Warum hat es ein positiver Populismus von links so schwer?
Illustration: der Freitag; Material: Imago
Die Linke, vor allem die, die noch etwas erreichen will, ist ein bisschen neidisch. Sie kann nämlich nicht so populistisch reden und handeln wie die Rechte. Aber sie möchte es gern, weil sie täglich sieht, wie erfolgreich ein paar tausend rechte Populisten ein ganzes Volk – und eine komplette Medienlandschaft – unter Druck setzen können.
Die Linke aber ist wie eh und je zerrissen. Ein Teil von ihr betrachtet den Populismus mit skeptischem Stirnrunzeln, andere strafen ihn mit Verachtung. Populismus, glauben sie, sei etwas für unterentwickelte, vormoderne Gesellschaften. Diejenigen, die sich für rational denkende Linke halten, rufen: Passt bloß auf, der Populismus wird euch um die Ohren fliegen! Wer den Populismus zu sehr liebt, wird in ihm umkom
ihm umkommen, denn er ist ein autoritäres, antidemokratisches und gefährliches Konzept. Jens Bisky schrieb das in der Süddeutschen Zeitung. Denn Populismus – also die Wiederkehr des Freund-Feind-Denkens – öffne dem Missbrauch durch politische Rattenfänger Tür und Tor. Biskys Warnung trug die ironische Überschrift Positives Pack. Er wollte sagen: Linker Populismus ist ein Widerspruch in sich.Die Renaissance des Populismus fordert die Parteien der Mitte derzeit heraus. Während der Rechtspopulismus den verunsicherten Konservativen schwer zu schaffen macht, stellt der Linkspopulismus den Volkspartei-Status der ausgelaugten sozialdemokratischen Parteien in Frage, an der europäischen Peripherie etwas stärker als im Zentrum. In Deutschland gibt es erst vereinzelte Stimmen, die eine deutlichere populistische Note in der Politik für nötig halten. Auf der Linken ist außer Oskar Lafontaine niemand bereit, diesen Weg einzuschlagen. Weder von der rot-rot-grünen Landespolitik in Thüringen noch vom Institut Solidarische Moderne geht ein populistisches Wetterleuchten aus, so wie von Syriza oder Podemos. Von den lateinamerikanischen Vorbildern in Venezuela, Bolivien und Ecuador ganz zu schweigen.Aus Lateinamerika stammt auch das derzeit meistdiskutierte theoretische Konzept eines linken Populismus. Das Intellektuellen-Paar Ernesto Laclau und Chantal Mouffe beriet vor Jahren die linkspopulistische Regierung Kirchner in Argentinien. Laclau und Mouffe werden deshalb oft als „postmarxistische Linksperonisten“ bezeichnet, womit auch gleich ein gewisser Sicherheitsabstand zur radikalen westeuropäischen Linken markiert werden soll. Wo sich Michael Hardt und Antonio Negri noch zackig und revolutionär mit dem Kampf der „Multitude“ gegen das „Empire“ beschäftigten und für den Auszug der Linken aus den korrupten Institutionen des repräsentativen Systems plädierten, verhalten sich Laclau, der 2014 starb, und Mouffe mit ihrer Verteidigung der staatlichen Institutionen eher wie gemäßigte Sozialdemokraten.Nur einzelne StimmenDie in Belgien geborene Chantal Mouffe reist heute als Interpretin des gemeinsamen Werks durch die Welt, um das Konzept des sozialdemokratischen Linkspopulismus „zu popularisieren“. Sie möchte eine intellektuelle Brücke schlagen zwischen den radikalen Bewegungen, die für einen Rückzug aus den bestehenden Institutionen plädieren, und jenen traditionellen Linksparteien, die mit beharrlicher Kärrnerarbeit und revolutionärem Abwarten „innerhalb des Systems“ irgendwann die notwendigen Ministersessel zu ergattern hoffen.In Anlehnung an die Studentenbewegung der 60er Jahre und aufgrund der positiven Erfahrungen in Argentinien plädiert Mouffe für einen „Marsch durch die Institutionen“, um einerseits blutige Aufstände und sinnlose Gewaltausbrüche und andererseits Resignation und reformerische Ermüdung zu verhindern. Die bleierne Zeit der Alternativlosigkeit zum Neoliberalismus müsse endlich beendet werden und dies könne nur gelingen, wenn immer mehr Orte und Projekte geschaffen würden, an denen wieder ernsthaft um Alternativen gekämpft werden kann. Dieses Handlungskonzept nennen Mouffe und Laclau „agonistisch“, was die taz vor kurzem mit „agnostisch“ verwechselte, und in der Tat lädt das aus dem Griechischen stammende Wort „Agon“ (Kampf) zu allerlei komischen Verwechslungen ein. Man muss schon sehr aufpassen beim Lesen, damit der leidenschaftliche Wettstreit zwischen den Alternativen, den Chantal Mouffe mit ihrem agonistischen Modell vorschlägt, nicht in quälende Lese-Agonie umschlägt, weil das gedankliche Hin- und Herschalten zwischen „Agonist“ und „Antagonist“ an den Nerven zerrt. Doch oft genug ist der tiefere Grund, warum schlaue Theoretiker neue seltsame Vokabeln in altbekannte Debatten einführen, die erhoffte Erregung neuer Aufmerksamkeit für alte Sachverhalte. Und so unterscheidet sich Mouffes „agonistische“ Politisierungs-Theorie im Grunde wenig von den „Strategien der Demokratisierung“, die der Politikwissenschaftler Fritz Vilmar in den 70er Jahren entwickelte, um Willy Brandts Motto „Mehr Demokratie wagen“ mit politischem Leben zu erfüllen.Schlau und seltsamFritz Vilmar, der die SPD nach 52 Jahren Mitgliedschaft 2003 wegen ihres eklatanten „Substanzverlustes“ verließ, wird die Wiederbelebung seiner Demokratisierungsvorstellungen im Gewande eines „linken Populismus“ mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen. Wirklich neu an Mouffes Wiederbelebungsversuch der Linken durch einen gemäßigten sozialdemokratischen Populismus ist eigentlich nur ihre Vermittlerrolle. Sie will die schnelllebigen Protestbewegungen davon überzeugen, dass die Institutionen des kritisierten Systems als Plattformen für einen produktiven Streit um Alternativen ungemein nützlich sein können, und sie will umgekehrt die Repräsentanten des linken Mainstreams dazu bewegen, mit den radikal antipolitisch gesinnten Protestbewegungen Kontakt aufzunehmen. Nur gemeinsam sei man in der Lage, die Gesellschaft zu verändern.Anders auch als die an Jürgen Habermas’ Diskurstheorie geschulten Rationalisten, die an ihren runden Tischen nur an die Kraft des besseren Arguments glauben, plädiert Mouffe für mehr Rücksichtnahme auf die irrationalen Gefühle in der Bevölkerung. Da Politik stets durch die gegenseitige – auch gefühlsmäßige – Abgrenzung kollektiver Identitäten zustande komme, erfordere jede leidenschaftliche Politisierung ein „Wir“ gegen „die anderen“. Die Schaffung des „Wir“ sei nur durch die Formulierung eines „Sie“ denkbar.Mouffe plädiert deshalb nicht nur für mehr Rücksichtnahme der Linken auf die nationalen Widerstände im europäischen Einigungsprozess. Auch die Ablehnung massiver Einwanderung dürfe von der Linken nicht einfach ignoriert werden, sonst habe die Rechte leichtes Spiel. In diesem Zusammenhang wirft Mouffe der Linken Weltfremdheit und eine unpolitische, vom staatsfeindlichen Neoliberalismus infizierte Haltung vor. Anders als die revolutionäre Linke, die als Endziel eine selbstorganisierte und konfliktfreie Welt-Kommune anstrebe, müsse der gemäßigte Linkspopulismus zur Kenntnis nehmen, dass gesellschaftliche Konflikte zu allen Zeiten existieren werden. Denn jede Ordnung, selbst die sozialistische, bedeute Hegemonie, und diese könne nicht konfliktfrei sein.Der Knackpunkt, der eine Rezeption von Mouffes „linkem Populismus“ hierzulande erschwert, ist also nicht ihre antikommunistische, sozialdemokratische Haltung. Der Knackpunkt ist vielmehr ihr eigentümlicher Begriff des Politischen. Wer Politik wie Mouffe als leidenschaftlichen Streit zwischen einem „Wir“ und „den anderen“ definiert, stößt in der konsensorientierten deutschen Gesellschaft auf empörte Ablehnung. Denn die Parteien der Mitte müssten sich dann voneinander entfernen, sie müssten – wie in der Parteiendemokratie eigentlich vorgesehen – unterschiedliche Teile des Volkes repräsentieren. Sie müssten parteiisch sein und nicht neutral in der Mitte kuscheln.Nicht immer nur kuschelnHierzulande können sich nur wenige bekannte Linke mit Chantal Mouffes populistischem Politikverständnis anfreunden. Im Grunde sind es nur zwei: der Publizist und Freitag-Verleger Jakob Augstein und der Politiker Oskar Lafontaine. Letzterer scheut sich nicht, das Potenzial eines linken Populismus auch dann wahrzunehmen, wenn es – wie derzeit offenkundig – von Rechten und Rechtsradikalen abgefischt wird, weil die Linke das Wähler-Terrain der „Globalisierungsverlierer“ freiwillig geräumt hat. Lafontaine wird für seine populistische Strategie gescholten (und lächerlicherweise in die rechte Ecke gestellt), doch mit ihm an der Spitze der Linken wäre die AfD nie so stark geworden. Selbst die SPD stünde mit einem Lafontaine an der Spitze heute besser da.Aber mit einer Politik des Gefühls stößt man in Deutschland auf historisch bedingte Vorbehalte. Darauf spielte auch Augstein an, als er kürzlich im Freitag feststellte: „Der Philosoph Ernesto Laclau hat geschrieben, Populismus sei ,die Stimme derer, die aus dem System exkludiert sind‘. Ein gefährlicher Satz, wenn man nach Dresden blickt, wo die rechten Horden marschieren, und ins Internet, wo die Saat von Hass und Brutalität blüht. Umso dringlicher, dass wir einen positiven Populismus von links entwickeln, der demokratische und soziale Rechte vor Eliten und Oligarchen schützen will.“Dass Augstein solche Sätze in Deutschland um die Ohren gehauen werden, gerade auch von Linken, verwundert nicht. Jemand, der erklärt, die Gefahren des Populismus zu sehen, und trotzdem weiter für ihn wirbt – wie passt das zusammen? Positiven Populismus, sagen sie, gibt es so wenig wie positives Pack. Zündelt Augstein also aus Lust an der Provokation? Will er die Linke mit seiner riskanten Strategie in die Bedeutungslosigkeit treiben?Solche Fragen sind müßig. Denn die traditionelle Linke wird sich – ob sie nun will oder nicht – mit dem linken Populismus beschäftigen müssen. Weil er existiert. Er kommt von der europäischen Peripherie nach Deutschland, so wie der Treck der Armuts- und Kriegs-flüchtlinge vom Balkan, aus Afrika und dem Nahen Osten kommt. Plötzlich ist er da und niemand hat mit solcher Wucht gerechnet. Der Linkspopulismus wächst noch bescheiden im Schatten der Aufmerksamkeit, welche die Medien dem Aufstieg des Rechtspopulismus schenken. Chantal Mouffe hat versucht, mit ihren Schriften rechtzeitig eine Behelfs-Brücke zu bauen zwischen einer wütenden neuen Linken und den alten, stagnierenden Linksparteien – betreten müssen die beiden die Brücke schon selbst.Placeholder authorbio-1
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