Vor einem halben Jahrhundert schrieb Rudolf Augstein im Spiegel: „Die neue deutsche Armee wurde nicht gegründet, um den Bonner Staat zu schützen, sondern der neue Staat wurde gegründet, um eine Armee gegen die Sowjets ins Feld zu stellen …“
Die Sowjets gibt es nicht mehr. Inzwischen aber – jedenfalls seit vergangenen Freitag – frisst die deutsche Armee den Staat auf, den zu schützen sie vorgab. Am 14. Januar marschierten in Hannover 250 Soldaten der 1. Panzerdivision in voller Uniform in das Plenum des niedersächsischen Landtags und nahmen die Plätze der frei gewählten Parlamentarier ein. Diese zogen sich widerstandslos auf die Zuschauertribüne zurück. All dies geschah auf Einladung des Parlamentspräsidenten Hermann Dinkla (CDU).
Unmöglich wäre so etwas in alten Demokratien wie Großbritannien und Frankreich gewesen. Und selbst bei uns unter Kaiser Wilhelm hätte niemals eine Kompanie Soldaten in den Reichstag einmarschieren können. Das wäre auch nicht in der Volkskammer der DDR möglich gewesen – ein unpassender Vergleich allerdings, da die Soldaten der Volksarmee nie in einen Krieg zogen.
Die Besetzung vergangene Woche dagegen diente der Verabschiedung der Soldaten zum Kriegseinsatz am Hindukusch durch den Bundesverteidigungsminister höchstselbst. „Das sollte in allen Bundesländern Schule machen“, forderte Karl-Theodor zu Guttenberg, der sich mehr und mehr zum Freiherrn Bonaparte erhebt, am Rednerpult der gewählten Abgeordneten.
Schule machen? Am Freitag kommender Woche wird der Bundestag in Berlin das Afghanistan-Mandat erneut verlängern. Beim letzten Mal, im Februar 2010, zeigten die Abgeordneten der Linken auf Pappschildern die Namen der Opfer des Bundeswehr-Angriffs von Kunduz am 4. September 2009. Während der mutmaßliche Haupttäter, Oberst Georg Klein, noch immer in der Bundeswehr tätig ist, wurden die Abgeordneten, die still der Opfer gedachten, vom Bundestagstagspräsidenten Norbert Lammert aus dem Plenum geworfen. Wird er die Würde des Parlaments wahren, wenn nun die Bundeswehr auch in den Bundestag eindringen sollte?
In Hannover kämpften die Linken nicht um ihre Plätze im Plenum, nahmen aber auch die ihnen zugewiesenen Plätze auf der Zuschauertribüne nicht ein. Nur einige stellten sich vor dem Landtag auf mit einem Transparent „Friedenstauben statt Soldaten nach Afghanistan“, das sie sich widerstandslos von gegen sie eingesetzten Feldjägern und Polizisten abnehmen ließen. Auch im Ältestenrat des Parlaments haben sie bisher nicht gegen den Einmarsch der Bundeswehr interveniert. „Dieses Land ist ein Bundeswehrland“, hatte schon der heutige Bundespräsident und damalige Ministerpräsident Christian Wulff verkündet.
Seit dem Massaker von Kunduz im September 2009 warnen uns die Innenminister – ob damals Wolfgang Schäuble oder jetzt Thomas de Maizière – vermehrt vor Terroranschlägen in unserem Land. Wir alle sind in Gefahr, solange die Bundeswehr am Hindukusch tätig ist.
Und diese Gefahr wird nicht kleiner, wenn die deutschen Soldaten direkt in unseren Volksvertretungen feierlich zum Kämpfen und zum Töten nach Afghanistan verabschiedet werden.
Kommentare 19
... erschossener Soldat, erst bei Reinigung der Flinte, dann er war ein anderer Soldat ( Unfall ), Briefe geöffnet, keiner war`s, dann Gorch Fock, - Eltern der verstorbenen Kadettin zeigen Bundeswehr an... ganz schön was los in der Truppe - aber alles im Griff, wie immer !
Je mehr Afghanen wir töten, je mehr wir gegen die Muslime sticheln, desto unversöhnlicher wird und desto länger bleibt uns ein Feind.
Die feindfreie Zeit in den 90ern, war für Konservative orientierungslos genug. Wenn wir nicht mit Wiedervereinigung beschäftigt gewesen wären, wäre es unerträglich gewesen, und vermutlich hätte sich ein Flieger in einen der Frankfurter Deutsch Bank-Towers verirrt - hätten wir zuerst gedacht, bis dann der zweite Turm auch getroffen worden wäre.
Der Feind von außen bringt Einigkeit im Innern. Ein Sozial-Reflex, den jeder noch so Liberale oder Linke kennt und dem jeder Konservative gerne nachgibt.
man kann ja zu afghanistan stehen wie man will... aber was hier für ne weltensicht verbreitet wird, ist einfach nur gefährlich.
in dem kommentar steht nichts weiter als "wir müssen nur genug vor den anderen kuschen, dann lassen sie uns in ruhe. hoffentlich."
sind wir dann mal raus aus afghanistan, dann haben wie taliban keinen grund mehr uns zu terrorisieren. außer natürlich weil unsere frauen kein kopftuch tragen. aber da sind wir ja sicher auch flexibel...
und wenn wir schon dabei sind, noch viel sicherer könnte es werden, wenn wir die scharia einführen.
das rausschmeissen der evangelischen und katholischen kirche aus unserem staate könnte gar lobende worte seitens der taliban generieren. dann stehen wir aber sowas von auf der sicheren seite!
was hier in letzter zeit für nen schrott verbreitet wird, passt auf keine kuhhaut. aber hey, sarrazin ist böse und alle anderen wollen uns nur gutes.
mfg
mh
Und damit wir auch zukünftig unverklemmt in Wirtschaftskriege ziehen dürfen, wird weiterhin der Mythos des gerechten "Engagements" in Afghanistan wiedergekäut.
Sorry, aber den größten Schrott finde ich in Ihren Zeilen.
Erst mal nachdenken und dann lospoltern:
- Welches Ziel hat die Bundeswehr? Sicher nicht, um in Afghanistan Wirtschaftsinteressen durchzusetzen (wie ja Ex-Köhler ausgeplaudert hat).
- Haben die Taliban sich je die Eroberung der westlichen Welt auf die Fahnen geschrieben?
- Werden Systementwicklungen von außen vollzogen oder sind es vorrrangig interne Prozesse?
Ich ende an dieser Stelle und hoffe, verstanden worden zu sein.
MfG
Nietzsche 2011
... nun lasst sie doch ziehen ...
natürlich liegt dem internationalem engagement eines staates immer das nationale interesse zu grunde. wer das leugnet, leugnet die realität.. in der das wirtschaftliche interesse immer ein teil der absicht prägt, mit der ein staat oder auch eine einzelperson handelt.
die taliban stören sich an der westliche lebensart. es gibt kein anzeichen dafür, dass extremisten, die nicht zwangläufig taliban sein müssen, sich damit begnügen uns zum abzug aus afghanistan zu bringen. es gab auch schon forderungen darüber hinaus und dieses kuschende befördert höchstens noch die forderungen.
wenn ich ne armee nehme und ein anderes land platt walze, dann ist der einflussfaktor definitiv äußerlich. wenn ein extremist ne kofferbombe verschickt und wir daraufhin die sicherheitsausgaben verzehnfachen und an anderer stelle sparen müssen, was entsprechend gesellschaftliche folgen hat, dann ist der einflussfaktor ebenfalls äußerlich.
zum glück endete es hier.
mfg
mh
Was den Präsidenten des Hohen Hauses bewogen hat, den Plenarsaal den Soldaten zur Verfügung zu stellen, ist letztendlich nebensächlich. Festzustellen bleibt ein Gehorsam eines Landesparlamentes gegenüber der Bundeswehr, ein Aufgeben jeden souveränen Handelns eines gewählten Landtages. Da Abgeordnete ja nur ihrem Gewissen gegenüber verantwortlich sind, zeugt dieses Verhalten eben auch davon, wie das Gewissen der überwiegenden Zahl der niedersächsischen Landtagsabgeordneten aussieht. Dass die an Bord der "Gorch Fock" zu Tode gekommene Kadettin aus ihrem Bundesland kam, was juckt es die gut bezahlten Volksverdreher. Da die nächsten Wahlen in Niedersachsen nicht unmittelbar anstehen, wird bis dahin Gras über dieses peinliche Verhalten gewachsen sein und viele werden auch in der nächsten Legislaturperiode ihre üppigen Diäten einstreichen.
Wessen Brot ich ess, dessen Lied ich sing..... immer wieder!
...für mehr Lebensfeude in Afghanistan...
Kann es nicht einfach sein, dass die niedersächsischen MdL unwissentlich soetwas wie Rückrad bewiesen haben? Sie haben tatsächlich billigste Realsatire in Medienform (die arme Kadettin, die zu tode gestürzt ist und was de facto niemanden außer die direkt Betroffenen etwas angeht) ignoriert und paralell ein erwachsenes Verhältnis zum Militär bewiesen. Mit Verlaub, aber das ist genau so unfreiwillig komisch, wie die werte Linkspartei die sich so heroenhaft der Kommunismus-Stunde im Bundestag gestellt und durch Abwesenheit geglänzt hat. Ich korrigiere: Zweiteres war einfach nur traurig und dem Klischee der charakterlosen Linken entsprechend. in Ersteres kann man zumindest im Nebensatz noch positive Eigenschaften hineinlesen.
AN DIE REDAKTION: Am 15.01. hatte ich einen Beitrag zu oben verhandelten Fakt (Bundeswehr im niedersächsischen Landtag) eingestellt:
www.freitag.de/community/blogs/jayne/festakt-mit-symbolkraft
Im Sinne der Vernetzung und der auch von der Redaktion gewollten Kooperation zwischen Redaktion und Community hätte ich es für angesagt und produktiv empfunden, mittels Link auch auf diesen Beitrag zu verweisen. Ich bin nun verunsichert, wie es mit der redaktionellen Wertschätzung eigentlich wirklich bestellt ist, denn diese Unaufmerksamkeit (oder Ignoranz?) begegnet mir nicht das erste Mal ...
>>>„Die neue deutsche Armee wurde nicht gegründet, um den Bonner Staat zu schützen, sondern der neue Staat wurde gegründet, um eine Armee gegen die Sowjets ins Feld zu stellen …“
Heute müsste Augstein Vater schreiben:
Die deutsche Armee rechtfertig ihre Existenz durch Präsenz, Aufbauhilfe und Kampfeinsätze in solchen Ländern, an denen nationale und internationale Konzerne Interessen haben.
Dank an Otto Köhler für seine kenntnisreichen und klarsichtigen Artikel.
Bitte wieder mehr davon im FREITAG.
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Kein Projekt nirgends
Tom
@ Freitag-Redaktion
Deutlich mehr Otto Köhler als bisher im erneuerten Freitag würde auch mir sehr gut gefallen.
Zynismus pur, sich zu erregen über den zwar geschmacklosen Besuch von Soldaten in einem Landtag, aber zugleich die Soldaten der DDR schön zu reden, die nie in einen Krieg zogen, sich aber sehr wohl "im Krieg" gegen die eigene Bevölkerung befanden.
Der Terror, der hier zwar für möglich gehalten wird, fand dort täglich real statt.
Guttenberg will eben nicht nur Show in RTL II, SAT.1 und BILD, sondern auch in den Parlamenten.
Für mich ist er längst über seinen Zenit hinaus und auf absteigendem Ast.
Es ist also nicht ein Problem der BRD, sondern entspringt einem mediengeilen Verteidigungsminister, der nichts kann, außer eine Riesenshow abzuziehen. Aber jede Show hat ein Ende.
Deshalb sollte man die Protestaktionen der LINKEN nicht all zusehr überbewerten. Denn auch das ist eine Form von Show.
Gut formuliert.
Auch von mir Dank für den Artikel - ich wünschte, diese Sichtweise würde sich durchsetzen.
Werter mborchardt, Sie schreiben: "Kann es nicht einfach sein, dass die niedersächsischen MdL unwissentlich soetwas wie Rückrad bewiesen haben?"
Ich vermute, Sie meinten mit dem "Rückrad" kein Fahrrad, das rückwärts gefahren wird, sondern das Körperteil, das den aufrechten Gang ermöglicht: Das Rückgrat.
https://secure.wikimedia.org/wikipedia/de/wiki/R%C3%BCckgrat
Zum Glück waren die 90er ja nicht völlig feindfrei.
http://wissen.spiegel.de/wissen/titel/SP/1991/37/312/titel.jpg
@Otto Köhler
Wahrlich, wer die Abschaffung fr Inneren Fühung in der Bundeswehr im Schilde führt, überhöht diese überdehend, indem er Soldaten/innen im vollen Wichs ihrer Uniform per se zu "So als ob"- gewählen Abgeordneten/innen macht.
Volle Uniform, hört sich weniger nach vollem Sinn im blankgezogenen Wichs, denn eher nach vollen Hosen an.
Rudolf Augstein wußte schon immer zu Lebzeiten als Sturmgeschütz der Demokratie manchen Treffer in politischen Trümmerlandschaften gezielt zu platzieren, um dann, ganz das Gegenteil, bei Günstiger Gelegenheit "GG", dem Kanzler Helmut Kohl in Schwarzen Balken Lettern ins Leere von Schlagzeilen zu rufen, ohne ein Echo zu kriegen
"Glückwunsch Kanzler" .
Im übrigen ist jetzt nach Vorliegen des US- Prüfungsberichts zu den Ursachen der Finanzkrise klar, man kann nicht einer FED/EZB Politik der unbegrenzenten Ausweitung der Geldmengen das Wort reden und die monatlich M 3 Tat folgen lassen und gleichzeitig jahrzehtelange miltärische Abenteuer ohne Aussicht auf deren Ende riskieren.
Das geht auf keine Geldhaut.
Das ist, abgesehen von der Menschen- und Politikverachtung, in jeder Hinsicht kontraproduktiv.
Wurde doch die brachiale Deregulierung der globalen, regionalen, lokalen Finanzmärkte mit angschlossenen Gelddruckmaschinen der Noten- und Zentralbanken der G 20 Staaten ersonnen, erfunden und erstunken "pecunia non olet" , um Finanzkrieg nährend, an der konventionellen Kriege Statt, zu führen!, oder?
siehe:
www.freitag.de/community/blogs/joachim-petrick/us-bericht-finanzkrise-spart-militaerische-abenteuer-als-ursache-aus
28.01.2011 | 04:07
US-Bericht Finanzkrise spart militärische Abenteuer als Ursache aus
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US-Bericht zur Finanzkrise spart militärische Abenteuer seit Nine Eleven als Ursache aus
Vermeidbare Pleiten Pannen
Der Rauch über der Weltfinanzkrise lichtet sich, gibt die Trümmerlandschaft der Finanzwelt frei
Ein Untersuchungsausschuss des US-Kongresses, von Parteigängern Demokraten und Republikaner im Verhältnis 10 : 4 besetzt, weist Politikern und Finanzmanagern gleichermaßen die Schuld an der Finanzkrise 2008 zu.
"Wir kommen zu dem Schluss, dass diese Finanzkrise vermeidbar gewesen wäre",
@ForenBoy
Wie soll das gehen, Fortsetzung des Kriegsmandats in Afghanistan und trotzdem bleibt die Show die gleiche, ohne dass Wählerstimmen wie Wasser auf die Mühlen der Opposition, darunter der Linkspartei als eindeutiger Gegner des Afghanistan Krieges, fließen?
wie soll das gehen?, wenn ja?, warum denn überhaupt?