Konsum Was hat mein Handy mit den Aufständen in kongolesischen Minen zu tun? In 28 deutschen Städten bieten Jugendliche globalisierungskritische Führungen durch die Warenwelt an
Die erste Station der Teenie-Gruppe ist ein Handyladen in der Potsdamer Fußgängerzone. Malte und Isabelle stellen sich vor das Schaufenster, in dem die neuen Telefone liegen. Einen Euro sollen die meisten kosten, so steht es auf den roten Aufklebern. Malte hat einen Stapel Karten dabei, er reicht die erste weiter und lässt sie vorlesen. Eine Nachrichtenmeldung. Im Kongo soll ein Aufstand unter Minenarbeitern blutig niedergeschlagen worden sein. „Wer von euch hat ein Handy?“, fragt Malte. Acht Hände gehen nach oben. Und da haben die beiden ihr Ziel schon fast erreicht.
Die Jugendlichen sind in Potsdam, um „globalisierungskritische Stadtführer“ zu werden. Heute läuft gewissermaßen die Beta-Tour, noch sind die angehenden Stadtführ
Stadtführer unter sich. Malte fragt: „Was hat diese Nachricht mit dem zu tun, was in unseren Hosentaschen steckt?“ Dann erklärt er den Zusammenhang zwischen den kongolesischen Minenarbeitern und den Telefonen in Deutschland: In den Handys ist das Erz Coltan verarbeitet, sein Verkauf wird von den Rebellen im Kongo kontrolliert. Von dem Geld, das sie mit dem Coltan verdienen, können sie Waffen kaufen.Isabelle lässt die nächste Karte vorlesen, ein Werbetext für ein „Handy-Frühlingsmodell“. Und schon ist die Gruppe bei der Frage, was mit alten Handys geschieht. Eine dritte Karte macht die Runde: Fotos aus Indien, auf offener Straße wird Müll verbrannt, darunter Handyschrott, der so von Kunststoff befreit wird.Bloß keine Boykott-AufrufeEs ist der zweite Tag des Seminars „Konsum global“. Am Tag zuvor haben Malte, Isabelle und die anderen im Potsdamer „Haus der Natur“ über die Regeln für eine gute Stadtführung diskutiert. Im Seminarraum unter dem Dach, wo es nach Äpfeln und Kaffee aus Thermoskannen riecht, stehen zwei Korkwände mit gelben Zetteln. Auf ihnen haben sie die beiden wichtigsten Regeln gepinnt: keine Boykott-Aufrufe, keine Schwarzweißmalerei. Einer wie der Filmemacher Michael Moore wäre ein denkbar schlechter Stadtführer.Farina Regn und Alexander Gilly, die den Workshop leiten, führen schon lange Menschen im Auftrag des Jugendumweltnetzwerks Niedersachsen mit einem konsumkritischen Blick durch Hannover und Hildesheim. Allerdings lasse sich das Konzept von konsum-global.de „erschreckend gut“ auf jede mittelgroße deutsche Stadt übertragen, wie sie sagen. Inzwischen gibt es diese Stadtführung, die vor allem Schülern zeigen soll, wo und wie die Globalisierung ihre Fußgängerzonen erreicht hat, in 28 Städten zwischen Flensburg und Kempten, Köln und Cottbus.Alexander Gilly und Farina Regn sehen fast schon prototypisch wie Weltverbesserer aus: er trägt sein Haar in langen Rastazöpfen, sie ein T-Shirt auf dem unter einem Foto von Pippi Langstrumpf „Bildet Banden“ steht. Das wäre nicht weiter bemerkenswert, sähe nicht die nächste Generation von Konsumkritikern, die sich schulen lässt, ganz anders aus.Malte zum Beispiel trägt ein schwarzes Hemd und Jeans, die Haare fallen ihm in die Stirn und knapp über die Ohren. Eher einer, den man sich am Wochenende mit der Gitarre in der Hand in einem Proberaum vorstellt, als mit der Botschaft vom korrekten Konsum in der Fußgängerzone. Woher kommt die Bereitschaft zum Engagement? Maltes Biografie ist da wohl typisch für viele seiner Generation. Er erzählt von einem Elternhaus, das er als „linksalternativ“ bezeichnet, von Bioäpfeln, die er als Kind gerne gegen das glatte Obst aus dem Supermarkt eingetauscht hätte. Heute ist er es, der sagt: „Meine Eltern sind nicht mehr konsequent genug.“An fünf Stationen versuchen sich die Workshop-Teilnehmer an diesem Sonntag in der Fußgängerzone zum ersten Mal als Stadtführer. Die Wege sind kurz. Vom Handyladen zu H sind es nur wenige Meter. Eine Jeans hingegen bringt vom Baumwollanbau übers Spinnen, Färben, Weben, Schneiden, Nähen und Waschen bis zum Verkauf 48.000 Kilometer hinter sich. Ein Weltkugelwasserball hält als Globus her, Zeigefinger fliegen kreuz und quer über den Wasserball, von Kasachstan nach China, von dort nach Taiwan und Polen, auf die Philippinen und nach Griechenland bis ein Finger dort stoppt, wo auf dem Wasserball Brandenburg liegt.Und am Schluss: SchokoladeAn dieser Station gibt es keine Fragen oder Einwände. Ganz anders, als die Gruppe wenige Meter weiter vor einer Fast-Food-Filiale zum Stehen kommt. Beim Thema „Massentierhaltung“ zerfasert die Diskussion. „Das sind Konzentrationslager für Tiere“, schimpft einer. Er würde an dieser Stelle der Tour gerne sagen, dass es schlauer sei, kein Fleisch zu essen. Alexander Gilly greift ein: „Wenn du so etwas sagst, kannst du sicher sein, dass du der Hälfte der Gruppe auf die Füße trittst.“Die Tour endet schließlich vor dem Weltladen. Wäre heute nicht Sonntag, dann würde hier jeder ein Stück fair gehandelte Schokolade bekommen. Damit die Tour einen positiven Schluss hat, erklären die Workshopleiter. Einer der Teilnehmer wird später, als sie im „Haus der Natur“ noch einmal zusammensitzen, sagen, er fühle sich in der Rolle als Werber für den Weltladen nicht wohl. Seine Generation bestelle faire Waren eher online beim Öko-Versand, ihre Jeans und Shirts kaufen sie in kleinen Läden, die Wert auf eine saubere Produktion und vor allem einen guten Schnitt legen. Vielleicht werden die Stadtführungen der nächsten Generation einmal zu einem anderen Ziel führen. Weitermachen aber möchten sie alle, sagen sie.
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