Dritter Oktober, neunter November, siebzehnter Juni, dreizehnter August - es gibt viele Tage, an denen man der deutschen Teilung, ihrer Geschichte, ihrem Verlauf und ihrer glorreichen Überwindung gedenken kann. Mittlerweile gehört sie zu den meist bedachten Aspekten der deutschen Geschichte überhaupt, und sowohl der Fernsehzuschauer als auch der Zeitungs- und Zeitschriftenleser dürfte sich ziemlich satt gesehen und gelesen haben zum Thema. Deshalb macht es wenig Sinn, sich an dieser Stelle ein weiteres Mal darüber zu beklagen, dass das ZDF seine Fernsehspielreihe Grenzfälle - Vom Verschwinden der Berliner Mauer im August jeden Montag nach Null Uhr ausstrahlt. Die hier gezeigten Sendungen - drei Dokumentarfilme und ein Spielfilm - sind außerdem alle schon
lle schon einmal in den vergangenen zehn Jahren gezeigt worden. Trotzdem fällt eine gewisse Diskrepanz auf zwischen der liebevollen Zusammenstellung und dem mangelnden Zutrauen darin, dass sie ein größeres Publikum finden könnten. Alle vier Produktionen zeichnet nämlich aus, dass sie sich bemühen, dem Einerlei des Gedenkens zu entkommen und jeweils eigene Herangehensweisen für originelle Aspekte der Geschichte der Mauer, der Teilung und der Wiedervereinigung zu finden.Den Auftakt der Reihe macht der Dokumentarfilm Die verschwundene Grenze von Thomas Kutschker aus dem Jahr 1999. »Diese Sendung ist keine historische Dokumentation; sie versucht vielmehr mit jenen, die dabei waren und aus ihrer Sicht geschichtliches Geschehen lebendig werden zu lassen«. Diesen schönen Satz aus den grauen Vorzeiten der »oral history« lässt Kutschker zu Beginn seines Films eine Fernsehansagerin aus den sechziger Jahren sagen. Was folgt, sind mündliche Erzählungen von Bewohnern aus Ost und West, die vom Umgang mit der Grenze berichten, Banales, Nebensächliches oft, dass doch gerade so die »ganz normale« Monstrosität des Maueralltags zeigt. Doch leider mochte sich der Dokumentarfilmer wohl nicht völlig auf die Erzählungen derer, »die dabei waren«, verlassen; nicht nur, dass er ihre Gesichter, während sie reden, meist auf Nachtaufnahmen der Grenzlandschaft, auf Mauerreste und Brandwände projiziert, was eine eigenartige Störung ergibt, weil weder das eine noch das andere mehr besonders gut zu erkennen ist, zumal im Fernsehen, nein er fügt zusätzlich auch noch beschleunigte Kamerafahrten entlang des Grenzstreifens ein und von Zeit zu Zeit amüsante Ausschnitte aus dem Archiv - Nachrichtenfetzen des Ost- wie Westfernsehens und skurrile Szenen aus den notorischen Lehr- und Aufklärungsfilmen. So gibt er sein Interesse am Nebensächlichen und den Betroffenen des Alltags schnell auf zugunsten der gefälligeren Kuriositäten.Die vier Frauen aus Ost und West (Konstanze Binder, Lilly Grote, Ulrike Herdin und Julia Kunert), die im Juni 1990 sich daran machten, den Grenzabbau am Bahnhof Friedrichstraße zu beobachten, waren in dieser Hinsicht konsequenter. Vielleicht kann man ja erst mehr als zehn Jahre später tatsächlich würdigen, was sie hier filmisch erfassten: Einen Zustand kurz vor seinem Verschwinden. Fast liebevoll vollzieht die Kamera noch einmal das Labyrinth Friedrichstrasse nach, um dann in wenigen Szenen den sukzessiven Abbau der Kontrollhäuschen, der Bretterverschläge und eingezogenen Wände zu zeigen. Dazu werden Grenzbeamte und Durchreisende befragt. Erstere geben bereitwillig und noch ganz im inzwischen unwiederbringlich verloren gegangenen Jargon Auskunft: »Hauptaufgabe war es, das unkontrollierte Passieren der Grenze zu verhindern.« Mit unbeteiligter Sachlichkeit erklärt einer, anhand welcher Kennzeichen des Ohrs die Identität des Kontrollierten mit seinem Ausweis festgestellt werden konnte. Aber zwischen diesen betont informativ gehaltenen Auskünften genügt es den Dokumentaristinnen, ein paar abweichende Fragen zu stellen, um in den brüchiger werdenden Antworten die Schwierigkeiten der großen Umstellung für die betroffenen Personen hinter den Uniformen aufscheinen zu lassen. Er wolle weiter »mit Menschen arbeiten«, sagt einer - vielen, die den Umgangston an dieser Grenze als eher feindlich bis unkommunikativ erlebt haben, wird der Unterton der Groteske, der solchen Aussagen beiwohnt, nicht entgehen.Zweifellos der schönste und berührendste Film der Reihe ist aber John Burgans Memory of Berlin aus dem Jahre 1998. Burgan erzählt darin von den Überschneidungen seines persönlichen Lebens mit der Geschichte Berlins. Sein Film ist dabei alles andere als eine weitere Dokumentation zum Thema deutsche Teilung, sondern ein Essay über Herkunft, Identität und die Spiegelverhältnisse von »kleinem« Schicksal und den großen Ereignissen der Historie. Burgan tritt in seinem Film als autobiografischer Erzähler auf und legt mit Bildern aus dem eigenen Familienarchiv, neuen und alten Aufnahmen eine Betroffenen-Geschichte der anderen Art dar: Er identifiziert sich mit der Stadt Berlin, weil es gleichsam auch ihn zweimal gibt - als adoptiertes Kind, das mit einem Namen auf die Welt kam, um wenige Wochen später einen anderen zu bekommen. Die Szenen der deutschen Wiedervereinigung regen ihn an, auch seine persönliche Wiedervereinigung zu betreiben, er versucht, seine leiblichen Eltern zu finden. Ohne je esoterisch zu werden, bewegt sich Memory of Berlin in solchen Analogien von Geschichte und Eigensinn, und gerade wenn man denkt, dass er sich nun besonders weit vom Thema »Mauer« entfernt hat, ist er im nächsten Moment näher dran als so manche Erzählung derer, »die dabei waren«. Burgan stellt nicht nur Parallelen her zwischen seinem Leben und dem der Stadt oder eines Lands, sondern er spürt dem doppelten Bewusstsein als allgemeines Phänomen nach, das im übrigen auch nach dem Fall der Mauer weiter existiert.Den Abschluss der Reihe bildet schließlich ein Spielfilm, Wer anhält stirbt von Olaf Kaiser und Alexander Ris aus dem Jahre 1996. Das Drehbuch führt hier ein Ost- und ein Westpaar auf einem geheimnisvollen Truppenübungsplatz zusammen, auf dem ein paar Ewiggestrige ein Grenzregime aufrecht zu erhalten scheinen. Das Durchleben diverser Extremsituationen soll Unterschiede und Gemeinsamkeiten zum Vorschein bringen. Doch was der Spielfilm im Vergleich mit den Dokumentarfilmen der Reihe vor allem zeigt, ist die Schwäche des Genres: Noch ist es so, dass keine erfundene Geschichte mit den wahren Geschichten, die zu erzählen sind, wirklich mithalten kann.»Eines Tages wird es uns schwer fallen, uns vorzustellen, dass es sie gab«, heißt es am Ende von Burgans Film über die Mauer. Zum vierzigsten Jahrestag des Mauerbaus, dem bereits elften Jahr, in dem dies in Abwesenheit des Jubilars begangen wird, kann man sich das wiederum immer besser vorstellen.Die verschwundene Grenze, 6. 8., 0.15 Uhr Berlin Bahnhof Friedrichstrasse 1990, 13. 8., 0.50 Uhr Memory of Berlin, 20.8. 0.50 Uhr Wer anhält stirbt, 27.8. 0.30 Uhr
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