Jesusland

Linksbündig Wieviel Kulturkriegspopulismus verträgt eine Demokratie?

Wolf Blitzer, Anchormann des amerikanischen Newssenders CNN, war eine leicht bedrückte Stimmung während der zurückliegenden Wahlnacht anzumerken. Nur für ein paar Minuten wich seine Anspannung einer spürbaren Erleichterung. Erfreut stellte der Nachrichten-Veteran fest, dass die amerikanische Demokratie entgegen allen Ängsten im Vorfeld doch wieder funktioniere. Die Wahlbeteiligung sei so groß wie noch nie, und die Wähler stünden bis zu neun Stunden in der Schlange, um ihr demokratisches Recht wahrzunehmen. Doch von der Wahl enttäuschte Liberale sahen das anders. Warum hatte man in den von Kerry-Wählern dominierten Ohio-Bezirken versäumt, genug Wahlmaschinen aufzustellen und so diese exorbitanten Wartezeiten verursacht?

Nun stellte die Welt erleichtert fest, dass bei den US-Wahlen, abgesehen von einigen Unregelmäßigkeiten, glücklicherweise nicht von Wahlbetrug zu sprechen sei. Der Schock dieser Wahlen lag nicht in ihrem Ablauf, sondern darin, dass die Amerikaner aufgrund religiöser Werte einen Präsidenten wiedergewählt haben, dessen Regierung auf allen politischen Ebenen eine erstaunliche Inkompetenz an den Tag gelegt hat. Verantwortlich für dieses Debakel zeichnen sich nicht zuletzt die amerikanischen Medien. MSNBC-Frontmann Chris Matthews hingegen suchte die Gründe in der Unzulänglichkeit der eigenen Kriegsberichterstattung: "Vor Beginn des Irakkriegs konnten wir nicht kritisch berichten, weil uns falsche Informationen gegeben wurden; während des Krieges konnten wir es nicht, weil das unpatriotisch gewesen wäre; und nach dem offiziellen Kriegsende durften wir das auch nicht, weil es sich dabei um Wahlbeeinflussung gehandelt hätte." So ein Dilemma, da hat man vier Jahre lang Rücksicht auf die armen regierenden Republikaner genommen und wundert sich jetzt, dass die Amerikaner deren populistischer Politik der gezielten Fehlinformation auf den Leim gegangen sind.

George W. Bush hat seinem Krieg gegen den radikalislamischen Jihad einen christliche Jihad im ländlichen Amerika zur Seite gestellt. Wer sich wunderte, warum der Präsident in seiner Kampagne so wenig über Politik redete, der wurde jetzt aufgeklärt: Es war nicht nötig. Die erfolgreichere Strategie war es, die soziopolitischen Bedrohungen von Terrorismus, Arbeitslosigkeit, löchriger Krankenversicherung und wachsender Verschuldung kurzzuschließen und sie in die kulturellen Fragen von Homo-Ehe und Abtreibung zu übersetzen. Zudem machten die Republikaner einfach die bessere Schmutzarbeit. Die Bush-Kampagne, die von einer Vielzahl von Büchern, Fernsehsendungen und Radioshows in ihrer hasserfüllten Rhetorik noch übertrumpft wurde, konnte so die Demokraten erfolgreich als schwule Terroristen in Flipflop-Sandalen stigmatisieren. Die ländliche Bevölkerung der Vereinigten Staaten aß das den republikanischen Strategen wie Halloweennaschereien aus der Hand. Die größtenteils urbane Bevölkerung der Ost- und Westküsten jedoch fühlte sich überrumpelt, wenn nicht gar um ihre von Toleranz geprägten Werte betrogen. In den Tagen nach der Wahl herrschte in der sonst ausgesprochen lebendigen New Yorker U-Bahn eine ungewöhnlich apathische Stille. Unter Intellektuellen macht Richard Sennetts Wort vom "sanften Faschismus" die Runde, und im Internet kursieren neue Amerikalandkarten: Auf diesen werden die demokratischen Küstenstaaten den "United States of Canada" zugeschlagen. Der Rest ist "Jesusland".

Unterdessen hat der republikanische Rechtspopulismus mithilfe religiöser Fundamentalisten die USA übernommen und zu einer Art Einparteienstaat gemacht. Mit der Kontrolle der Präsidentschaft und des Kongresses sowie der voraussichtlichen Ernennung von drei bis vier Richtern im Supreme Court, werden die Bushies das Geschick der amerikanischen Kultur für die nächsten dreißig Jahre nachhaltig beeinflussen. Auch ohne einen massiven Wahlbetrug könnte sich dabei das Vertrauen in die Demokratie der Vereinigten Staaten erschöpfen. Und während sich die amerikanischen Demokraten die Wunden lecken, verschwendet das republikanische Establishment keine Zeit. Gerade mal zwei Stunden nach der Kerry-Niederlage wurden auf dem Bibelkanal FOX-News siegesgewiss die Messer gegen die möglicherweise nächste Präsidentschaftskandidatin gewetzt. Hillary Clinton, zwar keine schwule Terroristin, sieht verdammt nach einer karrieristischen Feministin aus, die die Berufung der Mutterschaft nicht schätzt. Der Kulturkrieg hat gerade erst begonnen.


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