Der 33-jährige Oklahoma-Attentäter Timothy McVeigh, Golfkriegsveteran, Schusswaffennarr und Rechtsextremist, soll am 16. Mai im Bundesgefängnis von Terre Haute in Indiana hingerichtet werden. Angehörige der 168 Opfer, von denen angeblich viele zuschauen wollen (die meisten im Rahmen einer verschlüsselten "Closed Circuit"-Schaltung), erhoffen sich wohl inneren Frieden und Genugtuung, wenn das "Monster" mit dem Leben bezahlt. Erleben werden sie aber nur die bürokratische Vollstreckung eines Richterspruches gegen einen Mann, der Märtyrer sein will im Kampf gegen den amerikanischen "Polizeistaat", und deswegen sein Berufungsverfahren gestoppt hat. Aus McVeighs paranoider Sicht und nach Überzeugung versprengter Mitkämpfer bewahrheitet sich mit der Gi
Giftspritze die These, dass "der Staat" seine Gegner schonungslos aus dem Weg schaffe.Im Mittelalter reisten Schaulustige meilenweit, um Hinrichtungen und den sie begleitenden Festivitäten beizuwohnen. Das englische Wort für Galgen, gallows, ist verwandt mit gala, zu deutsch: Festlichkeit. Die Inquisition verbrannte Ketzer in aller Öffentlichkeit. Im sprichwörtlichen "Wilden Westen" knüpfte der Sheriff Pferdediebe vor versammeltem Dorf auf. Jetzt machen Fernsehsender und Internet-Firmen ein "Recht" geltend, McVeighs Exekution zu übertragen. Jemanden sterben sehen: Das verspricht Nervenkitzel und Spannung und wäre ultimatives Reality-TV. Kann doch kaum einer wegschauen, kommt er auf der Autobahn an einem Unfall vorbei. Das US-Justizministerium hat den Hinrichtungs-Voyeuren allerdings eine deutliche Absage erteilt.Die Tage des Zuschauer-Volksfestes beim legalen Töten sind lange vorbei; bestenfalls können die Fans vor den Gefängnistoren trinken und feiern. Moderne Hinrichtungen sind eingeübte Vollzugsmaßnahmen hinter Stahl und Beton, mit denen der Staat seine Macht demonstriert. Die Ausübenden aber sind besorgt, dass "das Volk" letztendlich doch keine Nerven hat für das ausgetüftelte Töten. Zum letzten Mal wurde in den USA - in einem Dorf im Bundesstaat Louisiana - Mitte der vierziger Jahre ein Mörder öffentlich hingerichtet. In den meisten Staaten hörten die öffentlichen Hinrichtungen bereits Ende des 19. Jahrhunderts auf. Heutzutage schauen außer den Vollzugsbeamten nur ein paar Journalisten zu (bei McVeigh angeblich auch der Schriftsteller Gore Vidal, der mit dessen Kritik an der Übermacht der Regierung sympathisiert, obwohl er die Tat selber verurteilt), mehrere ausgesuchte Vertreter der "Öffentlichkeit", gelegentlich Angehörige des Mordopfers und des Todeshäftlings. Kameras sind strikt verboten, die Namen der Henker bleiben geheim.Wie inzwischen fast alle Todeshäftlinge soll McVeigh "human" mit der Giftspritze ums Leben gebracht werden. Es wird wohl alles seine Ordnung haben: McVeigh wartet in einer Zelle neben dem Hinrichtungsraum auf seine Todesstunde und nimmt seine letzte Mahlzeit zu sich, Wärter führen ihn dann in den Raum und schnallen ihn fest. Ein "Techniker" steckt die Nadel in eine Vene an McVeighs Arm, und McVeigh hat Gelegenheit, ein "letztes Wort" zu sprechen. Danach fließen die Medikamente und das Gift, die Timothy McVeigh "einschlafen" lassen und schließlich sein Herz zum Stillstand bringen. Der "medizinische" Vorgang maskiert eine Gewalttat, bei der ein wehrloser Mensch getötet wird. Der Verurteilte müsse nicht leiden, sagen die Befürworter des "humanen" Vollzugs, die Giftspritze sei auch pannenloser als der elektrische Stuhl und die Gaskammer. Und der Staat legt größten Wert auf einen reibungslosen Ablauf.Der Öffentlichkeit soll McVeighs Tod helfen, einen "Schlussstrich" zu ziehen, erklärte Präsident George W. Bushs Pressesprecher. Ähnlich wie McVeigh seinen Feind, die "freiheitsbedrohende" Regierung, nur mehr durch Morden bekämpfen wollte, meint die amerikanische Gesellschaft, den Überzeugungstäter mit dem Tod bestrafen zu müssen. Die aus aller Welt nach Terre Haute gereisten Medienvertreter (erwartet werden etwa eintausend) bekommen freilich nicht viel mit von der Hinrichtung. Sie werden mit Informationskrümeln abgespeist, etwa, was McVeigh gegessen hat, ob er "gefasst" war, ob er in der Nacht vor der Hinrichtung geschlafen hat, und wer hinter der Glaswand alles dabei gewesen ist. Aber auch die Zuschauer selber sehen wenig. Der zur Bewegungslosigkeit festgebundene Massenmörder atmet, dann atmet er nicht mehr. Schluss. Urteil vollstreckt. Wie schon mehr als 700 Mal seit der Wiedereinführung der Todesstrafe im Jahr 1976. 85 Menschen wurden vergangenes Jahr hingerichtet, 98 im Jahr davor.Erinnerungen: Donnerstag, 3. März 1994 im Hinrichtungsgefängnis von Virginia. In dem Örtchen Jarratt, das selbst zu klein ist für einen McDonalds. Hinrichtungstermin für Johnny Watkins. Ich hatte seinen "Fall" (zwei Raubmorde) gut zwei Jahre lang für eine Artikelserie in der Züricher Wochenzeitung (WOZ) verfolgt und Johnny mehrmals besucht. Eine Stunde vor Mitternacht soll Johnny sterben. Vier Journalisten, sechs "offizielle Zeugen" und Vollzugsbeamte dürfen zusehen. Für Wärter und Prominente aus dem Justizministerium von Virginia ist ein kaltes Büffet mit Kuchen angerichtet. Damals tötete Virginia noch mit Strom.Kurz vor elf testet der Elektriker den elektrischen Stuhl. Ein leises Klicken. Alles funktioniert. Das "Hinrichtungsteam" führt Johnny Watkins in den Hinrichtungsraum. Er setzt sich auf den elektrischen Stuhl, die Henker zerren Gürtel fest, befestigen den Lederhelm mit der Elektrode auf dem Kopf und eine Elektrode am Bein. Ein breiter Riemen wird vor Johnnys Augen gebunden. Er sitzt allein in der Dunkelheit und kann sich nicht mehr bewegen. Der erste Stromschlag. Ein paar Minuten später checkt ein Arzt den Herzton. Nichts mehr. Johnny Watkins sitzt da wie vorher. Aber jetzt ist er tot. Dutzende Beamte haben mitgewirkt, aber niemand muss die persönliche Verantwortung für das Töten übernehmen. Jeder hat nur einen kleinen Teil beigetragen. Eine Woche vor der Hinrichtung hatte Watkins über seine Henker gesprochen. "Sie können kein Gewissen haben, wenn sie jemanden so geplant töten. Ich würde das nie fertig bringen".Die meisten amerikanischen Todesurteile werden in Texas vollstreckt. Larry Fitzgerald hat dort schon viele Menschen sterben sehen. Er ist der Pressesprecher des Hinrichtungsgefängnisses von Huntsville. In Texas tötet das "Hinrichtungsteam" mit der Giftspritze; der Verurteilte stirbt in dem fensterlosen und klaustrophobisch engen Todestrakt mit seinen weiß gestrichenen Gitterstäben. Fitzgerald macht seinen Job, hat nicht viel übrig für menschenrechtsbewegte Reporter, vor allem europäische. Todesstrafenenthusiast ist er anscheinend aber nicht. Bei einer Hinrichtung seien "alle" die Opfer, sagt Fitzgerald. Das Geschwätz, die Angehörigen der Mordopfer fänden dadurch "Frieden", sei eben doch nur unsinniges Geschwätz.Fitzgerald hat die Hingerichteten alle gekannt und manche wohl auch gemocht. In seinem Büro gegenüber dem Gefängnis führt er genau Buch über die "letzten Worte" der Todeshäftlinge. Die meisten scheinen sich mit ihrem Schicksal abgefunden zu haben. "Lets do it" oder "I´m ready", sagen viele am Schluss, bitten um Vergebung für ihre Tat, und bekennen ein Gottvertrauen. Sie nehmen Abschied von den Angehörigen, in der Hoffnung, sie "im Jenseits" wieder zu sehen. Nur selten, dass jemand auf ein letztes Wort verzichtet. Und noch seltener, dass jemand seine Unschuld beteuert. Fitzgerald liest die Statements dann den Reportern vor, genauso wie der Pressesprecher in Terre Haute McVeighs letzte Aussage weiterleiten wird.Engagierte Todesstrafengegner haben es nicht leicht mit McVeighs Hinrichtung. Da scheint einer zu sein, der so viele Menschen umgebracht hat, und diese Tat noch immer rechtfertigt. Nicht einmal die toten Kinder in der Tagesstätte des Regierungsgebäudes tun ihm anscheinend leid. Mit überwältigender Mehrheit befürworten die Amerikaner die Hinrichtung, obwohl die Befürwortung der Todesstrafe in den vergangenen Jahren nachgelassen hat. Nur zu perfekt spielt McVeigh seine Rolle als Luzifer in Menschengestalt. Den Befürwortern der Todesstrafe, angefangen vom Mann im Weißen Haus, kommt McVeighs Hinrichtung gerade recht.
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