Wer sich etwas wirklich Unappetitliches zu Gemüte führen möchte, der lese Wolfgang Kemps Buch über den Oligarchen. Man kann im Lauf der Lektüre einiges über russische und ukrainische Bodenschätze erfahren, über die Hintergründe von Boris Jelzins Wiederwahl als Präsident, über Wladimir Putins „Pakt und Keule“-Politik, über Luxusapartments in London, das unter Kennern schon den Spitznamen „Londongrad“ trägt. In erster Linie aber wird man den Glauben an das Gute und die Gerechtigkeit der Welt verlieren und die Lektüre mit einem flauen Gefühl in der Magengegend beenden.
Der Oligarch sei ein von der Osteuropaforschung vernachlässigtes Thema, stellt Kemp, von Hause aus Kunsthistoriker, zunä
, zunächst fest. Die akademische Forschung beschreibe die Transformationsprozesse der ehemaligen Sowjetunion nach 1987 vornehm in Nebelbegriffen wie „gelenkte Demokratie“, „bürokratischer Kapitalismus“, „hybride Regime“ oder auch „semiautoritärer Sultanismus“, während die Journalisten mit ihrem Interesse an Revolver- und Enthüllungsgeschichten klar beim Namen zu nennende Oligarchen bekanntlich lieben.Schlechter GeschmackKemp selbst will sozusagen zwischen Journalismus und Forschung hindurch und anhand der Werdegänge einzelner Oligarchen einen bestimmten Sozialtypus beschreiben, den er für zeitdiagnostisch höchst aufschlussreich hält. Drei wesentliche Merkmale des Oligarchen fallen ins Auge: Er sei sehr schnell zu Reichtum gekommen, er verdiene sein Geld fast ausschließlich mit der Ausbeutung natürlicher Ressourcen wie Erdöl oder Gas, keinesfalls mit der New Economy, und er zeige er eine ausgeprägte Auslands- und vor allem Westorientierung. Der ukrainische Oligarch Igor Kolomojskyi zum Beispiel besitzt eine ukrainische eine zyprische und eine israelische Staatsbürgerschaft, was Kemp in „maritimen Terms“ als „Shore, Offshore und Safe Haven“ interpretiert. In der Ukraine werde das Vermögen verdient, „in Zypern wird es gewaschen und steuerfrei angesammelt, und in Israel fühlt sich Kolomojskyj möglicherweise spirituell zu Hause, vor allem aber sicher, wenn es zum Ernstfall kommt. Israel würde einen Oligarchen nicht ausweisen, vor allem dann nicht, wenn ein Ostblockstaat gegen ihn schwere Vorwürfe erhebt.“Wie die Oligarchen zu ihren gigantischen Vermögen kamen, ist kompliziert und eigentlich undurchschaubar. Viele fingen 1987 klein an, etwa mit Theaterkarten- oder Frauenhandel, Fensterputzfirmen, die sie später dann zu Banken oder Kreditinstituten umformten. Zentral für die Gewinne sei ein gewisses „Anteile-für-Anleihen-Schema“ vor allem der Jelzin-Ära gewesen, bei dem – grob gesprochen – die zu etwas Geld gekommenen Herren dem Staat Kredite gaben, im Gegenzug dazu Firmenanteile erhielten, wobei es eine ausgemachte Sache war, dass der Staat die Kredite nicht zurückzahlen würde. Damit ging ein Teil der Staatsbetriebe an die Oligarchen über, den Rest konnten sie später günstig erwerben, wobei sie den Auktionen ein wenig nachhalfen.Der Oligarch sei im Herzen kein Politiker, in erster Linie wolle er reich werden und es dann vor allem auch bleiben, schreibt Kemp und schildert, wie die oligoi gegeneinander prozessieren – meist in London –, wie sie sich gegenseitig bestehlen und ausstechen und wie viele Opfer das kostet.Was aber macht den Oligarchen im Kern aus, was ist sein Ausdrucksmittel par excellence? Es ist die Yacht. Ganze fünf Kapitel sind im Buch den Superschiffen gewidmet, wobei Kemp einen Großteil seiner Kenntnisse über deren Länge und Ausstattung den Webseiten superyachtfan.com, marinetraffic.com und Wikipedia verdankt. 162 Meter etwa misst die Eclipse von Roman Abramowitsch, der sein Boot zwar zwei Mal hat verlängern lassen, aber dennoch nicht den Weltrekord von 180 Metern hält. Die Yacht sei mobiler Arbeitsplatz des Oligarchen und Partyraum, megalomanes Distinktionsobjekt und Verteidigungsgeschoss. Abramowitschs Eclipse verfüge über einen Helikopter an Bord, Mini-U-Boote, Flugabwehrraketen, sei mit Panzerglas und einem Radar zur Beobachtung von Bewegungen am Himmel ausgestattet. Beeindruckend. Kemp schwelgt in diesen Details und bedauert nur, dass leider nicht ihm, sondern der Zeitschrift Merkur schon der passendere Titel Der Wille zur Yacht eingefallen war.Nicht ganz sympathischDer Oligarch ist witzig geschrieben, das der erste Vorteil, und der zweite liegt in der Essayform, die Kemp erlaubt, sich investigativer Recherche und nüchterner Forschung zu bedienen, ohne eines von beiden sein zu müssen. In maritimen Terms gesprochen ist der Essay ja das kleine, wendige Textboot, mit dem sich Behauptungen aufstellen lassen, die genau deshalb tragen, weil sie keinen festen Boden haben.Trotzdem stimmt etwas nicht mit diesem Buch. Denn ähnlich wie in jedem James-Bond-Film hat man bei Kemp bald den Überblick verloren, wer hier welche Fäden zieht, warum wir vom Oligarchen X zum Oligarchen Z wechseln, warum ein Kapitel mit der Yacht anfängt und mit Securitydiensten endet. Verwirrung ist Kemps Methode, schließlich sind Oligarchengeschäfte undurchsichtig, doch insgesamt liest sich der Text wie das willkürlich zusammengeschriebene Ergebnis privater Rechercheobsessionen.Hinzu kommt ein nicht ganz sympathischer Unterton. Hätte Kemp vielleicht selbst gern eine Yacht? Der Kunsthistoriker schreibt in einem ironischen Stil, der sich übers Empörende nicht empören will. Irgendwo muss der Ärger aber hin. Zum Schluss macht sich Kemp noch über den schlechten Barockgeschmack der Oligarchen und ihr gesteigertes Interesse an teuren Fabergé-Eiern lustig. Das ist, mit Verlaub, zu billig.Placeholder infobox-1Placeholder infobox-2
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.