich nahezu alle Einwohner in 14.147 Nachbarschaftszellen, diskutieren ihre Lage, listen Missstände und Wünsche auf. In der zweiten Phase erstellen 990 Dörfer und 62 Städte detaillierte Reports über die speziellen Ressourcen ihres Ortes. Das Ergebnis füllt mehr als 130.000 Seiten. In Phase drei werden 120.000 Aktivisten in 12.000 Task Forces organisiert und einem speziellen Training unterzogen, um alle für notwendig befundenen Projekte detailliert beschreiben zu können. In Phase vier sollen gewählte Komitees unter Beachtung der einvernehmlich festgelegten Prioritäten und der zur Verfügung stehenden Gelder konkrete Pläne entwerfen, die dann in Phase fünf auf Block- und Distriktebene abgeglichen und zu Jahresplänen zusammengefasst werden. Kerala verwandelt sich in einen summenden Bienenstock - getragen von unrealistischen Erwartungen, wie sich später herausstellt. Zunächst aber scheinen politische Differenzen in Vergessenheit geraten, und die Vorsitzenden aller Parteien nehmen in einem großen, eher ornamentalen Führungskonzil ihren Platz ein. Die oberste Leitung des Projektes liegt in der Hand des Staatsplanungsausschusses, der mit Aktivisten der CPM und Leitern von parteieigenen Freiwilligenorganisationen aufgefüllt wird und sich als unermüdliche Koordinationszentrale erweist. Die Zwischenberichte dieses Ausschusses zeichnen ein realistisches Bild: die Arbeit der Task Forces sei aufgrund von Unerfahrenheit und technischer Unkenntnis mangelhaft. Fehlentwicklungen und Unzulänglichkeiten auf allen Ebenen kosten unerwartet Zeit und Geld. Der schöne Schein politischer Einigkeit hält nicht lange vor, denn die Opposition kündigt den Konsens auf. Das Projekt sei maßgeschneidert, den Interessen der CPM zu dienen, sagen Vertreter der Kongresspartei. Eine offizielle Untersuchungskommission präsentiert Beweise für Korruption in mehreren Panchayats, den Dorf- und Stadtteilgemeinschaften. Der StaatsbankrottTatsächlich ist People´s Planning eine riesige Geldwaschanlage. In voller Kontrolle der unzähligen Schaltstellen, lassen Aktivisten der CPM Staatsgelder zu einem beachtlichen Teil in eigene Taschen, vor allem aber in die weitgeöffneten Parteikassen fließen. Tonnenweise verteiltes Druckmaterial zu Informationszwecken, die Ausrichtung von Konferenzen auf allen Ebenen, die Aufträge an Berater, die Vergabe von Arbeiten an Handwerker, Bauunternehmer und Vertragsorganisatoren, der Einkauf von Baumaterialien - jeder Schritt lädt ein zu Manipulation, Begünstigung, Korruption und Diebstahl. Das gefeierte Schlagwort von der Transparenz des Projektes beginnt, absurd, wenn nicht obszön zu klingen. Im Dörfchen Vallikunnam (Distrikt Malappuram) wird CPM-Panchayatpräsident Kalanathan als bester Organisator des Volksplanungsprojektes ausgezeichnet. Stolzes Wahrzeichen seiner Errungenschaften ist eine Brücke über den Dorfbach. Die Freude der Bewohner von Vallikunnam währt jedoch nicht lange: am vierten Tage bricht der Übergang mit einem Seufzer unter einem Ochsenkarren zusammen. Eine Untersuchung hätte vermutlich ergeben, dass minderwertiges Baumaterial verwendet wurde. Die Panchayats, völlig unerfahren in der Abwicklung großer Projekte, verbrauchen 1997, im ersten Jahr, nicht mehr als zehn Prozent der bereit gestellten Staatsgelder. Die Regierung verlängert die Nutzungsfristen. Im zweiten Jahr geschieht das Gleiche. Die Regierung kündigt an, dass die unangeforderten Restbeträge verfallen und künftige Zuteilungen sich nach dem tatsächlichen Verbrauch richten. Prompt heben viele Panchayats alle ausstehenden Beträge des ersten und des zweiten Jahres kurz vor Fristschluss ab und stellen sie auf ihren Bankkonten sicher. Das Geld des dritten und vierten Jahres - dank "plangerechter" Ausschöpfung der Vorjahresbeträge nun sogar noch erhöht - nimmt den gleichen Weg. So wird nahezu das gesamte Staatsbudget als ausgegeben abgehakt und verschwindet, obwohl viele der zu finanzierenden Vorhaben in den ersten Anfängen stecken bleiben. Die CPM verliert die nächste Wahl und Kongress-Chiefminister Antony übernimmt im Jahr 2000 einen ökonomisch ruinierten Staat. Sämtliche Ressourcen sind aufgezehrt von dem hungrigen Monster "Volksplanungsprojekt". Lehrer und andere Staatsbedienstete erhalten monatelang kein Gehalt. Milliardenschulden gegenüber Vertragsfirmen führen zu Wirtschaftschaos und Unruhen. Selbstmorde stehen auf der Tagesordnung. Die Staatskassen sind so leer, dass Indian Airlines sich strikt weigert, den Chiefminister ohne Vorkasse für sein Ticket nach Delhi zu befördern. Das InstitutNoch während der CPM-Regierungsperiode hat das in der Stadt Trivandrum ansässige Institute for Development Studies einen lukrativen Auftrag übernommen. Es sammelt alle Daten über das Volksplanungsprojekt: Von den 130.000 Seiten Dorfgeschichte, den ökonomischen Analysen und Entwicklungsdokumentationen der über tausend Panchayats bis hin zu den Daten der einzelnen Projekte. So entsteht eine umfassende Datenbank, die ein Tiefenprofil des Staates Kerala bietet. Auftraggeber und Finanzier der Forschungsarbeit ist die Regierung der Niederlande - sie soll diskret eine achtstellige Dollarsumme in dieses Begleitprojekt gesteckt haben. Projektleiter ist Dr. Thomas Isaac, der seit langem enge Verbindungen zu besagtem Institut unterhält. Als Vizepräsident der CPM-Studentenorganisation hat er dort seine Dissertation vorbereitet und später als Dozent gearbeitet. In einem Interview zu dem ungewöhnlichen, auslandsfinanzierten Forschungsvorhaben befragt, spricht er über eine lange Tradition niederländischer Hilfe. Das "noble Projekt" sei völlig unpolitisch und selbstlos und allein von dem Interesse der Niederländer intendiert, Entwicklungsforscher in der Dritten Welt zu fördern. Der KnebelvertragGegen Ende der CPM-Regierungsperiode, als die ökonomische Schieflage des Staates bereits beachtlich ist, überredet Dr. Isaac den damaligen Chiefminister Naynar ohne Wissen der CMP, einen kurzfristigen Kredit von der Asian Development Bank (ADB) aufzunehmen, um sich über die nächste Wahl hinwegzuretten. Naynar folgt seinem Rat, obwohl Kredite der ADB - ähnlich wie Kredite der Weltbank - an "Strukturanpassungen" gebunden sind. Der Kreditnehmer muss sich verpflichten, Subventionen abzubauen, um das "Investitionsklima" zu verbessern. Im Klartext heißt das: Armut, Ungleichheit, Umweltbelastung nehmen zu. Jahrelang hat Keralas vehementer Einspruch verhindert, dass sich Indien durch Weltbankkredite in fatale Abhängigkeiten begab. Nirgends wurden diese Knebelverträge so verachtet wie in Kerala. Wenn nun ausgerechnet die Regierung dieses Bundesstaates ihre bisherige Position aufgibt, kann das dramatische Konsequenzen für ganz Indien haben. War das großartig angelegte Volksplanungsprojekt also nur eine Falle, in die eine demokratiebewusste, begeisterte Bevölkerung und die Mitglieder der CPM hineingelockt wurden? Der VerdachtThomas Isaac spielt nicht nur als Kreditvermittler, sondern auch als Initiator von Dezentralisierungsprojekten eine zwielichtige Rolle. Bereits im August 1994 fand nämlich in Trivandrum ein Seminar unter der Bezeichnung Kerala Study Congress mit 40 ausländischen Teilnehmer statt, einige darunter aus den Niederlanden und den USA. Bei dieser Gelegenheit sprach US-Professor Richard Franke, Anthropologe an der Montclair State University, über die Bedeutung des "Modells Kerala" (The Relevance of the Kerala Model in the Emerging World Order). Franke ist Kerala-Spezialist. Er hat zahlreiche Studien über diesen Staat geschrieben, jedoch nur wenige davon in Buchform der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Im Anschluss an diesen Workshop gibt die Regierung der Niederlande 1995 ein "Kerala-Forschungsprogramm" über lokale Entwicklung in Auftrag. Programmleiter ist Dr. Thomas Isaac. Ein Blaupause für das "Volksplanungsprojekt" entsteht. Interessanterweise wird zwei Jahre später am Sitz der Weltbank 1997 die Idee geboren, bis Ende 2005 etwa 100 Millionen Menschen in Selbsthilfekooperativen mit Kleinkrediten zu versorgen. Pate für dieses Konzept der Selbsthilfekooperativen ist wieder einmal Kerala. Auch das Dorf Mararikulam - traditionell eine Hochburg der Kommunisten - ist eine Adresse für ein solches Mikrofinanz-Projekt. Finanziers sind die Internationale Arbeitsorganisation (ILO), die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Regierung der Niederlande. Projektforscher und Dokumentatoren tauchen auf: Sie heißen Professor Richard Franke und Dr. Thomas Isaac. Die genannten internationalen Sponsoren haben nach dem Volksplanungsmodell von Kerala Studienaufträge für ähnliche Projekte in Vietnam, Bangladesch, Bolivien, Tansania, Nikaragua, Mali und Uganda vergeben. Diese Projekte haben - so wird heute nicht nur in Kerala vermutet - möglicherweise vor allem ein Ziel: Sie sollen die Landesökonomie destabilisieren und die Regierungen unter Druck setzen. Genau das wurde in Kerala bewirkt Ist Dr. Isaac nun ein Agent der CIA oder nur ein Vertrauter der Weltbank - oder beides? Auf der Suche nach einem Zipfelchen, das seine offenkundigen Blößen bedeckt, greift er Anfang 2003 zu Coca Cola. Man sieht ihn als Führer der Bewegung gegen den Irakkrieg zum radikalen Boykott des symbolträchtigen Softdrinks aufrufen. Er verteilt sogar lange Listen über Produkte, die zu meiden seinen: Von Colgate bis Nivea. Ein jäher Gesinnungswandel, noch 1996 wurde unter der CPM-Regierung eine nagelneue Coca Cola-Fabrik in Kerala gebaut und durfte mit US-Flagge auf der Titelseite der Partei-Zeitung werben. Apropos USA: Dr. Thomas Isaac hat jahrelang in den Vereinigten Staaten gelebt, bevor er zur Übernahme hoher Ämter in der CPM und zur Demokratisierung Keralas wieder in Indien auftauchte. Seine Ehefrau und zwei erwachsene Söhne, alle drei US-Bürger, dürften ihn nun bald wieder zu Hause begrüßen können.
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