Die Gewalt der serbischen Regierung gegenüber kosovarischen Schriftstellern und Intellektuellen, Wissenschaftlern und Verfechtern der Menschenrechte, die gefühllose Hinrichtung ihrer bekanntesten Persönlichkeiten ruft mir sofort das schauerliche Schauspiel in Erinnerung, wie der nigerianische Schriftsteller und Aktivist Ken Saro-Wiwa mit acht Gefährten zum Galgen ging. Wie hier einzelne Stimmen zum Schweigen gebracht wurden, routiniert zwischengelagert als Rohstoff für spätere Beseitigung - das ist nur Symbol eines viel allgemeineren Projekts der Verstümmelung, ja Zernichtung von Kultur und Erbe, von Identität und Kreativität, deren engagierteste Exponenten solche Stimmen sind.« (Wole Soyinka, taz, 21. 4. 99)
Viel mediales Wortgeklingel um J
Wortgeklingel um Jugoslawien. Dabei scheint sich eine Konstante in all diesen Debatten um die dortigen Kriege durchzuziehen: die unglaublich geringen Kenntnisse um diese Region vor der Haustür. Und das Desinteresse. Wo blieb der Aufschrei der Empörung, wo blieben Protestmaßnahmen gegen die verfassungswidrige Beseitigung der Autonomie durch die Belgrader Führung vor zehn Jahren, gegen die Schließung von Schulen, Verlagen und Rundfunksendern, gegen die Massenentlassungen albanisch sprechender Angestellter aus Verwaltung, Exekutive und Krankenhäusern? Wo blieb die Anklage gegen das Apartheidsregime, das die Kosovo-Albaner zu Menschen zweiter Klasse degradierte? Schon damals wurde ein Zerstörungswerk begonnen, das auf die Wurzeln der Kultur, der Bildung, des Zusammenlebens eines ganzen Volkes abzielte. Aber die Reaktionen hierzulande waren bescheiden. So ein rückständiges, strategisch völlig unwichtiges Bergland gab keinen Grund zur Aufregung. Und in der Linken konnte man durchaus auch Stimmen hören, die die Kriegshetze des Systems Milosÿevic´ umdichtete zum Verteidigungskampf eines sozialistischen Landes.Über die nationalistische Mobilisierung im alten Jugoslawien, vorwiegend in Serbien, ist hinlänglich geschrieben worden. Es sei hier bloß auf einige Leute als Multiplikatoren des großserbischen Nationalismus verwiesen: auf Dobrica Cosic´, den »Vater der Nation« und Hauptverfasser des berüchtigten Memorandums der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste, auf den ehemaligen Reformmarxisten Mihajlo Markovic´, auf Matija Beckovic´, ebenfalls Akademiemitglied (»Kosovo ist das kostbarste serbische Wort ...«), auf den Schriftsteller Miodrag Bulatovic´, der für Milosÿevic´ Hetzartikel in der »Politika« schrieb. Erinnert sei noch an die Massenmeetings, deren Reden der ehemalige Belgrader Bürgermeister Bogdan Bogdanovic´ einer Art charakterologisch-semiologischer Studie unterzog und zu einem »Stalino-Wörterbuch« zusammenstellte - als Teil eines 60-seitigen Kritikbriefes an den »Führer«, wie Cosic Milosÿevic´ nannte.Weniger bekannt ist hier jedoch eine der Kernfragen in der großserbischen Ideologie, die vorwiegend in der politisierten Geschichtswissenschaft diskutiert wurde. Bosnische Muslime, Türken und muslimische Albaner werden dargestellt als Reste der verhaßten osmanischen Herrschaft, somit als Fremdkörper im serbischen Volk. Der serbische Historiker Dusan Batakovic´ schreibt zum Beispiel: »Jahrhundertelang führten die Albaner eine biologische Expansion im Namen der herrschenden moslemischen Kaste als vorgeschobene Schneide der ottomanischen Macht in die Tiefe des balkanischen Raumes durch.« Und: Der Sultan »gebrauchte in den europäischen Provinzen der Türkei die Albaner als stählerne Faust für das Brechen auch des kleinsten Versuches eines Aufstandes der Christen, der Serben, der Bulgaren und der Griechen.« (Aus den Protokollen der Konferenz: Die Wiederkehr der albanischen Frage - ihre Bedeutung für den Balkan und Europa. Wien, 7. - 10. Juni 1993. In: Dardania Nr. 6/1997, S. 192) Aleksandar Tisma drückte diese Phobie in einem Interview im Spiegel aus: »(...) der (serbische) Staat, das sind doch wir, und wenn er fällt, fallen wir mit und werden versklavt wie einst unter den Türken.«In dieser Debatte taucht des öfteren der Name Vaso Cubrilovic´ auf. Seine Thesen werden heute oft bagatellisiert, sind jedoch im Kontext mit den bis 1941 erfolgten Zwangsaussiedlungen von 150.000 Personen aus »türkischen Familien in Südserbien« - sprich: Albanern - zu sehen. Der Belgrader Philosophieprofessor, Diener mehrerer Herren, schlug 1937 der serbischen Königsdiktatur ein schnelles, planmäßiges, terroristisches Vorgehen zur Vertreibung der Albaner vor: »Wenn man zugibt, daß ein zunehmendes Zurückdrängen der Albaner mit unserer langsamen Kolonisation keinen Erfolg hat, bleibt nur eine einzige Methode, ihre massenhafte Verpflanzung (...). Es gibt ein Mittel, das Serbien nach 1878 sehr praktisch eingesetzt hat. Es besteht darin, die albanischen Dörfer und die albanischen Viertel der Städte anzuzünden (...).« 1944 wandte er sich mit einem Memorandum an Tito: »Allein die ethnische Reinheit kann den Frieden und den Fortschritt zu einem demokratischen und föderalen Jugoslawien sichern« (Le Monde, 22. 4. 99). Tatsächlich wurde auch im sozialistischen Jugoslawien weiter zwangsausgesiedelt; Schätzungen sprechen von rund 200.000 Personen zwischen 1950 und 1966. Cubrilovic´, der 1990 starb, war mehrfach Minister und Mitglied der Akademie. Seine Auffassungen verkörpern die durchgängige Prämisse des großserbischen Nationalismus, der auch in der KP Eingang fand: ethnische Homogenität in »historischen Grenzen« herzustellen - nicht zufällig ist »Homogenisierung«, wie Rajko Djuric´ bemerkt, eine zentrale Vokabel in Milosÿevic´s Reden.Trotz des unerklärten Krieges, trotz Zerstörung der zivilen Strukturen entwickelten die Kosovoalbaner nach 1990 ein erstaunliches Gesellschaftsprojekt im Untergrund. Über Jahre hinweg funktionierte der gewaltlose Widerstand. Es gelang sogar, eine Aktion gegen die Tradition der Blutrache erfolgreich durchzuführen, die die Versöhnung von etwa 2.000 Familien bewirkte. Zahlreiche Intellektuelle sahen darin »eine historische Kehrtwende zu den Werten der westlichen Zivilisation« (Shkelzen Maliqi). Eine weitere Großtat war die Organisierung des Schulwesens: 1995 mußten 274.280 SchülerInnen der Grund- und Hauptschuljahrgänge sowie 63.340 der Auszubildenden einen geheimen Unterricht besuchen, weil ihnen in öffentlichen Schulen der Gebrauch der Muttersprache verboten war. Einer der namhaftesten serbischen Schriftsteller, Mirko Kovac, stellte fest: »Die Albaner sind das politisch reifste Volk in Jugoslawien. Ich stimme der These des slowenischen Philosophen und Schriftstellers Slavoj Zizek zu, daß die Kosovo-Albaner ein europäisches Volk sind, das sich durch Geduld auszeichnet und politisch auf gandhihafte Methoden setzt, indem es auf Verhandlung besteht und die Gewalt zurückweist.« (Borba, 13. 3. 93, zitiert nach Kommune Nr. 7/1995). Erst das Abkommen von Dayton, aufgrund dessen sich die Kosovo-Albaner ihrem Schicksal überlassen fühlten, stärkte die Stimmen, die sich für einen bewaffneten Widerstand aussprachen.Nun aber scheint es, als wolle die jugoslawische Soldateska, Cubrilovic´s Thesen über die Vertreibung der Albaner in die Tat umsetzen. Schon vergangenes Jahr, auf dem Höhepunkt ihres Krieges gegen die UÇS, befanden sich über 200.000 Menschen auf der Flucht. Seit Beginn der NATO-Bombardements haben die Vertreibungen eine neue Qualität an Ausmaß, Systematik und Brutalität erreicht, wie der Bericht der OSZE-Kosovo Verification Mission festhält.Auf der Strecke bleibt auch eine alte Kultur, über die der österreichische Publizist Karl-Markus Gauß schreibt: »Unser Interesse am Kosovo gilt allenfalls den Opfern politischer Verbrechen, nicht den Schöpfern kultureller Werte. Wir möchten sie ja gerne retten. Aber wir wissen nichts von ihnen. Daß sie sterben, empört uns, wie sie leben, ist uns gleichgültig. Sie haben es bis zu einer Dichtung gebracht, die auf der Höhe unserer Zeit ist und albanische Traditionen mit Einflüssen der französischen, deutschen und insbesondere der serbischen Moderne verbindet. Aber das ist uns unbekannt.« (FAZ, 11. 5. 99)Es sind auch nur ganz wenige Publikationen in deutscher Sprache erschienen: zwei Gedichtbände von Ali Podrimja (Ich sattle das Roß den Tod, Das Lächeln im Käfig, beide bei Wieser, Klagenfurt, 1991 und 1993), Gedichte von Azem Shkreli (Ich weiß ein Wort aus Stein im selben Verlag, 1993), Gedichte von Martin Camaj (1991 im Marino-Verlag, München) und ein Roman von Rexhep Quosja (In solchen Augen liegt der Tod, Haymon, Innsbruck, 1995). Einige Literaturzeitschriften haben weitere DichterInnen vorgestellt, Neue Sirene in München, Literatur und Kritik in Salzburg, Neue Literatur in Frankfurt, Laufschrift in Fürth und andere - wenig für »eine der poetischsten Landschaften Europas«, wie der Übersetzer Hans-Joachim Lanksch das Kosovo bezeichnet.Fast 200 Mitglieder umfaßte einst der Schriftstellerverband der Kosovoalbaner. Viele von ihnen sind geflüchtet oder wurden vertrieben, einige wurden ermordet, einige sind vermißt. Ob es bald nur noch kosovarisches Exil geben wird? Hat schon bisher westlicher Hochmut den Kosovaren im Europa der Kultur keinen Platz eingeräumt, so scheint nun auch die Vernichtung einer ganzen Kultur keiner Debatte wert zu sein. Das Kosovo bleibt Kate Xucaros »Rezept der Welt« überlassen: »Ein Löffel Haß / drei Tropfen Rassismus / eine Karte Krieg / fünf Hunger / ein Liter Tod: / das Rezept der Welt (...)«
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