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Frankreich Die Akteure des Kopftuch-Streits sind meist männlich

Im Kopftuchstreit treffen wir auf "FrauenrechtlerInnen", die sich ansonsten an dieser Front eher rar machen. So begründete Frankreichs Präsident Jacques Chirac das angekündigte Kopftuch-Verbot an französischen Schulen zwar hauptsächlich mit den Prinzipien eines laizistischen Staates, es gehe aber auch, sagte er, um die Gleichheit der Geschlechter und die Würde der Frauen. Das klingt eher nach einer willkommenen Begründung als nach der wirklichen Zielsetzung des Präsidenten der Republik. Denn weder auf Seiten des ins Visier genommenen Fundamentalismus noch des Staates sind die Aktivisten weiblich. Chiracs Initiative geht auf die Vorschläge einer Kommission "zur Neufassung des laizistischen Staatsaufbaus in Frankreich" zurück, der sogenannten "Stasi"-Kommission. Diese 20-köpfige Kommission, zu einem Drittel mit Frauen besetzt, befragte in einem aufwändigen Verfahren über Monate hinweg 160 Experten, davon ein Fünftel Frauen (eine Frau und einen Mann namentlich erkennbar aus dem muslimisch-arabischen Kulturkreis) und 220 Schüler ohne Angabe der Geschlechtszugehörigkeit. Schon diese Zahlen lassen die Relativität der Gewichtung der Frauen- beziehungsweise der Geschlechterfrage erkennen.

Die Kommission hat sich eine Menge Arbeit mit der Recherche zur Problemlage gemacht. Aus dem Abschlusstext geht die Betroffenheit, ja Bestürzung über die Lage der Mädchen und Frauen in der muslimisch geprägten Peripherie der Großstädte klar hervor. Dennoch belässt es der Text bei einer Zustandsbeschreibung und liefert keine tiefergehende Analyse der miteinander verschränkten Ursachen für die schwierige Lage in der Banlieue. (La Grande Nation erweckt den Eindruck, dass eine bessere Integration der Immigranten in eine ansonsten vorbildliche, laizistische französische Gesellschaft der Königsweg sei.) Dabei wirft gerade der Kopftuch-Streit auch Fragen auf, deren Beantwortung die eigene westlich geprägte Kultur in Frage stellen würde. Ein Teil der jungen Muslima betrachtet das Kopftuch zumindest auch als Protest gegen die Vermarktung der Frauen, ihres Körpers, der Pornografisierung des öffentlichen Raumes - ein Thema, das die europäische Frauenbewegung schon längst resigniert ad acta gelegt hat. "Die Rechte der Frauen sind heute täglich verhöhnt in unserem Land", ein Satz aus dem Abschlussdokument, ließe sich eben auch auf die mediale Vermarktung des Weiblichen beziehen. Aber auf diesem Auge leistet man sich Blindheit.

Mit dem Kopftuchverbot werden allein Mädchen und Frauen getroffen. Die Protagonisten des Fundamentalismus sind aber männlich. Ihnen wird der Ausschluss der betroffenen Mädchen aus den Schulen und der öffentlichen Verwaltung recht sein, bekommt doch das Kopftuch nun auch für diejenigen einen politischen Gehalt, für die es bisher lediglich ein Kleidungsstück war, das ihren Traditionen entsprach.

In der Banlieue der großen Städte werden die sozialen Konflikte - ein bekanntes Muster - immer öfter sexistisch ausgetragen, männliche Gewalt richtet sich gegen die unverschleierten Frauen und Mädchen. Dass auch hier - bei den "prekären" Männlichkeiten und ihrem Rückgriff auf aggressiv-sexistische Rollenmuster - soziales Eingreifen notwendig ist, wird durch die Fokussierung auf Laizismus und Kopftuch "verschleiert".

1999 haben sich die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union dazu verpflichtet, mit all ihren Maßnahmen und der gesamten Politik für die Durchsetzung echter Chancengleichheit für Frauen und Männer zu wirken. So steht es im Amsterdamer Vertrag und ist damit oberstes EU-Recht. Bekannt geworden ist es unter dem sperrigen Begriff "Gender Mainstreaming". Hätte der französische Präsident seiner "Stasi"-Kommission das Ziel gesetzt, ihre Vorschläge darauf zu überprüfen, ob sie die unterschiedliche Lage und die verschiedenen Interessen von Frauen und Männern berücksichtigen, und hätte er Sorge getragen, dass in der Kommission die entsprechende Kompetenz vorhanden ist, dann sähe der endgültige Vorschlag der Kommission sicher anders aus. Er wäre näher an den Problemen der Menschen und weniger auf das Staatsziel fokussiert.


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