Keine Alternative

Linksbündig Semantische Okkupationen oder wie es gelingen konnte, das Vokabular des Internationalismus für das Lob des Freihandels zu besetzen

Zu den Montagsdemonstrationen treibt die Menschen offenbar keine verbissene Pflicht, sondern ein gutes Gefühl: Das Gefühl einer demokratischen Chance. Die Leute sind freundlich, sie kennen sich aus Kirchen oder Kleingärten. Ihr ungebrochenes Selbstbewusstsein beruht auf einem Modell, das friedlich zum Sturz eines Staates beitrug. Wieder ist "Wir sind das Volk" die Parole, die den Politikern Sorge macht. Denn es geht an das "Eingemachte".

Das "Eingemachte" ist eine Merkwürdigkeit, die sich bei Politikern, aber auch bei Geistesarbeitern zeigt - konservierte Haltungen aus bestimmten Lebenslagen dienen ihnen als Mittel der intellektuellen Selbstverteidigung. Solche "eingemachten" Haltungen entlasten und ermöglichen, dass Handeln im Alltag nicht permanent infrage gestellt wird - ohne sie kann niemand überleben. Doch sie haben einen Nachteil - sie sind steril, und deshalb wird es kritisch, wenn sie zu Versteifungen führen wie zum Beispiel TINA.

TINA - "There Is No Alternative" - ist eine Erfindung der britischen Premierministerin Thatcher, die damit ihre neokonservative Politik der Deregulierungen, des Abbaus staatlicher Leistungen im Sozialbereich, der Beschränkungen gewerkschaftlicher Tarifhoheit, der Einführung von Niedriglohnbereichen und der Steuerbefreiung für Wohlhabende und Konzerne verkaufte. Diese neokonservative Agenda wurde von ihren Nachfolgern übernommen und lautete bei dem New Labour-Mann Tony Blair: "Es gibt keine linke oder rechte, sondern nur gute oder schlechte Wirtschaftspolitik." New Labour benutzte Begriffe, die nach Emanzipation und Menschenwürde klangen: Es ging nicht um Abbau von staatlichen Regeln und Sozialleistungen, sondern um Eigenverantwortung. Der Staat wurde zum bürokratischen Monstrum, das die Menschen am Gängelband führt, und Entstaatlichungen wurden als Befreiungen gefeiert. Man sprach nicht mehr von Einschnitten, sondern von Risiken und Chancen und hatte bald die Herzen vieler Intellektueller erobert.

Das TINA der "eisernen Lady" war ein Diktat, die soziologischen Stichwortgeber der New Labour machten daraus einen Emanzipationsakt. Wie konnte sich eine Generation so unkritisch auf ein neokonservatives Ideal einlassen? Der Lösung dieses intellektuellen Rätsels am nächsten dürfte wohl Hermann Scheer gekommen sein: Ein festgefügter Ökonomismus habe zur Überzeugung geführt, dass jede Infragestellung des Marktes auf Donquichotterie hinauslaufe, weil man die Finanzmärkte und die transnationalen Konzerne national nicht mehr steuern könne. In diesem Zusammenhang stehe auch der Glaube an die internationalen Verträge und die feste Vorstellung, dass der für unumkehrbar gehaltene Globalisierungsprozess nur noch auf globaler Ebene gestaltet werden könne. Dazu noch besaß die "Überwindung des Nationalstaates, nationaler Engstirnigkeiten und Egoismen a priori bei den internationalistisch ausgerichteten sozialdemokratischen Parteien, aber auch bei ›Dritte Welt‹- und Umweltorganisationen einen psychologischen Bonus".

Der Begriff "Globalisierung" war aufgrund des Global 2000-Reports mit einem besonders hohen Identifikationswert versehen, und es wurde kaum bemerkt, wie diesem Identifikationsangebot die Parolen der Freihändler übergestülpt wurden: Die Schaffung der WTO durch den "neuen Demokraten" Clinton wurde von den Liberalen "mit einem antinationalen Vokabular begründet, das die Diktion des linken Internationalismus und des Engagements für die Entwicklungsländer übernahm". Das Ideal der Abschaffung des Staates und seine Ersetzung durch die Zivilgesellschaft wurde missbraucht - eine Umwertung der Werte, die sich heute als eine der erfolgreichsten "semantischen Okkupationen" darstellt, durch die die kritische Opposition nicht nur zum Schweigen gebracht, sondern sogar mit ins Boot geholt wurde.

Die Montagsdemonstranten sind von diesen konservierten Haltungen nicht belastet, wenn sie Gerechtigkeit fordern. Sie entstammen einer anderen, siegreichen Tradition und sind - hoffentlich - nicht so leicht in das TINA-Gefängnis zu sperren.


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