Jazz ist nicht Musik allein

Musik Die Hände des Jazzpianisten Fred Hersch stehen im Blickpunkt eines Films über den 53-jährigen Klanggestalters.

Da sind diese Hände mit den langen Fingern: kraftvoll und geschmeidig sind sie, ständig in Bewegung, wie bebend vor Energie. Vorsichtig hebt Fred Hersch sie von den Tasten, lässt sie kurz über ihnen schweben, und dann senkt er sie in einem Stakkato, aus dem einzelne Finger ausscheren, kleine Muster dagegen setzen, bis der Rhythmus sich in eine samtige Klangfläche, das Plätschern einer Melodie verwandelt hat. Die Hände bleiben in Bewegung, auch wenn kein Klavier in der Nähe ist – Fred Hersch nutzt sie dann, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, eine Frage in den rechten Kontext zu setzen, einen Satz zu unterstreichen.

Die Hände des Jazzpianisten Fred Hersch spielen eine hervorgehobene Nebenrolle in Let yourself go, einer DVD-Produktion von Katja Duregger. Immer wieder stehen sie im Blickpunkt, rahmen das Bild, verleihen ihm Bewegung und Dynamik und eine flatterhafte Leichtigkeit. Let yourself go erzählt die Geschichte des 53 Jahre alten Pianisten, eines einstigen Wunderkindes aus Cincinnati. Hersch kam erst am College mit dem Jazz in Berührung, also relativ spät, und gilt heute unter Kennern als herausragender Instrumentalist des kleinformatigen Jazz.

Hersch ist ein entfernter Nachlassverwalter von Bill Evans, wie jener ein Meister des Zusammenspiels, ein Klanggestalter, weniger interessiert an der formelhaften Jazzgrammatik, die an den Hochschulen gelehrt wird und schon gar nicht an der Zurschaustellung seines technischen Könnens, als vielmehr an der Strukturierung und Tönung des Klanges im Ensemble. Hersch ist ein sensibler Teamplayer, der sich in seinem Spiel nicht mit dem Offensichtlichen zufrieden gibt, sondern in tieferen Schichten sucht und Lösungen findet, die in eine neue Richtung weisen. Mit seinem wandlungsfähigen, facettenreichen Spiel bringt er nicht nur die eigene Kunst, sondern auch die seiner Mitmusiker zum Strahlen. Ein kompletter Musiker, der zahlreiche Solo-CDs veröffentlicht hat.

Seit 1986 lebt Hersch mit der Diagnose HIV-positiv, acht Jahre später, als er für einen Grammy nominiert war, bekannte er sich, als erster prominenter Musiker in der Männerwelt Jazz, zu seiner Infektion und Homosexualität. Für die Organisation „Classical Action – Performing Arts against AIDS“ produzierte er vier CDs mit prominenten Kollegen wie Gary Burton, Lee Konitz oder Diana Krall und spielte mehr als 100.000 Dollar ein.

Doch 20 Jahre Medikation mit täglich 20 verschiedenen Pillen kosten ihn nicht nur 45.000 Dollar im Jahr, sie können auch nicht verhindern, dass Herschs angegriffenes Immunsystem häufiger unter Druck gerät. Nach einer Lungenentzündung im vergangenen Jahr lag Hersch wochenlang im Koma, erholte sich dann wieder. Seit etwa drei Jahren ist er an AIDS erkrankt, und sein Tatendrang ist intakt – noch.

In fünf Modulen – einem knapp halbstündigen Hauptfilm, der den Klangkünstler Hersch vorstellt, drei Abschnitten zwischen 15 und 20 Minuten, die sich Hersch als Musiker, als Jazzlehrer und als HIV-Infiziertem widmen, und einer Zusammenstellung von Live-Mitschnitten – gibt Katja Duregger Einblicke in den Alltag eines Musikers, der vor allem in seine Hände einen großen Teil seiner Energien steckt. Und der seine Musik als Medizin gegen die vorrückende Last seiner Erkrankung lebt.


Let yourself go Regie: Katja Duregger. Erhältlich unter www.aha-dvd.com.

Auf CD: Fred Hersch Personal Favorites (Chesky)

Fred Hersch Trio: In Amsterdam: Live at the Bimhuis (Palmetto) sowie Night & the Music (Palmetto)

Fred Hersch Pocket Orchestra: Live at Jazz Standard (Sunnyside)

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