In mir kämpft das Leben

TINA MODOTTI Abenteuerliches Leben zwischen Fotografie und Politik, Anspruch und Enttäuschung

Tina Modotti, die Künstlerin, war notgedrungen geprägt und eingeengt von dem Platz, den Tina Modotti, die Frau, einnehmen konnte," schreibt die Biographin. Und Modotti selbst: "Ich kann das Leben nicht so akzeptieren, wie es ist - ich kämpfe ständig darum, mein Leben entsprechend meinem Temperament und meinen Bedürfnissen einzurichten - mit anderen Worten, ich lege zuviel Kunst - zuviel Energie - in mein Leben, und daher bleibt mir nichts, was ich der Kunst geben kann." Wer Tina Modotti dieses Zuviel an Energie geraubt hat, sie selbst oder andere, es wird immer offen bleiben. Sie stirbt 46 Jahre alt, 1942. Ob an einem Herzleiden oder als Opfer stalinistischer Säuberungsaktionen bleibt bis heute ungeklärt.

Ständiger Wandel bestimmt ihr Leben. Die Schule besucht sie nur kurz, früh arbeitet sie in einer Seidenspinnerei. Mit siebzehn verlässt sie Italien und emigriert nach Amerika. In San Francisco verdient sie ihren Lebensunterhalt als Näherin, Mannequin, Künstlermodell und Hutmacherin. Ihre zeitweiligen Ausflüge auf die Bühne reizen sie bald mehr als alle bisherigen Tätigkeiten. Doch auch der Schauspielerei bleibt sie nicht lange treu. Durch einen Mann lernt sie die Fotografie kennen. Sie gehen nach Mexiko, wo Modotti ihr fotografisches Thema im sozialen Elend der Bauern- und Arbeiterbevölkerung findet. Mit zahlreichen Aufnahmen, die ihr unverkennbares Talent zeigen, verschafft sie sich Anerkennung in der Öffentlichkeit.

Doch wieder ist es ein Mann, der sie antreibt, ihr Leben radikal zu ändern. Sie lässt sich für den Kommunismus begeistern und lernt die Welt der linksrevolutionären Politik kennen. Schließlich gibt sie alle künstlerischen Ambitionen auf und geht nach Moskau, um ihre ganze Kraft der Arbeit für den Sozialismus unterzuordnen. Dann erlebt sie im spanischen Bürgerkrieg das Scheitern der Revolution und kehrt nach sechsundzwanzig Jahren ernüchtert und müde nach Mexiko zurück.

"Warum hatte ihr Leben eine solch unwiderrufliche Wende genommen, dass es jetzt von Furcht und vorzeitigem Altern geprägt war?" Die Frage der Biographin ist berechtigt. Bereits die wenigen Fotografien, die sich im Buch finden, zeigen Modottis besondere Fähigkeit, durch Bilder Aufmerksamkeit auf das vermeintlich Unscheinbare im Leben zu lenken. Und doch kehrt sie ihrer künstlerischen Begabung den Rücken und widmet ihr Leben ganz der Politik. Der Zweifel, ob ihre Kunst jemals die Welt verändern könnte, lässt sie die Fotografie aufgeben. Trotz des Drängens ihrer Freunde weigert sie sich, die Kamera je wieder in die Hand zu nehmen. Nach den schrecklichen Erfahrungen im spanischen Bürgerkrieg und bestürzt über die Entwicklung der kommunistischen Politik unter Stalin, findet sie endgültig keinen Sinn mehr darin, ihrer Sicht der Welt in Bildern Ausdruck zu verleihen. Modotti war immer am "glücklichsten, wenn sie sich unmittelbar um die Menschen kümmern konnte". Das war für sie Kommunismus. Wie wenig diese Definition der Realität entsprach, hatte sie womöglich zu lange nicht wahrhaben wollen.

Patricia Albers gibt sich Mühe, das Bild einer bemerkenswerten Frau in ihrer Zeit zu zeichnen. Doch überschreitet sie dabei in ihrer Detailverliebtheit immer wieder die Grenzen zur Weitschweifigkeit des Romans. Sie versucht, eine anschauliche und bunte Geschichte über das Leben der Tina Modotti zu schreiben und dekoriert sie mit zahlreichen, zweifellos mühsam ausfindig gemachten Originalzitaten. Vielleicht hätte sie sich besser darauf beschränkt, den durchaus eindrucksvollen O-Tönen eine systematische Ordnung zu geben und erläuternde Darstellungen nur als inhaltliche Ergänzung hinzuzufügen.

Patricia Albers, Schatten, Feuer, Schnee. Das Leben der Tina Modotti, List, München 2000. 544 S., 48,- DM.

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