Menschen töten - Sachwerte erhalten

Vor 20 jahren Am 8. August 1981 gab Präsident Reagan seine Entscheidung über den Bau der Neutronenbombe bekannt

Wer sich bei den derzeitigen Kontroversen um Washingtons geplantes Raketenabwehrsystem (NMD) an den Streit erinnert fühlt, den Präsident Reagan vor zwei Jahrzehnten mit der Neutronenbombe heraufbeschwor, der sieht keine Gespenster. Zur Erinnerung: Die von Washington angestrebte Neutronenwaffe Enhanced Radiation Warhead (ERW) war und ist ein Geschoss, dessen Wirkung im Gegensatz zu anderen Nuklearwaffen nicht primär auf Hitze und Druckwirkung, sondern zu mehr als 80 Prozent auf radioaktiver Strahlung beruht. Eine Waffe, die wie Die Welt 1977 schrieb, »Nur Menschen tötet und Sachwerte erhält.« Reagans Entschluss, diese Waffe weiterzubauen, obwohl sein Vorgänger Carter die Produktion 1978 quasi gestoppt hatte, fiel zwar in der Hitze des Kalten Krieges, aber die Chuzpe und Arroganz, mit der die USA ihre Alliierten damals behandelten lässt sich durchaus mit den Stil der Bush-Administration heute vergleichen, die ihre Partner ebenfalls gern vor ähnlich vollendete Tatsachen stellt.

Vom Weißen Haus war der Tag, an dem Reagan seinerzeit seinen Entschluss bekannt geben sollte, bewusst auf ein nachrichtenarmes Wochenende gelegt worden. Tags drauf wollte der Präsident in die Ferien gehen. Das bedeutete, am 8. August 1981 ließ sich das Washingtoner Pressecorps nicht blicken. Nur wer Reagans wöchentliche Radio-Ansprache eingeschaltet hatte, erfuhr von dem brisanten Entscheidung: »Der Neutronensprengkopf ist eine Defensivwaffe, die der großen Überlegenheit der Sowjetunion an ihrer Westfront gegenüber der NATO entgegenwirken soll. Niemand sollte vergessen, dass diejenigen, die jetzt am lautesten schreien ... und im Namen des Pazifismus protestieren, in Wirklichkeit Propaganda für Moskau betreiben, weil sie kein Wort über die 200 Mittelstreckenraketen vom Typ SS 20 verlieren, die auf alle europäischen Städte gerichtet sind.«

Obwohl es einige Wochen zuvor im Kongress schon eine Vorwarnung gegeben hatte, als das Repräsentantenhaus mit überwältigender Mehrheit beschloss, die Gelder für die Neutronenwaffe zu bewilligen, überraschte Reagan die USA und Westeuropa gleichermaßen. Offenbar hatte man auf beiden Seiten des Atlantiks gehofft, die Wahnsinnswaffe würde nicht gebaut. Reagans Entschluss, den von Carter verhängten Stop zu kassieren, reifte nach mehrwöchigen Beratungen zwischen Weißem Haus, Pentagon und einer neugeschaffenen Sicherheits-Planungsgruppe. In diesem Zirkel war es zu einem Streit zwischen Außenminister Haig und Verteidigungsminister Weinberger gekommen, bei dem es nicht mehr um das »ob«, sondern nur noch um das »wann« ging. Ex-NATO-General Haig fand den Zeitpunkt der Entscheidung mehr als ungünstig. Er befürchtete, die europäisch-amerikanischen Beziehungen könnten ernsthaft Schaden nehmen, weil angesichts der ohnehin vorhandenen Widerstände bei den Verbündeten die geplante NATO-Nachrüstung insgesamt gefährdet schien. Doch Weinberger wies Haig in die Schranken: die USA dürften es nicht zulassen, dass eigene militärstrategische Weichenstellungen europäischen Bedenken untergeordnet würden. Wenn die Neutronenbombe für Westeuropa nicht akzeptabel sei, fügte der Verteidigungsminister hinzu, dann sei es besser, das so früh wie möglich zu wissen, zumal sich die Stimmung dort in nächster Zeit kaum verbessern würde. Weinberger hatte Reagan sofort überzeugt: Die Europäer dürften sich kein Veto bei inneramerikanischen Angelegenheiten anmaßen. Als dann noch eine Gemeinschaftsstudie von Pentagon, Nationalem Sicherheitsrat, Außenministerium und Energieministerium mit positiven Daten über die Herstellung, Wirkung und Stationierung der neuen Waffe aufwartete, schien einer Neutronenbombe in Serie nichts mehr im Wege zu stehen.

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