Ich hab mich grade zur Unperson gemacht. Ich hab´ denen gesagt, ich bin für den Krieg.« Die Lust an der Provokation war Wolfgang Hilbig anzusehen, als er vergangenen Donnerstag auf der Leipziger Buchmesse im kleinen Kreis einen Leseauftritt beschrieb. Meinungskonsense sind dem eigenwilligen Meuselwitzer ein Gräuel. »Der Typ muss weg« kotzt sich der Autor über den Schlächter Saddam Hussein aus. »Wo war denn die Friedensbewegung, als der die Kurden vergast hat?«. Die Runde ist sprachlos. Bestätigt nun die ostdeutsche Intelligenz ausgerechnet in Leipzig, in der Stadt der Montagsdemonstrationen, nachträglich die Geschichtsklitterei Angela Merkels, die Osteuropäer hätten gelernt, dass Diktatoren nur die Sprache der Gewalt ver
verstehen?Keineswegs. Wer wollte, konnte die Gegenstimmen hören in Leipzig. Istvan Eörsi, der alte ungarische Erzähler geißelte die »Erpressung« der freien Welt durch die USA. »Besser mit Fragen bombardieren als mit Raketen« rief Pawel Huelle, der junge polnische Autor. Und mit dem ihm eigenen, nüchternen Zorn konstatierte Christoph Hein die Errichtung einer Neuen Weltordnung, in der nur noch eine Macht bestimmt und die UNO »tot« ist. Doch die seltsame Ambivalenz der vier Messetage zwischen kalkulierbarer Empörung und verquaster Betroffenheit vermochten solche Wortmeldungen nicht aufzulösen.Kriegsmesse Leipzig. Kinderkreuzzug. In diesem Jahr blieb einem das bissige Wort, mit dem die potemkinsche Strategie der Veranstalter belacht wird, mit Schulklassen die leeren Messehallen zu füllen, im Halse stecken. Pünktlich zum Messebeginn sorgte auch noch eine amerikanische Weltkriegsbombe für Großalarm. Es scheint das Schicksal des heiteren Lesefestes zu sein, dass hier die Kultur auf den Prüfstand der Gewalt gestellt wird. Dass sie diesen Test bestanden hätte, kann man nicht behaupten. 1999 wollte sie sich die gute Laune über die schönen neuen Glashallen nicht nehmen lassen. Der erste Krieg des neuen Deutschland im Kosovo löste keinen kollektiven Aufschrei aus. Und auch diesmal fiel der Protest gegen eine Völkerrechtsverletzung seltsam zahnlos aus. Ihr sei es noch immer »unbegreiflich«, stammelte eine fassungslose Jutta Limbach bei der feierlichen Eröffnung der Buchmesse im Gewandhaus, am Vorabend eines neuen Krieges zu stehen. Vier Tage später, im Angesicht des brennenden Bagdad, vermochte sich ein sächsischer Staatssekretär noch immer nicht mehr als die Vokabel vom großen »Kummer« abzuringen. Und die überall in den Hallen ausgebreiteten Regenbogen-Fahnen mit der Aufschrift »Pace« wirkten wie die fröhliche Deko zum CSD.Nun besteht kein Grund, dass die Zivilgesellschaft sich völlig dem dem aufgezwungenen Kriegsdiskurs unterwirft und nur noch Trauer trägt. Doch etwas mehr als zwei gut versteckte Podiumsdiskussionen über den Angstfreund Amerika hätte sich die Messe schon leisten können. Schließlich hatte sie auch viel Platz für den größten Aussteller der Messe - die Bundeswehr. Zwar übten die Schulklassen, denen die deutsche Armee auf den Buchmessen schon seit längerem auflauert, mit Schulungsoffizieren in dem Strategiespiel »Pol - Politik und internationale Sicherheit« genau das, was die USA zum Schluss abgelehnt hatten: Diskussionen in der UNO. Doch das Rollenspiel sah in seinen Anleitungen für die politische Führung auch die Niederschlagung von »Hungeraufständen« vor.Freilich hätte auch noch energischerer Protest als Günter Grassens Donnerwort vom »Unrecht des Stärkeren« in Leipzig den Krieg an Euphrat und Tigris nicht verhindern können. Kultur ist ein Zivilisierungsmittel mit Langzeitwirkung gegen die »Sprachlosigkeit« der Gewalt, wie »Bücher«preisträger Peter Härtling und Kulturstaatsministerin Christina Weiss mahnten. Der sanfte Unterton der gut gemeinten Volkspädagogik der siebziger Jahre war unüberhörbar. Doch haben sie damit so ganz Unrecht? Wie hatte doch die gut 30 Jahre jüngere Erfolgsautorin Judith Hermann die Wirkung der zivilen Tugenden Kritik und Dialog beschrieben, die dem High-Noon-Präsidenten in Washington so abgehen? Vor ein paar Wochen, berichtete die Autorin bei einer Lesung, schlug sie morgens in ihrem Lieblingscafe die Zeitung auf. Sie sei sogar rot geworden bei der Lektüre des aller ersten Verrisses zu ihrem neuen Buch Alles nur Gespenster. Doch dann habe sie den Vorteil entdeckt, mit dieser Kritik von der Position der Unangreifbaren in eine neue Normalität gestoßen worden zu sein. » Und das«, sagte die gleichmütige Berlinerin mit der rauen Stimme sichtbar erleichtert, »war ein schöner Moment«.