Massaker und Bulldozer

Kriegsverbrechen in Gaza Höfliche diplomatische Kritik reicht nicht mehr

Natürlich sind doppelte Maßstäbe nichts Neues. Giftgaseinsätze gegen Kurden unter Saddam Hussein waren kein Problem der westlichen Außenpolitik, solange man ihn hofierte. Aber danach wurde ihm sogar aus Massenvernichtungswaffen ein Strick gedreht, die überhaupt nicht existierten. Die Missachtung von UN-Resolutionen durch den Irak wurde von Washington immer wieder als Kriegsgrund genannt - bis Bush sich entschied, die Vereinten Nationen insgesamt als "irrelevant" zu betrachten und selber Völkerrecht zu brechen. Solches Verhalten empört, es führt auf Dauer aber auch zur Gewöhnung und kann stilbildend werden.

Besonders weit fortgeschritten ist die Gewöhnung an Heuchelei, doppelte Maßstäbe und durch Euphemismen kaschierte Gewaltverbrechen im Nahen Osten, gerade im Kontext des Palästinakonfliktes. Palästinensische Militante und die israelische Regierung sind sich einig darin, bewaffneten Widerstand gegen Besatzung - völkerrechtlich legal - und terroristische Verbrechen in einen Topf zu werfen: für die einen ist alles legitim, was den Besatzern Schaden zufügt, für die anderen alles "Terrorismus", was sie trifft. Und die israelische Regierung scheint tatsächlich zu glauben, dass noch die schwersten Menschenrechtsverletzungen, Völkerrechtsbrüche und politischen Morde dann in Ordnung sind, wenn man sie selbst begeht, statt sie zu erleiden. Inzwischen hat sogar das israelische Verfassungsgericht entschieden, dass palästinensische Wohnhäuser systematisch zerstört werden dürfen, wenn dies nur "defensiv" geschieht - als wären die Häuser oder die in ihnen lebenden Zivilisten Angreifer. Dürfen wir bald erwarten, dass bei Banküberfällen das Bankgebäude - eventuell mit den sich dort befindlichen Angestellten - dem Erdboden gleichgemacht wird, rein "defensiv", versteht sich? Dürfen nun, nach dieser Logik, palästinensische Kämpfer das israelische Parlament oder das Verfassungsgericht in die Luft sprengen, weil man sich von diesen bedroht fühlt?

Die Genfer Konventionen sind wichtige Bestandteile des Völkerrechts. Sie verpflichten eine militärische Besatzung zum Schutz der örtlichen Zivilbevölkerung. Sie verbieten die Besiedlung besetzten Landes mit eigenen Staatsbürgern. Kernbereiche der israelischen Besatzungspolitik sind deshalb seit langem völkerrechtswidrig: so die israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten, unabhängig davon, ob es sich um wilde oder offizielle Siedlungen handelt. Schon die dauerhafte Besetzung ist illegal und widerspricht UN-Resolutionen. In den vergangenen Jahren hat die Regierung Sharon eine Politik der politischen Morde gegen palästinensische Politiker und Aktivisten betrieben und offen gerechtfertigt: die bekanntesten Fälle sind die gezielte Tötung Scheich Yassins und seines Nachfolgers. Und nun die andauernde Militäroperation Israels im südlichen Gaza-Streifen, die bisher zu über 40 Toten und weit über Tausend Obdachlosen geführt hat.

Im Ausland gibt es Kritik an dieser Politik, wenn auch in sehr unterschiedlichem Maße. Aber es fällt doch auf, dass diese Kritik meist oberflächlich bleibt, dass sie den Aspekt des Völkerrechts fast immer ausblendet. Die Regierung Israels wird ermahnt, aber nicht verurteilt. Das reicht nicht. Wenn es um Menschenrechte und das Völkerrecht geht, müssen die gleichen Maßstäbe an alle angelegt werden. Das gilt auch für die israelische Armee - ein Verweis auf fremde Verbrechen kann eigene nicht rechtfertigen.

Die Morde an politischen Gegnern sind Verbrechen, wenn sie durch palästinensische Täter begangen werden, und es sind ebensolche Verbrechen, wenn sie von der israelischen Armee begangen werden. Einige der Morde an palästinensischen Zivilisten im Zuge der Operation in Gaza waren nichts anderes als Massaker, die auch öffentlich so genannt werden sollten. Höfliche diplomatische Kritikformeln reichen da nicht mehr, massiver politischer und wirtschaftlicher Druck ist lange überfällig.


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