Lockruf der Grünen Fee

Ersatzdroge Berauschende Gerüchte adeln den Absinth-Missbrauch

Kokain ist "in" bei manchen Jet-Settern. Und wer sich solch teuren Stoff nicht leisten kann, für den halten clevere Barkeeper längst eine Ersatzdroge bereit. Wenn der Zeitgeist schon auf die Moderne versessen ist, warum nicht auch das Kultgetränk vieler Künstler und Intellektueller um die Jahrhundertwende neu kredenzen: einen Likör, hergestellt aus einem Wermutkrautextrakt mit einem ungewöhnlich hohem Gehalt an Ethylalkohol, bekannt als Absinth. Der Konsum dieser von Insidern zur "Grünen Fee" hochgejubelten Spirituose lässt sich außerdem für das Work-Out-Clubbing kinderleicht ritualisieren. Ein Teelöffel Zucker mit Absinth beträufeln und entzünden bis die Flamme erloschen ist, mit mehr oder weniger kaltem Wasser aufgießen - schon stellt sich die Louche-Effekt genannte, opalleszierende Weißfärbung ein. Der Absinth zeigt seine strahlende Seite.

Was ist daran besonders? Solche auf der schlechten Wasserlöslichkeit ätherischer Öle zurückgehenden Kunststücke sind ja mit Pernod oder Pastis ebenfalls vollführbar. Was den Absinth tatsächlich von diesen beiden Getränken unterscheidet, ist ein exklusiv in dieser Spirituose enthaltener Wirkstoff - Thujon, das im Wermutskraut mit einer Konzentration zwischen 40 und 70 Prozent enthalten ist. Dieses Gift kann einerseits zu schwersten Degenerationserscheinungen im zentralen Nervensystem führen. Andererseits ruft Thujon auditive und visuelle Halluzinationen sowie eine Steigerung der sexuellen Leistungsfähigkeit hervor. Für diese Wirkung scheint die Ähnlichkeit in der Molekularstruktur von Thujon und dem Canabis-Wirkstoff THC verantwortlich zu sein. Oskar Wilde schildert die Wirkung so: "Das erste Stadium ist wie normales Trinken, im zweiten fängt man an, ungeheuerliche grausame Dinge zu sehen, aber wenn man es nicht schafft aufzugeben, kommt man in das dritte Stadium, in dem man Dinge sieht, die man sehen möchte, wundervolle, sonderbare Dinge". Der rund um die Droge aufgebaute Mythos suggeriert, dass diese kreativen Effekte angeblich schon Charles Baudelaire, Arthur Rimbaud, Alfred Jarry, Guillaume Apollinaire und Paul Verlaine genutzt haben. Ein anderes Gerücht besagt, dass ein Absinth-Rausch für Van Goghs "gelbe Phase" verantwortlich war. Eduard Monet, Henri de Tolouse-Lautrec, Edgar Degas, Jean-Francois Raffaellis und Pablo Picasso haben Absinth-Trinker porträtiert.

Die klinischen Symptome bei Absinth-Missbrauch sind hingegen ganz und gar nicht inspirierend: klonische epiletiforme Krämpfe, Psychosen, Demenz, Koordinationsstörungen, Schlaflosigkeit, Angstzustände, Haarausfall, Gesichtszucken, Fehlbewegung und Lähmung von Lippen und Zunge, Harnvergiftung und vieles mehr. Nach dem Amoklauf eines notorischen Trinkers in Lausanne, der im Delirium seine ganze Familie umbrachte, verbot die Schweiz deshalb schon 1910 die Verwendung von Wermutöl in Spirituosen. 1916 setzte Frankreich gleiche Maßnahmen. 1923 folgte das Deutsche Reich mit einem restriktiven Absinth-Gesetz, welches bis 1981 in Geltung war. Die zehn folgenden Jahre untersagte noch eine Aromenverordnung die Verwendung von Wermutöl.

Doch die EU liberalisierte auch diesen Sektor. Seit dem Jahr 1991 ist ein reglementierter Thujon-Anteil wieder zulässig (Richtlinie 88/3888/EWG vom 20. Juni 1988). In Deutschland dürfen Spirituosen mit einem Alkolholanteil von 25 Vol% bis zu 10 mg/kg, Getränke mit einem darüber hinausgehenden Alkoholanteil bis zu 35 mg/kg Thujon enthalten (Bundesgesetzblatt 1991, Teil 1, 2045-2050).

Wer im Internet ein bisschen surft, findet jedoch Verkaufsangebote von Absinth-Likören, deren Gehalt an Thujon diese Richtwerte weit übersteigt. Die Marken "King Gold" und "Logan" werben sogar offen mit einem Thujon-Anteil von 100 mg pro Kilogramm und mehr. Die "mündigen Kunsumenten" wissen schon, was sie tun. Oder doch nicht?

Der Autor arbeitet im Wiener Marktamt.

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